Warum Stillen für den Klimaschutz gut sein soll
Britische Wissenschaftler sagen, dass auch die Ernährung von Säuglingen klimafreundlich erfolgen soll, Muttermilchersatz trage auch zur Erhöhung der CO2-Emissionen bei
Wenn es um CO2-Emissionen und deren Vermeidung geht, trifft es letztlich jeden. Der Versuch, die globale Temperatur bis 2100 möglichst nicht mehr als 2 Grad Celsius über dem Wert zu Beginn der Industrialisierung steigen zu lassen, dürfte zwar kaum mehr gelingen, zu träge sind die Gesellschaften, den Lebensstil und die Art des Wirtschaftens radikal und schnell umzustellen.
Manche fordern inzwischen einen birthstrike, also den Verzicht, weil jeder neue Mensch die CO2-Emissionen weiter in die Höhe treibt. Nach der viel zitierten Studie von Seth Wynes und Kimberly Nicholas aus dem Jahr 2017 würden in den Industrieländern durch ein Kind weniger jährlich 58.6 Tonnen CO2- Äquivalente eingespart. Ohne Autobenutzung hingegen nur 2,4 Tonnen oder durch eine vegetarische Ernährung gerade einmal 0,8 Tonnen jährlich. Einen transatlantischen Flug jährlich weniger zu machen, würde auch schon 1,5 Tonnen sparen. Bei der Berechnung der Klimakosten pro Kind wurden allerdings deren Kinder und Kindeskinder einbezogen, was die Emissionen in die Höhe treibt. Amerikaner, die den größten CO2-Fußabdruck haben, sind jährlich pro Kopf für nur 16 Tonnen verantwortlich. Das ist also schon ein bisschen schief gerechnet.
3,8 Millionen Tonnen Milchpulver werden jährlich produziert
Britische Wissenschaftler weisen nun in einem Artikel in der medizinischen Fachzeitschrift BMJ darauf hin, dass eigentlich auch eine Kulturrevolution in der Babyernährung notwendig wäre. Kein Problem gibt es mit dem Stillen, aber mit den Alternativen zur Muttermilch sieht es nicht so gut aus. Stillen mit der Muttermilch verbraucht wenige Ressourcen und hinterlässt keinen Abfall, dafür aber gesündere Kinder. Ganz anders ist das mit Muttermilchersatz und Milchprodukten für Kinder, die Umweltschäden bewirken und nach den Autoren ein global zunehmendes Problem darstellen.
Weltweit werden nur 41 Prozent aller 140 Millionen Säuglinge bis zum sechsten Monat ausschließlich gestillt. In Deutschland werden zwar anfangs die meisten Säuglinge gestillt, das geht aber nach zwei Monaten rapide zurück. Nach 6 Monaten wurden nur noch etwa 50 % aller Säuglinge überhaupt gestillt, je nach Studie wurden in dem Alter noch 10-25 Prozent voll gestillt. Tendenziell geht der Anteil der voll gestillten Kinder im Alter von sechs Monaten zurück. Muttermilchersatz ist also ein großer Markt.
Die Lebensmittelindustrie, allen voran die Fleisch- und Milchproduktion, trage zu 30 Prozent der globalen CO2-Emissionen bei. Für einen Kilogramm Milch werden durchschnittlich 940 Liter Wasser verbraucht. Aus einem Liter kann man etwa 200 g Milchpulver herstellen, d.h. allein zur Herstellung eines Kilogramms Milchpulver werden 4700 Liter Wasser verbraucht. Neben dem großen Wasserverbrauch gibt das Vieh eine Menge an Methan ab, das die Erwärmung 30mal stärker anheizt als CO2.
Die Autoren haben noch weitere beeindruckende Zahlen und verweisen auf eine Studie aus dem Jahr 2009, nach der jährlich 550 Millionen Babymilchdosen anfallen, was 86.000 Tonnen Metall- und 364.000 Tonnen Papiermüll entstehen lässt. Seitdem habe sich die Babymilchindustrie verdoppelt. Zu den Kosten kommen neben Werbung - jährlich 5,6 Milliarden Euro - Versand, Papierverbrauch, Plastikmüll und Transport bei Produktion, Vermarktung und Verkauf. Und weil Milchpulver alleine für einen Säugling keine ausreichende Nahrung ist, muss Babymilch noch mit Zusätzen angereichert werden wie Palm-, Kokosnuss- oder Sonnenblumen-, Algen- oder Fischöl, Mineralstoffe und Vitamine. Die Produktion kann auch umweltschädlich sein, beispielsweise wenn es um Palmöl geht. Jährlich werden 3,8 Millionen Tonnen an Babymilch in nur 40-50 Fabriken erzeugt, so dass schon alleine der Transport zu den Fabriken und dann zu den Konsumenten erhebliche CO2-Emissionen zur Folge hat.
Und es gibt viele weitere Faktoren, die Muttermilchersatz klimaschädlich werden lassen. Das Wasser für Milchpulver sollte abgekocht sein. Fläschchen, Sauger und Löffel sollten mit mindestens 65 Grad heißem Wasser gesäubert oder besser noch einige Minuten in kochendem Wasser sterilisiert werden. Die Wissenschaftler schätzen, dass das Aufkochen des Wassers für die Fläschchen in Großbritannien jährlich zu 1,5 Millionen kg CO2-Äquivalente führt, was dem Aufladen von 200 Millionen Smartphones entspreche.
Alles in allem würde das sechsmonatige Stillen gegenüber dem Füttern mit Muttermilchersatz zwischen 95 und 153 kg CO2-Äquivalent pro Baby einsparen. Würden Mütter so lange stillen, so wäre der Effekt damit vergleichbar, jedes Jahr zwischen 50.000 und 77.500 Autos aus dem Verkehr zu nehmen.
Die Autoren fordern bessere Informationen für die Mütter vor der Geburt und für die Entwicklung von Ernährungsplänen, mehr Geld für die entsprechende medizinische Ausbildung, mehr Berater und besseren Zugang zu gespendeter Milch in Milchbanken: "Ein Kulturwandel ist lange überfällig, um die vielen Widerstände abzubauen, mit denen neue Mütter konfrontiert sind." Weil das "Haus in Flammen" stehe und schnell der CO2-Fußabdruck in allen Lebensbereichen reduziert werden müsse, sei das Stillen auch Teil der notwendigen Veränderungen.
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