Warum Krieg? Versuch einer Antwort von Einstein und Freud

Seite 2: Der Pazifismus als Produkt des nervösen Zeitalters

Während Freud sich eher als unpolitisch bezeichnen würde, ging mit Einstein öfters sein "Gefühlssozialismus" durch. Denn er hatte ein zwiespältiges Verhältnis zum real existierenden Sozialismus in der Sowjetunion. Mal suchte er politische Verfolgungen und Verurteilungen zu rechtfertigen, mal brandmarkte er sie als "Verzweiflungstat eines in die Enge getriebenen Regimes".

Die Auflösung des Widerspruchs könnte in dem Zitat liegen: "Kommunismus als politische Theorie ist ein gewaltiges Experiment, aber leider wird es in Russland in einem schlecht ausgestatteten Labor ausgeführt."

Einsteins sozialistische Einstellung drückte sich auch in Vorträgen aus wie: Was der Arbeiter von der Relativitätstheorie wissen muss. 1933 kehrte der Physiker von einer Vortragsreise in die USA nicht mehr zurück. In Deutschland war er bereits in den Zwanziger Jahren antisemitisch geschmäht worden. Die Nazis forderten eine "arische Physik".

In den USA war Einstein nur lose dem Manhattan-Projekt zum Bau der Atombombe verbunden, doch richtete er 1939 an den amerikanischen Präsidenten die Aufforderung, die Entwicklung voranzutreiben, um den Nazis zuvorzukommen. Der Leiter des Projekts, Robert Oppenheimer, gilt als "Vater der Atombombe". Als dieser Zweifel an seinem eigenen Werk bekam, wurde er Repressalien ausgesetzt.

Einstein unterstrich nach Hiroshima und Nagasaki seine Warnung vor der Atombombe und konnte kurz vor seinem Tod noch das "Russell-Einstein-Manifest" unterschreiben, das die Folgen des Einsatzes von Atomwaffen darlegt. Alle sind in Gefahr, egal auf welcher Seite sie stehen.

Der Pazifismus Einsteins und Freuds blieb nicht ungebrochen. Als kollektive Gegenwehr gegen Aggressoren sei Krieg nicht auszuschließen. Die rassenideologisch begründeten Weltherrschaftspläne der Nazis werden die beiden Wissenschaftler zur Revision veranlasst haben.

So verschlüsselt, wie Freuds Psychoanalyse anmutet, so schlicht kann er formulieren, wenn es um den Krieg geht: "Der Krieg zwingt uns wieder, Helden zu sein und nicht an den eigenen Tod zu glauben; er stempelt Fremde zu Feinden, deren Tod gesucht und ausgeführt werden muss; er nötigt uns, gegenüber dem Tod geliebter Personen gleichgültig zu werden."

Wie bildete sich Freuds pazifistische Weltanschauung heraus? Ein Stipendium hatte ihn 1885 an die Salpêtrière geführt, die Pariser Wirkungsstätte des berühmten Neurologen und Pathologen Jean-Martin Charcot. Freud bekam Einblick in die bisweilen bizarre Symptomatik der Hysterie, die damals als typisch weibliche Erscheinung galt und wurde angeregt, seinen eigenen, verfeinerten Begriff von Neurose zu entwickeln. Im Wortstamm gehört Neurose mit Nervosität zusammen, und das Zeitalter der Nervosität, der Überreizung der Nerven, war es denn auch, das in etwa gleichzeitig mit der Moderne die Ereignisse hin zum Krieg drängte.

Wilhelm II., der "nervöse Pudding", hütete nach der Kriegserklärung erst einmal für 24 Stunden das Bett: "A little nervous rest cure." Seine Neurasthenie, die Nervenschwäche, konnten sich die Soldaten an der Front nicht erlauben, für sie kamen zur Neurose traumatische und posttraumatische Ereignisse hinzu wie "Kriegszittern" oder gar "Shellshock". Die Nerven halten nicht stand, wenn die Decke der Zivilisation plötzlich zerreißt.