Warum Le Pen wohl nicht Präsidentin wird

Seite 2: Eindrücke von Marine Le Pens letzter Großveranstaltung vor der Stichwahl

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Keine Gegendemonstrantin hat sich bis hierher verirrt. Neugierige Normalbürger, die sich einfach mal vor der Stichwahl um die französische Präsidentschaft informieren möchten, ebenfalls nicht. Den Ort, den der französische Front National (FN) sich Anfang dieser Woche für seine letzte große Saalkundgebung vor der Stichwahl vom Sonntag ausgesucht hat, liegt am Ende der Welt. Genauer gesagt, am nördlichen Rand des Ballungsraums Paris, in der Nähe des Flughafens Roissy-Charles de Gaulle, den fünfundzwanzig Kilometer vom Pariser Stadtzentrum trennen.

Es war auch nicht unter der breiten Bevölkerung im Raum Paris dafür geworben worden. Wohl aber auf den Webseiten des Front National, in der Rubrik "Agenda", die durch die Aktiven konsultiert wird. Villepinte - Messegelände, Halle 5B, hieß es dort. Das Ausstellungs- und Messezentrum hat eine eigene Haltestelle, Salle des expositions, mit einem riesigen Parkplatz, auf dem die Fahrzeuge der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geparkt sind.

Aus ganz Frankreich sind die Anwesenden angereist, kaum jedoch aus dem Raum Paris, abgesehen vom westlich der Hauptstadt gelegenen Verwaltungsbezirk Les Yvelines. Dieses Département, Nummer 78, Hauptstadt Versailles, zählt zu den wohlhabenden Teilen des Großraums Paris.

Und seit Urzeiten, als der Königspalast dort noch von Monarchen bewohnt war und die loyalsten Untertanen sowie Hofschranzen sich um den Palast herum ansiedelten, ist es auch ein Hort der Reaktion. Viele Fahrzeuge kommen aus anderen westlichen Vororten wie Suresne, das von begrünten Abhängen aus einen Blick auf Paris bietet.

Alles, was aktiv und mobil ist, herangekarrt

Die Leute aus der Hauptstadtregion, die hierher kamen, zählen offensichtlich nicht zum ärmeren Teil der Bevölkerung, obwohl die Kandidatin des FN - Marine Le Pen - überdurchschnittlich in den sozialen Unterklassen und weit weniger in den Oberschichten mit höherem Bildungsstand gewählt wird. Unter den aufgereihten Bussen finden sich aber auch Kennzeichnen aus Nordfrankreich, etwa Lille, und bis nach Nizza am Mittelmeer herunter.

Der Front National hat also alles, was aktiv und mobil ist, herangekarrt. 26.000 Quadratmeter fasst die Halle, die er für sein Großereignis angemietet hat, und ausweislich der Betreibergesellschaft des Messegeländes bietet sie Platz für 25.000 Personen; Sitz- und Stehplätze zusammengerechnet. Doch, Überraschung: Weite Teile der großen Halle sind, mehr oder weniger notdürftig, mit Vorhängen abgedeckt. Diese sollen die vielen, langen leeren Sitzreihen verdecken.

Auch der französischen Presse fällt dies auf, eine Journalistin von Le Monde wird später von 6.000 Anwesenden sprechen, während der Front National behauptet, es seien über 20.000 gewesen. Dass die rechtsextreme Partei zwar mittlerweile eine breite Wählerschaft aufweist, ihr Organisationsgrad und Mitgliederstand - geschätzt auf real rund fünfzigtausend - weit dahinter zurückhinkt, ist den Expertinnen kein Geheimnis.

"Wir sind hier zu Hause"

Die ganze Veranstaltung, Ankündigung des Redners und der Rednerin und ein bisschen Stimmungsmache inbegriffen, wird nach anderthalb Stunden vorbei sein. Sie sollte vor allem Bilder für das Fernsehen produzieren. Die Ausführungen zu Sachthemen, wie der Europapolitik, werden eher mit relativem Gleichmut aufgenommen. In Schwung kommt der Saal bei den Attacken auf Emmanuel Macron, "den Vertreter der Finanzwelt", den Marine Le Pen als Banker und Globalisten attackiert.

Richtig zum Kochen kommt der Saal aber immer nur dann, wenn die Sprache auf die Einwanderung kommt. "On est chez nous, on est chez nous!", wird dann skandiert. Das bedeutet so viel wie "Wir sind hier zu Hause", impliziert aber an diesem Ort: Wir sind die Herren im Haus, nicht die Einwanderer.

Der FN - Teil der französischen Normalität?

Am Vormittag desselben Tages hatte die neofaschistische Partei versucht, gut’ Wetter zu machen, indem sie eine Abordnung zu einer Gedenkfeier für die aus Frankreich Deportierten im westfranzösischen Saint-Nazaire entsandte. Dort mussten die FN-Vertreter den Saal jedoch mehr oder weniger schamvoll verlassen, nachdem eine resolute 93jährige und frühere Widerstandskämpferin sie energisch aufgefordert hatte, ihre Sachen zu packen und zu gehen.

Am Freitag zuvor musste der Front National in Windeseile seinen kurzzeitigen Interimsvorsitzenden Jean-François Jalkh absetzen, der den Parteivorsitz zwei Tage vorher von Marine Le Pen - die ihn für die Dauer der Wahlperiode niederlegte - übernommen hatte. Ein Journalist der katholischen Zeitung La Croix hatte ein Zitat von Jalkh (Mitglied des FN seit 1974, also zum Urgestein der Partei gehörend ) aus dem April 2000 aufgefunden. Darin behauptet er, Massenvergasungen in den nationalsozialistischen Lagern habe es nicht geben können, weil die Belüftungstechnik dies nicht zugelassen hätte. So sieht der harte Kern dieser Partei nach wie vor aus.

Gar zu gerne möchte der Front National als ein Teil der französischen Normalität erscheinen. Und zugleich als donnernder Herausforderer, der das Establishment zum Erzittern bringt, erscheinen. Bislang jedenfalls scheitert er an beidem.