Warum Angelina Jolie "ermordete Familien" beklagt, nicht Gaza-"Tragödie"
Mediensplitter (51): Oscar-Preisträgerin sagt: Israel begeht schwere Verbrechen. In Tel Aviv ist das eine Schlagzeile, deutsche Medien winden sich. Über Denkverbote.
Am Mittwoch postete die prominente Schauspielerin, Oscar-Preisträgerin und ehemalige Botschafterin des Flüchtlingshilfswerks UNHCR eine Nachricht auf Instagram. Darin kritisiert sie Israel und diejenigen Staaten, die sich hinter die Netanjahu-Regierung stellen und einen Waffenstillstand blockieren, in klaren und unmissverständlichen Worten.
Hier der Post in ganzer Länge:
Es handelt sich um die vorsätzliche Bombardierung einer eingeschlossenen Bevölkerung, die nirgendwo hin fliehen kann. Der Gazastreifen ist seit fast zwei Jahrzehnten ein Freiluftgefängnis und entwickelt sich schnell zu einem Massengrab. 40 Prozent der Getöteten sind unschuldige Kinder. Ganze Familien werden ermordet. Während die Welt zuschaut und mit aktiver Unterstützung vieler Regierungen werden Millionen palästinensischer Zivilisten – Kinder, Frauen, Familien – kollektiv bestraft und entmenschlicht, während ihnen gleichzeitig Lebensmittel, Medikamente und humanitäre Hilfe völkerrechtswidrig vorenthalten werden. Indem sie sich weigern, einen humanitären Waffenstillstand zu fordern und den UN-Sicherheitsrat daran hindern, beiden Parteien einen solchen aufzuerlegen, machen sich die führenden Politiker der Welt mitschuldig an diesen Verbrechen.
In Israel wurde darüber breit und prominent berichtet. Die führende Tageszeitung Haaretz titelte: "Angelina Jolie kritisiert Israels ‚vorsätzliche Bombardierung der eingeschlossenen Bevölkerung‘ in Gaza". Weiter heißt es: "In einem Instagram-Post kritisiert Jolie Israels ‚vorsätzliche Bombardierung‘ von ‚Kindern, Frauen und Familien‘, denen ‚gegen internationales Recht Lebensmittel, Medikamente und humanitäre Hilfe vorenthalten werden‘."
Der Bericht von The Times of Israel trägt die Schlagzeile: "Angelina Jolie: Israelische Angriffe in Gaza sind ‚gezielte Bombardierung der Bevölkerung, Mord‘". Auch in diesem Artikel werden die zentralen Vorwürfe gegen Israel und die Komplizenschaft der Unterstützerstaaten wiedergegeben: Absichtliche Bombardierung von Zivilisten, Mord an ganzen Familien, humanitäre Totalblockade an Bevölkerung, Bruch internationalen Rechts, Blockade einer Waffenruhe, Verbrechen.
In deutschen Medien gibt es nur wenige Meldungen zu Angelina Jolies außergewöhnlich klarem Post, obwohl ihr Ehestreit mit Brad Pitt über Jahre in allen Details von ihnen ausgebreitet wurde.
Der Berliner Tagesspiegel nimmt das Thema auf und titelt: "‘Gaza entwickelt sich zum Massengrab‘: Hollywood-Star Angelina Jolie beklagt menschliche Tragödie". Auch das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) bringt eine ähnliche Schlagzeile: "Angelina Jolie warnt: Gaza wird zum ‚Massengrab‘".
In der Meldung heißt es weiter, dass die Schauspielerin Israel "angesichts der Luftangriffe im Gazastreifen indirekt vorgeworfen" habe, das abgeriegelte Küstengebiet in ein "Massengrab" zu verwandeln. "Indirekt"?
Der Südkurier oder RTL.de, die auch den Jolie-Post erwähnen, fokussieren ebenfalls auf die "menschliche Tragödie" und ihren Aufruf zur Waffenruhe. Die wenigen deutschen Medien, die also überhaupt darüber berichten, klammern, anders als die israelischen, den eigentlichen Vorwurf Jolies in der Schlagzeile aus: nämlich, dass Israel an einer in einem "Open-Air-Prison" eingeschlossenen, wehrlosen Bevölkerung absichtlich und massenhaften Mord begeht, sowie internationales Recht bricht, während Staaten, die einen Waffenstillstand blockieren (also im Wesentlichen die USA zusammen mit einigen EU-Staaten, die dagegen stimmen oder sich enthalten), Komplizen der Verbrechen sind.
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Zugleich berichtet der Sender N-TV: "Alle dreschen auf Angelina Jolie ein". Im Text heißt es weiter, dass Jolie "in der Kommentarspalte zu dem Post mit Kritik und Hassnachrichten geradezu überschwemmt" werde. Sicherlich gibt es dort wie überall in den sozialen Medien auch Kritik und Beschimpfungen. Aber ob der N-TV-Journalist die knapp 400.000 Kommentare, die auf den ersten Eindruck hin ein positives Echo wiederzugeben scheinen, ausgewertet hat, ist fraglich. Was heißt also "überschwemmt"?
Jedenfalls hat der Gaza-Post von Angelina Jolie bisher 3,5 Millionen Likes erhalten.
Denkverbote in Deutschland?
Insgesamt lässt sich beobachten, wie Kritik an Israels Bombardierungen des Gazastreifens in Deutschland, aber auch in den USA und vielen europäischen Ländern, oft aufgeweicht oder an den Rand gedrängt wird. Eine Reihe von Demonstrationen sind verboten oder aufgelöst worden, Kritik wird nicht selten als "antisemitisch" gerahmt.
Zudem werden palästinensische Sichtweisen unterdrückt. So hat der Medienkonzern Axel Springer, wie The Intercept in den USA meldet, einen libanesischen Mitarbeiter gekündigt, der in internen und privaten Social-Media-Posts die Pro-Israel-Haltung infrage stellte.
The Intercept schreibt: "Die Entlassung folgt auf eine Hetzkampagne gegen arabische und palästinensische Journalisten in Deutschland in den letzten Jahren". Dabei bezieht man sich auf die Menschenrechtsgruppe Euro-Med Human Rights Monitor. Sie hat eine Reihe von Entlassungen arabischer und palästinensischer Journalisten in deutschen Medienanstalten im Jahr 2021 untersucht und eine Warnung ausgesprochen:
Wir warnen deutsche Medienkonzerne ... davor, palästinensische und arabische Journalisten aufgrund von Verleumdungskampagnen pro-israelischer oder rechtsextremer Gruppen ungerechtfertigt zu entlassen. Das würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der nur zu noch mehr diskriminierenden Angriffen auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens palästinensischer oder arabischer Herkunft oder auf Personen, die mit den Rechten und der Freiheit Palästinas sympathisieren, ermutigen würde.
The Intercept hat ebenfalls darüber berichtet, hier der Telepolis-Artikel dazu, dass der Springer-Konzern bei seiner News-App angeordnet habe, tote Palästinenser herunterzuspielen. Redakteure sollen danach aufgefordert worden sein, pro-israelisch zu berichten. Die Springer-App Upday hat Millionen Nutzer europaweit.
Auch im Kulturbereich kommt es zur Verdrängung von palästinensischen Stimmen. So beschloss das experimentierfreudige Gorki-Theater in Berlin, eine für den 23. Oktober geplante Aufführung des Stücks The Situation von Yael Ronen zu "verschieben". In der veröffentlichten Erklärung, wie es zu dieser Entscheidung kam, räumte das Theater seine Ohnmacht angesichts der aktuellen "Situation" ein, fügte aber hinzu, dass "der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel uns auf die Seite Israels stellt".
Das Theater erklärte, dass "der Krieg ein großer Vereinfacher" sei, der "eine einfache Einteilung in Freund und Feind verlangt" und schlussfolgerte, dass "unsere Argumente mit den alten Kriegen uns bei diesem neuen nicht helfen".
Daraufhin entschieden namhafte internationale Intellektuelle wie Srećko Horvat, Paul Stubbs und Dubravka Sekulić, die an einer Diskussionsveranstaltung über die Bedeutung der Blockfreien Staaten im Gorki-Theater teilnehmen sollten, dass sie das nicht mehr tun wollten.
Sie erinnerten dabei an den Namensgeber des Theaters, Maxim Gorki, und die Notwendigkeit von Pluralität und Kritik. Ihre Entscheidung sei ein "bescheidener Protest gegen die aktuelle Episode der Denkverbote. Es ist ein Versuch, ein Schlaglicht auf die Bemühungen zu werfen, Palästina zum Nachteil aller aus dem öffentlichen Diskurs in Deutschland zu streichen".
Wir trauern um alle unschuldigen Opfer dieses Konflikts und verurteilen den Antisemitismus in all seinen Formen, warnen aber davor, dass die derzeitige Phase von Denkverboten in Deutschland und darüber hinaus, wenn nicht dagegen angegangen wird, zum genauen Gegenteil führen wird – nämlich zu mehr Antisemitismus, mehr Terror und einer dauerhaften Unfähigkeit, Frieden im Nahen Osten zu erreichen.