Warum Facebook wahrscheinlich nicht an Angriffen auf Flüchtlinge schuld ist

Seite 2: Warum ist das eigentlich niemandem aufgefallen?

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Die Frage, ob Studienmacher oder NYT-Autoren für all verantwortlich sind, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Hat eine Studie, die nicht hält, was sie verspricht, die New York Times-Autoren auf eine falsche Spur geführt? Oder haben die Reporter auf der Suche nach einer aufregenden Story, etwas zu viel in die Studie hinein interpretiert? Wahrscheinlich beides.

Die Forscher schreiben zwar an einer Stelle ihrer Studie, dass die Ergebnisse "keine kausale Schlussfolgerung" zulassen. An anderer Stelle befördern sie diese aber selbst, wenn sie schreiben: "Die Korrelationen [...] lassen einen starken statistischen Zusammenhang zwischen flüchtlingsfeindlichen Posts in Sozialen Medien und Hate Crimes vermuten." Zum Schluss ihrer Untersuchung schreiben sie:

Insgesamt legen die Ergebnisse unserer Studie nahe, dass das Ausgesetzt-Sein auf rechtsgerichtete Flüchtlings-Auffälligkeiten (im Original: right-wing refugee salience) in sozialen Medien ein Prädiktor für gewalttätige Angriffe auf Flüchtlinge ist.

Fanning the Flames of Hate: Social Media and Hate Crime

Zugute halten könnte man den Wissenschaftlern dass ihr Arbeit formell noch gar nicht abgeschlossen ist. Im akademischen Betrieb ist es üblich, dass unabhängige Gutachter die wissenschaftliche Korrektheit einer Arbeit vor der Veröffentlichung überprüfen. Doch die Untersuchung aus Warwick hatte das nötige Peer-Review-Verfahren noch gar nicht durchlaufen und war deshalb auch bisher in keiner wissenschaftlichen Fachzeitschrift erschienen.

Im Tech-Magazin Slate sieht Autor Felix Salmon deshalb die Schuld bei der New York Times:

Es liegt nicht an den Autoren, sondern an der New York Times, die in diesem Fall viel sorgsamer und umsichtiger hätte sein müssen. Wenn die Times Worte wie "Meilenstein" und "atemberaubend" benutzt, dann stellt sie Ansprüche auf, denen jede Studie nur schwer gerecht kann.

Felix Salmon, Slate

Die New York Times selbst hat bisher auf keinen Kanälen auf die Kritik reagiert. Der Text ist unverändert weiter online. Und auch die Frage, was nun wirklich hinter dem Zusammenhang zwischen Facebook-Nutzung und flüchtlingsfeindlicher Gewalt steckt, hat bisher niemand eine wissenschaftlich überprüfte Antwort.

Zumindest eine Vermutung hat der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Tyler Cowen im Angebot. Auf seinem Blog Maginal Revolution schreibt er, die Variablen "Facebook-Aktivität" und "Angriffe auf Flüchtlinge" reagierten einfach auf die gleichen externen Ereignisse wie zum Beispiel die Kölner Silversternacht.

Zumindest ein klein bisschen Facebook-Kritik kann Felix Salmon der Geschichte noch abringen. "Wenn das Unternehmen einfach Zugriff auf seinen Daten ermöglichen würde", schreibt er auf Slate, "wären wir nicht mehr zu Schätzungen mit unvollkommenen Nutella-Stellvertretern gezwungen".