Warum auch militärisch die teure Großtechnologie ein Auslaufmodell sein könnte

Mit unbemannten Mini-Langstreckenflugzeugen ließe sich das geplante amerikanische Raketenabwehrschild relativ einfach buchstäblich unterlaufen

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Entschlossen will die neue amerikanische Regierung, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld allen voran, an den Plänen festhalten, in Form des "Son of Star Wars" das Raketenabwehrsystem NMD zu realisieren, das die USA und womöglich einige befreundete Staaten vor Angriffen mit transkontinentalen Raketen schützen soll. Rumsfeld hat das eben in München noch einmal unmissverständlich klar gemacht. Das teure technische Großprojekt einer "Amerikanischen Mauer" basiert, sollte sie je überhaupt funktionieren, auf den entscheidenden Elementen der Radar-Frühwarnsysteme, die melden, wann ein Abschuss erfolgt ist, und der Abfangraketen, die unbeirrt von möglichen Attrappen das feindliche Geschoss treffen müssen. Allerdings belegt ein kleines, unscheinbares, weitgehend aus Holz bestehendes, über GPS-Navigation sich selbst steuerndes Flugzeug, dass die vielen Milliarden Dollar von vorneherein in den Sand gesetzt sein können.

Die Schwäche des NMD ist sowieso, dass mit den EKVs (Exoatmospheric Kill Vehicles), die von dreistufigen Trägerraketen in den Raum geschossen werden und nur außerhalb der Atmosphäre richtig funktionieren, bestenfalls wenige Langstreckenraketen rechtzeitig abgeschossen werden könnten. Gegen einen Angriff eines Staates, der wie Russland über viele solcher Raketen mit Nuklearsprengköpfen verfügt, wäre der Schild weitgehend wirkungslos. Gedacht ist er denn auch - nach dem Gleichgewicht des Schreckens im Zeitalter des Kalten Krieges - als Schutz gegen die "Halunkenstaaten", die solche Nuklearraketen möglicherweise nur in einer kleinen Anzahl besitzen und überdies schneller einmal losschlagen können als die Großmächte.

Die Herstellung von Langstreckenraketen und Nuklearsprengköpfen erfordert einen großen Apparat, viel Geld und große Anlagen. All das macht es nicht leicht, solche Aktivitäten über längere Zeit hinweg heimlich betreiben zu können. Seit längerer Zeit ist in den US-Strategieprogrammen der Nationalen Sicherheit daher neben der Bedrohung durch den Cyberwar auch die durch Chemische und Biologische Waffen, den sogenannten Massenvernichtungswaffen des kleinen Mannes, eingearbeitet worden. Sie können relativ billig, ohne großen Aufwand, mit auf dem Markt erhältlichen Bestandteilen und unauffällig hergestellt, in das Land eingeführt und in Form von Anschlägen auch eingesetzt werden. Die großen militärischen Apparate und die teuren technischen Systeme, mit denen man bislang ein Land verteidigt oder angegriffen hatte, nutzen im Hinblick auf solche terroristischen Szenarien nicht mehr viel.

So gibt es bereits kleine, billige und unbemannte Flugzeuge, die über weite Entfernung fliegen und Bomben, unentdeckbar von Radaranlagen, relativ präzise an ihr Ziel bringen könnten. Und ihr Vorteil könnte sein, dass man auf solche kleinen Dinger nicht achtet. Beispielsweise ist 1987 dem Deutschen Mathias Rust sogar mit einer Cessna gelungen, so tief zu fliegen, dass er vom Radarsystem nicht wahrgenommen werden und schließlich überraschenderweise mitten auf dem Roten Platz konnte. Aber bemannt muss ein Flugzeug eben nicht mehr sein, wodurch es schon viel kleiner werden kann und auch die vom Radar registrierbaren Metallteile weitgehend verschwinden können. Und wer achtet schon auf Flugzeuge in der Größe von Modellflugzeugen?

Da ist beispielsweise der Flugzeugtyp Aerosonde, hergestellt von der Insitu Group, eine Art Stealth Bomber des kleinen Mannes für weite Flüge. 13 Kilogramm schwer ist es, ausgestattet mit einem GPS-Empfänger, einigen Gyroskopen, einem normalen Motor, einem Generator für die Elektronik, Flügeln und Lenksysteme von Modellflugzeugen und natürlich einem Kleinstcomputer an Bord, so dass sich die Flugroute und -höhe vorprogrammieren lässt. Aus symbolischen Gründen trat man 1998 zur Atlantiküberquerung an, wozu das Flugzeug gerade einmal 8 Liter Treibstoff benötigte. Vier Flugzeuge wurden losgeschickt, eines schaffte die Strecke über 3200 Kilometer von Neufundland bis zu den Hebriden, der Inselgruppe im Norden Schottlands. Mit Atlantiküberquerungen hat man schon oft die Leistungskraft neuer Schiffe und Flugzeuge demonstriert. Am bekanntesten ist natürlich der Flug von Lindbergh von New York bis Paris im Jahr 1927.

Da es sich noch um einen Prototyp gehandelt habe, so die Entwickler des unbemannten Miniaturflugzeugs für lange Strecken, habe man sicherheitshalber vier auf die Reise losgeschickt. Eines der Flugzeuge stürzte kurz nach dem Start wegen eines Softwarefehlers ab, die beiden anderen vermutlich wegen mechanischen Pannen. Lamia, das erfolgreiche Flugzeug, flog meist in einer Höhe von 1680 Metern, also unterhalb des überwachten Luftraums über dem Atlantik, weil man es nicht fernsteuern konnte, die letzten 150 Kilometer flog es knapp über dem Meer, um den britischen Anforderungen zu genügen und als Modellflugzeug zu gelten. Gleichwohl, Lamia stellte einen Weltrekord ein: es war das kleinste Flugzeug, das jemals den Atlantik überquert hatte - und es war das erste unbemannte, dass eine so weite Strecke bewältigt hatte. Dieses Jahr soll mit einem transpazifischen Flug gezeigt werden, dass die Flugzeuge noch viel weitere Strecken überwinden können.

Gedacht sind die Miniaturflugzeuge eigentlich für den Wetterdienst oder als Erkundungsflugzeuge. Aber natürlich lassen sie sich auch im Prinzip mit einem etwas stärkeren Motor ausstatten, um etwa einen nuklearen Sprengsatz, Giftgas oder biologische Waffen in eine Großstadt zu bringen. An die 10000 Dollar kostet so eine Maschine, deren Bestandteile sich überall rechtmäßig kaufen und in einer Garage zusammenbauen lassen. Das ist weder von der Beschaffung, der Technik oder der Produktion auffällig - und entgeht gewiss den Aufklärungssatelliten. Es sind auch keine auffälligen Flugplätze oder Abschussrampen notwendig, die Kleinstflugzeuge lassen sich von einem Autodach oder einem kleinen Schiff starten - Tausende von Kilometern von ihrem Ziel entfernt und so tief fliegend, dass kaum jemand sie bemerken wird oder gar denkt, dass da eine gefährliche Angriffswaffe angeflogen kommt.

Für gerade einmal eine Million Dollar, so schreibt Jef Raskin, könne man also eine Armada von 100 Flugzeugen herstellen und gleichzeitig gegen ein feindliches Land starten lassen. Und auch wenn nur ein Viertel der Flugzeuge mit den Massenvernichtungswaffen an Bord ihr Ziel erreicht, dann kann schon viel Unheil angerichtet werden.

Beteiligt an den von der Insitu Group entwickelten Kleinstflugzeugen sind australische meteorologische und Umweltbehörden, die Universität Washington, aber auch Boeing - und das US Office of Naval Research. Trotz NMD ist das Militär natürlich auch an solchen Kleinstflugzeugen interessiert, mit denen unauffällig, ohne Risiko für Piloten und billig Erkundungen durchgeführt werden können (aber vielleicht denkt man ja auch daran, sie anderes in einem Kamikazi-Flug transportieren zu lassen).

Die herkömmlichen Langstreckenraketen, wie sie im Kalten Krieg entwickelt wurden und vor denen die Bush-Regierung, bestehend aus der Kalten-Kriegs-Generation, die USA schützen wollen, gehören schon zum Arsenal der auslaufenden Waffensysteme. Ähnlich wie die Organisationen in der Wirtschaft schlanker, flexibler und heterarchischer werden, geht auch der Krieg von der teuren Hightech, den großen Armeen und den schweren Waffen zu kleineren, beweglichen und unauffälligen Gruppen mit entsprechenden Waffensystemen über, die kaum mit den Mitteln des traditionellen Militärs noch zu kontrollieren und zu bekämpfen sind. Gewaltige Investitionen in die Rüstungsindustrie zur Entwicklung des NMD oder von Satelliten mit Laserwaffen mögen vielleicht der technischen Entwicklung wieder einen Anstoß geben, wie dies schon einmal gerade bei der Entwicklung der Computertechnologie der Fall gewesen ist, aber die militärische Überlegenheit lässt sich damit im Zeitalter der terroristischen Anschläge, die auch aus der Ferne mit billigen Mitteln über das Internet oder mit solchen Kleinstflugzeugen durchgeführt werden können, immer schwerer sichern. Die Frage ist freilich, ob man das eher beruhigend oder bedrohlich finden wird ...

Auf den Artikel The Piper Cub Offense von Jef Raskin hatte mich TP-Leser "g'o'tz ohnesorge" aufmerksam gemacht.