Warum Krieg? Versuch einer Antwort von Einstein und Freud

Henri Rousseau: Der Krieg (1894)

Beide Wissenschaftler kannten die Schwäche des Pazifismus und bekannten sich trotzdem zu ihm. Ein Dilemma damals wie heute.

Im Jahre 1932 trat der Völkerbund an Albert Einstein (1879-1955) heran mit der Anregung, mit einer Person seiner Wahl zu einem Thema seiner Wahl in einen Gedankenaustausch zu treten. Einstein wählte Sigmund Freud (1856-1939) und das Thema "Warum Krieg?". Die beiden trafen sich nicht, sie wechselten Briefe. Einsteins Frage hatte nicht nur die größte Tragweite, sondern er erhoffte sich ganz persönlich Aufklärung vom Psychoanalytiker.

Nun gibt es klassische Kriege, Bürgerkriege, Partisanenkriege, asymmetrische Kriege und Cyberkriege, um nur einige wenige zu nennen, gibt es auch psychologische Kriege?

Damit ist weniger psychologische Kriegsführung gemeint, sondern der Krieg, der nach innen geführt wird, den jeder mit sich selbst auszufechten hat, also sehr persönlich. Doch stecken hier nicht Motive, die wieder auf die ganze Gesellschaft ausgeweitet werden können, die der modernen Gesellschaftsformation als solche eingeschrieben sind?

Dann wäre eine psychologische Betrachtung des Krieges nicht nur künstlich nachgereicht, sondern sie träfe "ins Schwarze". Die psychische Konstitution der Individuen gäbe Aufschluss über die Konstitution der Gesellschaft und deren Defizite, die in Gewalt umschlagen können.

Einstein fragt: "Gibt es einen Weg, die Menschen vom Verhängnis des Krieges zu befreien?" Einstein baut, ohne dessen gewiss zu sein, auf die Erziehung zum Frieden schon im Kindesalter und fragt weiter: "Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hassens und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden."

Freud antwortet pauschal: "Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet gegen den Krieg." Aber es stellt sich schnell heraus, dass er selbst nicht davon überzeugt ist, und das wirkt beunruhigend.

Aus der Küchenpsychologie könnte der Lehrsatz folgen, dass Krieg ein Akt ist, der die Aggressionsüberschüsse der vielen Einzelnen bündelt und abführt. Aber so monokausal verlaufen die Triebe nicht. Jeder Trieb ist konfrontiert mit dem entgegengesetzten Trieb, der Aggressions- oder Destruktionstrieb mit dem Liebestrieb. Einfacher handelt es sich um einen Dualismus von Eros und Thanatos.

Freud spitzt zu der Erkenntnis zu, dass jeder Trieb Elemente des anderen enthält. Sie sind legiert. Der Liebestrieb bedarf eines Bemächtigungstriebes, um zum Erfolg zu führen. Jede Verliebtheit, die anfangs mit einer gewissen Distanziertheit und Vorsicht einhergeht, zehrt von dem Drang, über den Anderen (Menschen) verfügen zu wollen.

Aber wer von uns hat nicht schon das Ende einer Beziehung erlebt, wenn es dem oder der Anderen in den Sinn gekommen ist, dass es woanders schöner ist. Da möchte man ihr oder ihm sämtliche Himmel- und Höllenhunde auf den Hals hetzen.

Nur in seltenen Fällen kommt es deswegen zu Gewalttaten. Deren Quelle lokalisiert Freud in der frühen Kindheit. Dem Kleinkind sind die Beziehungen zur Umwelt objektiviert, und wenn dieser Objektbezug zu abrupt unterbrochen wird, schlägt der Liebesdrang schnell in Hass um. Oder auch in Narzissmus, die Selbstverliebtheit, die ohne den Bezug zu anderen Menschen auskommt. Der Narzissmus ist dann das Gebot zur Selbsterhaltung ohne Umschweife.

Der Aggressionstrieb ist kurz und gut Bestandteil des Eros und umgekehrt. Das Lebewesen bewahrt sein eigenes Leben dadurch, dass es fremdes zerstört. Geht nicht dieser Satz, der die mögliche psychopathologische Entwicklung eines Menschenlebens umschreibt, ebenso gut als Kriegsrhetorik durch?

Das mag übertrieben klingen. Tötungsphantasien setzen sich meist nicht in die Realität um. Aber wird im Zusammenhang mit Kriegen nicht von der "Lizenz zum Töten" gesprochen? Freud: "Was sonst als egoistisch und inhuman angeprangert wird, ist im Krieg nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht." Und im Vorgriff auf die SS-Schergen, die massenhaft töteten, schreibt er: Die böse Absicht darf ganz offiziell zur bösen Tat werden. "Absicht und Tat sind gleichwertig."

Weiter Freud: "Noch in der blindesten Zerstörungswut lässt sich nicht verkennen, dass ihre Befriedigung mit einem äußerst hohen narzisstischen Genuss verknüpft ist."1 Enthemmung ist die wichtigste psychologische Kriegsvorbereitung.

Einstein unterschrieb 1914 einen Aufruf gegen den Krieg. Freud veröffentlichte 1915 Zeitgemäßes über Krieg und Tod. Beide bezeichneten sich als Pazifisten. Was das ist, erläutert Einstein: "Ist es nicht besser, für eine Sache zu sterben, an die man glaubt, als für eine Sache zu leiden, an die man nicht glaubt, wie an den Krieg?"

Krieg verschleudere zudem Ressourcen, die hinreichend für ein menschenwürdiges Leben auf dem Planeten wären.