Warum Prominente einen Aktivisten beim "Klima-Hungerstreik" in Berlin unterstützen
Nach 77 Tagen: Wolfgang Metzeler-Kick kündigt Verschärfung von Hungerstreik an. Experten stellen sich hinter Protest. Warum tun sie das?
Das Protestcamp, das sich zuerst im Berliner Regierungsviertel befand, aber seit einigen Wochen wegen der EM-Fanmeile in den Invalidenpark vor das Bundeswirtschaftsministerium umzog, setzt sich zusammen aus einigen Schlaf- und Veranstaltungszelten.
Absoluter Hungerstreik und kritischer Zustand
Es wirkt von der Ferne fast wie ein sommerliches Ferienlager. Doch das ist es ganz und gar nicht. Es befinden sich dort noch vier Aktivisten im Hungerstreik, zwei haben in den vergangenen Tagen aufgehört und mussten im Krankenhaus versorgt werden.
Der Umweltingenieur Wolfgang Metzeler-Kick aus München hungert von ihnen am längsten, seit dem 7. März. Nun hat er angekündigt, den Protest zu verschärfen. Er werde ab heute in den absoluten Hungerstreik treten, was bedeutet, dass er nur noch Wasser, Salze und Vitamine zu sich nehme.
Metzeler-Kick hat nach Aussage der Ärztin Dr. Susanne Koch, die zum medizinischen Supportteam gehört, bisher über 20 Kilo abgenommen, sein Zustand sei kritisch. Es könne jederzeit zu Herzversagen kommen.
Warum Metzeler-Kick noch verschärft
Hungerstreiken ist ein drastisches Mittel, darüber ist sich auch Wolfgang Metzeler-Kick im Klaren. Aber er habe über die Jahre alle friedlichen Mittel ausprobiert, von Demonstrationen bis zu diversen Protestaktionen. Aber es habe nichts gebracht.
Den Hungerstreik verschärfe er jetzt, da es auch nach "77 vollendeten Hungerstreiktagen … keine nennenswerte Diskursveränderung beim Klimaschutz" gegeben habe. Es werde weiter von einem "CO2-Restbudget" gesprochen, obwohl in der Atmosphäre bereits jetzt schon entschieden zu viele Treibhausgase seien.
Das sind die Forderungen
Die Hungerstreikenden fordern den Bundeskanzler auf, anzuerkennen, dass der "Fortbestand der menschlichen Zivilisation" durch die "Klimakatastrophe extrem gefährdet" ist. Zudem sei die Kohlendioxid-Konzentration in der Erdatmosphäre mit 420 Teilchen pro Millionen (ppm) viel zu hoch.
Der Weltklimarat empfehle angesichts der Gefahren für die menschliche Zivilisation einen Zielwert von 350 ppm (bis 2150), um 1,5 Grad Celsius als maximale Erderhitzung einzuhalten. Daher seien schon jetzt hunderte Gigatonnen CO2 zu viel in der Luft.
Die Konsequenz daraus sei, dass radikal umgesteuert werden müsse. Metzeler-Kick erklärt:
Die Regierung muss den Menschen endlich die Fakten bezüglich der Klimakatastrophe zumuten. Es müssen bereits heute Hunderte von Gigatonnen CO2 aus der Luft geholt werden.
Prominente Unterstützer
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz stellten sich gestern prominente Vertreter aus Politik, Wissenschaft und der Finanzwelt hinter den Hungerstreik ("Hungern, bis ihr ehrlich seid") und seine Forderungen.
Zu den Unterstützern zählen Hans-Josef Fell, ehemaliges Mitglied des Bundestages, einer der Urheber des weltweit hundertfach kopierten Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und Präsident der Energy Watch Group (EWG), der einflussreiche Finanzinvestor Jochen Wermuth, Climate Impact Investor und Mitbegründer von Divest-Invest, einer Finanzinitiative, die inzwischen Vermögenswerte in Höhe von 40.000 Milliarden US-Dollar umfasst sowie der mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Forscher im Bereich der Solarenergie, Eicke Weber, 25 Jahre Dozent an der University of California in Berkeley, zehn Jahre Direktor des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg und Landtagskandidat für die FDP 2016.
Auf Knien danken
Sie bedankten sich für den enormen Einsatz der Hungernden auf Kosten ihrer Gesundheit und Unversehrtheit. Den Vorwurf der Erpressung, wie er von manchen in der Öffentlichkeit erhoben wird, halten sie für unberechtigt. Die Hungernden griffen für die richtige Sache in einer extremen Krisensituation zum letzten, stärksten Mittel, das ein Einzelner habe, um eine Änderung zu erwirken, und gefährdeten nur sich. So betonte Eike Weber:
Wir sollten alle Wolfgang und den Mitstreitern im Klimacamp, die sich entschlossen haben, in den Hungerstreik zu gehen, auf Knien danken dafür, dass sie es sind, die dieses Thema wirklich in die Hand nehmen. Ich glaube eigentlich sollte die ganze Menschheit alles stehen und liegen lassen und dieses Thema endlich beherzt in die Hand nehmen, denn wir kennen das Problem, wir haben die technischen Mittel, die technischen Mittel sind ja sogar wirtschaftlich lohnend und preiswert.
Hans-Josef Fell, Jochen Wermuth und Prof. Dr. Eicke Weber betonten zugleich, dass die Forderungen richtig seien. Die Treibhausgase müssten rasant auf null sinken, während hunderte Gigatonnen aus der Atmosphäre wieder gebunden werden müssten, um die Welt langfristig klimatisch stabil zu halten.
Wir befinden uns im Notstand
Wir befinden uns, so die Experten, in einem historischen Notstand, auf den die deutsche Regierung nicht oder nicht angemessen reagiere. Fell verwies dabei auf die Folgen, sollte der politische Kurs nicht schnell geändert werden:
Die Kohlendioxid-Konzentration von 420 ppm, die derzeit in der Luft herrscht, kann die menschliche Zivilisation nicht auf Dauer ertragen. Wir sehen das gerade im Saarland. Dort ereignet sich gerade schon wieder ein schlimmes Hochwasser, in einer Region, in der in 70 Jahren bereits drei Jahrhunderthochwasser waren. Eine auffällige Häufung und ein klarer Hinweis auf die katastrophale Entwicklung der Klimakrise und trotzdem kein Wort vom Kanzler zum Klimaschutz.
Viele Millionen Menschen würden sterben, wenn die Realität, wie sie die Hungerstreikenden zutreffend auf den Punkt bringen, nicht anerkannt und entsprechend gehandelt werde, ergänzte Eike Weber. Grundvoraussetzung dafür sei Ehrlichkeit von Regierung und Politik.
Segen für deutschen Wirtschaftsstandort
Der Finanzinvestor und Mitbegründer der globalen fossilen Divestment-Initiative Wermuth verwies darauf, dass es auch ökonomisch unsinnig sei, an Kohle, Gas und Öl festzuhalten, da die Erneuerbaren billiger Energie bereitstellen können. Für den Wechsel, der sozial und global gerecht ablaufen müsse, brauche es klare politische Vorgaben.
Viele wollen in Deutschland investieren, aber damit Gelder fließen, brauchen Investoren verlässliche Rahmenbedingungen. In einem Land, in dem wissenschaftlich nachgewiesene Realitäten ignoriert werden, kann man nicht investieren. Darum wäre es ein Segen für unseren Wirtschaftsstandort, wenn die Regierung endlich ehrlich über die Klimakrise spräche.
Schon früher hatten die Organisation Scientists for Future und der renommierte deutsche Klimawissenschaftler Hans-Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, langjähriger Berater von Ex-Kanzlerin Merkel und dem ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso sowie "Vater" der Zwei-Grad-Leitplanke, erklärt, dass man die Forderungen des Hungerstreiks unterstütze.
"Wissenschaftlich solide und vernünftig"
Die Forderungen seien "wissenschaftlich solide und vernünftig", hieß es von der Wissenschaftler-Organisation in einer Stellungnahme. Auch eine Reihe von Bundestagsabgeordneten haben das Camp bereits besucht und mit den Streikenden gesprochen.
Die Klimaschutz-Experten Fell, Weber und Wermuth fordern zusammen mit der Ärztin Susanne Koch nun alle Bundestagsabgeordneten zum Handeln auf. In einem von ihnen unterschriebenen Brief, der in den kommenden Tagen an die MdBs versendet wird, ermuntern sie die Parlamentarier, Olaf Scholz zu kontaktieren, damit er "das Notwendige tut, nämlich in einer Krise die Wahrheit zu kommunizieren".