Warten auf Demokratie
Die Afghanistan-Konferenz bei Bonn geht am heutigen Mittwoch zu Ende, die Demokratie hat aber noch lange nicht begonnen
Anderthalb Wochen dauerten die Verhandlungen zur politischen Zukunft Afghanistans auf dem Petersberg bei Bonn. Am Ende steht ein Abkommen, das die vier beteiligten Gruppen nach dem bisherigen Zeitplan heute mehr oder minder zufrieden unterzeichnen werden. Den Unterschriften waren viele Kompromisse vorausgegangen. Klar war aber, dass am Ende ein Abkommen stehen musste.
Nicht nur der UN-Generalsekretär Kofi Annan, auch westliche Regierungschefs - unter ihnen Gerhard Schröder - hatten weitere Wirtschaftshilfen von einer Einigung der Fraktionen abhängig gemacht. Verhindert werden soll so, dass etwaige Hilfen der einen oder anderen rivalisierenden Kriegspartei in die Hände fallen.
Bei den "Talks on Afghanistan" einigte man sich daher auf einen Fahrplan zur Regierungsbildung. Der sieht wie folgt aus: Noch bis Jahresende soll eine "Interimsregierung" einberufen werden, die rund sechs Monate als Ansprechpartner dient. Im Frühjahr dann wird eine große Ratsversammlung mit 700 bis 1000 Vertretern aus allen Teilen des Landes zusammenkommen, die dann wiederum eine Übergangsregierung mandatiert. Dieses Gremium soll binnen 18 Monaten den Weg für Wahlen ebnen. Die Interimsregierung wird aus einem Regierungschef, fünf Vertretern und 23 weiteren Mitgliedern mit Ressortverantwortung bestehen. Demokratische Wahlen werden nach Informationen der UN frühestens 2004 stattfinden.
Mehr als die strukturelle Frage ist damit aber nicht gelöst. Die beteiligten Parteien selber werden zu einer demokratischen Reform des politischen Systems nur bedingt bereit sein. Es spricht für sich, dass der ehemalige König eines Landes, in dem die parlamentarische Demokratie schon einmal bekannt war, derzeit als Hoffnungsträger gehandelt wird. Sahir Shah soll im Frühjahr die Loja Dschirga eröffnen und in einer führenden Position an ihr teilnehmen.
An dem Gremium werden Informationen aus dem Planungsstab der Vereinten Nationen erstmals auch zivilgesellschaftliche Gruppen und soziale Organisationen teilhaben. Wie gewichtig ihre Rolle sein wird, ist aber unbekannt. Im pakistanischen Islamabad schlug ein Vertreter der Welternährungsprogramms (WFP) indes vor, die humanitäre Hilfe künftig über die bislang ausgegrenzten zivilgesellschaftlichen Gruppen verteilen zu lassen. Damit könnte ihnen eine höhere Autorität verliehen werden, sagte der WHO-Vertreter. Solche Fragen hatten bei den Verhandlungen in Deutschland allerdings keine Rolle gespielt.
Auf dem Petersberg ging es einzig um die Verteilung der Macht. Verloren dabei hat allem Anschein nach der noch amtierende Regierungschef Barhannudin Rabbani. Er hatte seiner Delegation anweisen lassen, sich auf keinen Fall auf Abkommen über die personelle Zusammensetzung etwaiger Übergangsregierungen einzulassen. Nach einer Intervention von Bundesaußenminister Joseph Fischer gab Rabbani nach. Zu viel hängt von den Verhandlungen in Deutschland ab. In den Übergangsgremien ist bisher wohl kein Platz für den Mann vorgesehen, der sich in der heißen Phase des Bürgerkrieges von 1992 bis 1996 als Präsident mehrfach einem zugesagten Rücktritt verweigerte. Die Intervention Fischers bei Rabbani ist Indiz der neuen starken Rolle Berlins bei der Formierung eines afghanischen Staates. Während die "Talks on Afghanistan" auf dem Petersberg stattfanden, soll die Geberkonferenz für das asiatische Land in Berlin ausgerichtet werden.
Durchgesetzt hat sich für die Nachfolge Rabbanis der den USA nahestehende Paschtunenführer Sayed Hamid Karzai. Dafür gehen die drei Ressorts Inneres, Äußeres und Verteidigung an die Nordallianz. Die etablierten Interessengruppen konnten sich indes gegen ein militärisches Engagement der UNO durchsetzen. Lediglich in einem Anhang zum Abkommen wird die UN-Vollversammlung gebeten, Truppen nach Kabul zu entsenden. Sie sollen die Region um de Hauptstadt sichern helfen. Eigene Kommandostrukturen schließt das allerdings aus und auch bei dem Land ist ein Vorauswahl getroffen worden. Die UN-Soldaten sollen aus der Türkei kommen. Ein klassischer Einsatz von UN-Blauhelmen wird ausgeschlossen.
In der Diskussion um die Beteiligung von Frauen an dem Übergangsprozess konnte ein kleiner Erfolg verbucht werden. Von den beiden Vertreterinnen der Revolutionary Association of Women of Afghanistan wurde Sofora Waleed (Deckname) entgegen dem Willen von Delegierten der Nordallianz in die Rom-Gruppe aufgenommen. Unterstützt wurden die beiden RAWA-Delegierten von der Friedensinitiative Nottuln. "Wir wollten nicht nur über die Bomben lamentieren, sondern einen aktiven Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft leisten", erklärte Alfons Klein-Möllhoff von der Gruppe aus Nottuln bei Münster. Deswegen sei einer der ersten Schritte gewesen, ein Spendenkonto in Deutschland einzurichten. Bislang hätten Geldzuwendungen für die RAWA oder andere Gruppen über Pakistan laufen müssen. Zwar seien in den Delegationen schon vorher drei Frauen anwesend gewesen, bei ihnen habe es sich jedoch entweder um "Zierwerk" gehandelt, sagt Klein-Möllhoff, oder um Frauen, die lange Jahre im Exil gelebt und mit den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort wenig Erfahrungen haben.