Warum auf die Pandemie kein Investitionsboom folgt

Seite 2: Schwächere Dynamik durch vorsichtiges Agieren

Weil jedes Unternehmen bestrebt ist, Kosten zu senken, könnte nun angenommen werden, dass die Konkurrenzlage zu Preisnachlässen zwingt und sich die Gewinnerwartungen in Luft auflösen. Auf diesen Aspekt nahm Karl Marx Bezug, als er die maßgebliche Rolle des Wettbewerbs für die Entwicklung der Produktivkräfte hervorhob.

Die Dynamik des kapitalistischen Systems beruht nach seiner Theorie darauf, dass jeder Produzent "bei Strafe des Untergangs" investieren muss, was ihm kurzfristig höhere Profite einbringt. Indem er den Produktivitätsvorsprung zur Steigerung der Produktion nutzt, geht dieser Vorteil zwar tendenziell verloren, weil es zu einem Überangebot kommt und das Preisniveau sinkt. Da jedoch schwächere Konkurrenten ausgeschaltet werden, kann das Unternehmen seinen Marktanteil vergrößern und nach Stabilisierung der Preise einen dauerhaften Gewinnzuwachs erzielen.

Dieser Prozess, den Joseph Schumpeter als "schöpferische Zerstörung" bezeichnete, war zu einer Zeit prägend, als weitgehende Unkenntnis der jeweiligen Marktlage bestand. Es war diese faktische Blindheit, die periodisch zu Überproduktionen führte und Wirtschaftskrisen verursachte. Eine unvermeidliche Folge war die Vernichtung von Kapital.

Solche Gefahren sind in der Gegenwart angesichts des umfassenden und ständig aktualisierten Informationsangebots weitaus geringer. Unternehmen agieren vorsichtiger, und im Ernstfall verfügen Regierungen über ein Instrumentarium, mit dem sie gegensteuern können.

Dabei soll nicht ausgeschlossen werden, dass es für manche Unternehmen und Branchen rentabel ist, mittels Preisnachlässen den Kundenstamm zu vergrößern. Zuweilen werden auch Investitionen getätigt, die sich erst Jahre später auszahlen. Ein Beispiel ist der gewaltige Mitteleinsatz japanischer Autoproduzenten in Reparatur- und Vertriebsnetze während der 70er-Jahre, um die Märkte Westeuropas und Nordamerikas erobern zu können.

Größere, auf Expansion angelegte Investitionsschübe gibt es gegenwärtig allenfalls noch in China, Indien und anderen Ländern mit hohem Wachstum. Weshalb sie im wirtschaftlichen Einzugsbereich des Westens überwiegend der Vergangenheit angehören, hat strukturelle Ursachen. Da diese sich in Abhängigkeit von der Größe und Marktposition eines Unternehmens unterscheiden, sollen im Folgenden multinationalen Kapitalgesellschaften und mittelständischen Produzenten gesondert betrachtet werden.

Marktbeherrschung durch Oligopolstrukturen

Global agierenden Großkonzernen kommt ein wachsendes Gewicht zu. Nach einer Studie der ETH Zürich ist die Kapitalkonzentration derart fortgeschritten, dass 147 Konzerne rund 40 Prozent jener 43.060 international tätigen Unternehmen kontrollieren, die in der Wirtschaftsdatenbank Orbis erfasst sind.

Da diese Zahlenangaben zehn Jahre alt sind, dürfte sich der Prozess weiter intensiviert haben. Indem die Anzahl der "Global Player" schrumpft, wird ein Boden für die Bildung von Oligopolen bereitet. Zugleich wird deren Tätigkeitsfeld erweitert, weil immer neue Wirtschaftssektoren von einer Konzentrationswelle erfasst werden.

Die Funktionsweise von Oligopolen wird durch die Spieltheorie beschrieben. Je geringer die Zahl der Mitglieder ist und je mehr sie voneinander wissen, desto eher lässt sich ein Nash-Gleichgewicht erzielen. Dabei handelt es sich um einen Zustand, der jedem der Beteiligten einen größtmöglichen Nutzen bringt.

Im Kern geht es dabei um ein Austaxieren von Einzel- und Gruppeninteresse, was sich exemplarisch bei Profifußballern aufzeigen lässt. Einerseits wollen sie als Individuen brillieren, um ihren Marktwert zu erhöhen. Andererseits müssen sie mannschaftsdienlich spielen, damit das Team erfolgreich ist und öffentlich wahrgenommen wird.

Um zu gewährleisten, dass sich einzelne Konzerne Brancheninteressen unterwerfen, gibt es vielerorts personelle und Eigentumsverflechtungen. Ferner stärken gemeinsame Bezugsquellen und Vermarktungskanäle die gegenseitige Abhängigkeit, zugleich verschaffen sie Kostenvorteile. Explizite Preisabsprachen und Marktaufteilungen sind nicht erforderlich, da jeder ausscherende Akteur die Konkurrenten zu gleichen Schritten zwingen würde, was letztlich allen zum Nachteil gereicht.

Das Hauptaugenmerk der Mitglieder eines Oligopols ist auf die Kontrolle des Angebots gerichtet. Um das Preisniveau zu halten, darf nur so viel produziert werden, wie der Markt aufnehmen kann. Investitionen dienen vornehmlich Kosteneinsparungen, wodurch sich das Ertragsniveau steigern lässt. Deren weiterer Zweck ist die Erhaltung des technologischen Vorsprungs, um einem Einstieg von Außenseitern in den exklusiven Club der Marktführer vorzubeugen.

Innerhalb eines Oligopols finden gleichwohl Machtverschiebungen statt. Gewöhnlich beruhen sie auf technologischen Durchbrüchen oder erfolgreichen Verkaufsstrategien einzelner Akteure. Für den schwächeren Part empfiehlt sich in solchen Fällen ein freiwilliger Rückzug aus den betroffenen Teilmärkten.

Obgleich derartige Situationen eher eine Ausnahme darstellen, kommt es zuweilen zu drastischen Umwälzungen. Besonders betroffen sind Branchen mit hohem Innovationspotenzial. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Aufstieg und Fall des Mobiltelefonherstellers Nokia während der Übergänge vom Festnetz zum Handy und vom Handy zum Smartphone.

Da Übereinkünfte zwischen Konzernen schwer zu belegen sind, erweist sich die Kartell-Gesetzgebung als stumpfes Schwert. Zudem wird sie von Regierungen oftmals bewusst ignoriert, wenn diese etwa nationale Flaggschiffe zu globalen Champions aufrüsten.

Zu dem breitgefächerten Arsenal gehören Vorleistungen bei Forschung und Infrastruktur, Steuerermäßigungen, günstige Finanzierungen, Lobbyismus im Ausland und sogar Sanktionen gegen globale Konkurrenten. Wiederholt beklagen internationale Organisationen wie IWF und WTO sowie die EU-Kartellbehörde eine Verzerrung des Wettbewerbs. Dennoch wird diese Praxis nicht nur beibehalten, sondern offen vorangetrieben.

Gefährdeter Mittelstand und ambivalente Erfahrungen bei Neugründungen

Im Gegensatz zu großen Konzernen sind mittelständische Unternehmen nicht durch Oligopolstrukturen geschützt. Dies macht sie verwundbar, soweit sie nicht eine wichtige Nische etwa im Technologiebereich besetzen. Das Streben nach gesichertem Absatz der eigenen Produktion tritt zunehmend an die Stelle von Gründerelan mit hoher Risikobereitschaft.

Einen gewissen Einfluss haben Generationswechsel, die allgemein von einer geringeren Identifikation mit dem Betriebsgeschehen begleitet werden. Der noch größere Anteil von Familienunternehmen im östlichen und mittleren Deutschland mag hierdurch zu erklären sein.

Neben dem Zurückbleiben der Konsumnachfrage bilden der beschleunigte technologische Wandel und die Herausforderungen der Globalisierung ein unsicheres Umfeld. Besonders gefährdet sind Produzenten, die als Zulieferer oder verlängerte Werkbank transnationaler Konzerne fungieren. Da sie jederzeit durch Akteure in Billiglohnländern ersetzt werden können, müssen sie ständig um ihre Aufträge bangen.

Dass Eigentümer von Mittelstandsbetrieben riskante Investitionen meiden und stattdessen Teile ihres Vermögens in marktgängigen Wertpapieren anlegen, ist ihnen nicht zu verdenken. Ebenfalls dürften sie bereitwilliger Übernahmeangebote mächtiger Konkurrenten akzeptieren, die selbst eine marktbeherrschende Stellung anstreben.

Die vielen in letzter Zeit gegründeten Start-ups und Ich-AGs sind eine positive Erscheinung und schaffen ein gewisses Gegengewicht. Es werden einerseits neue Wirtschaftsbereiche erschlossen. Andererseits werden Arbeitskräfte absorbiert, die infolge von Kosteneinsparungen größerer Unternehmen freigesetzt worden sind.

Dennoch soll deren volkswirtschaftliche Bedeutung nicht überbewertet werden. Bis auf einige Ausnahmen wie der Spielindustrie und Teilen des Consulting-Business handelt es sich um Tätigkeitsfelder mit hohem Abbruchrisiko und geringen Einkünften. Mittels billiger Leistungsangebote nehmen die Newcomer häufig alteingesessenen Unternehmen Aufträge weg.

Eine häufige Folge ist die Entlassung vernünftiger bezahlten Personals. Gleichwohl ist der Investitionsaufwand bei Unternehmensgründungen im Dienstleistungsbereich allgemein gering. Bei der Sharing Economy ist er faktisch null.