Warum bauen wir nicht mehr so, wie wir leben wollen?

Tulous in einer Hakka-Siedlung in der Provinz Fujian im Südosten Chinas. Bild: Zhangzhugang / CC-BY-SA-3.0

Was traditionelle Architektur zum globalen Wandel beizutragen hat. Und warum Bauen sich von unseren Bedürfnissen entkoppelt hat. Ein Essay.

Vor fast siebzig Jahren hielt der Philosoph Martin Heidegger in Darmstadt seinen berühmten Vortrag mit dem Titel Bauen Wohnen Denken. Er kritisierte die technokratische Architektur seiner Zeit und trat für ein Bauen ein, das sich als Gedächtnis der Wohnwünsche der Menschen begreift, als Speicher für das Wissen darum, wie man sich in der Welt verortet.

Doch verbessert hat sich die Situation seither nicht. Im Gegenteil: Das Bauen ist eher zum Gegenstand allgemeinen Unbehagens geworden. Was einmal als Bereicherung galt, wird inzwischen als Verunstaltung empfunden. Umso mehr scheint es angeraten, einen Blick darauf zu werfen, wie und welche Wege der Mensch gefunden hat, sich mittels Architektur lebenswerte Bedingungen zu schaffen.

"Architecture without Architects", hieß die epochale Schau, die Bernard Rudofsky 1964 für das New Yorker Museum of Modern Art gestaltete. Es war ein enzyklopädischer Bericht aus der Geschichte menschlicher Behausung und ein so spannender wie emphatischer Blick auf anonymes, tradiertes Bauen. Architektur sei nicht nur eine Frage der Technik und Ästhetik, sondern der Rahmen für eine – im besten Fall vernünftige – Lebensweise, hat Rudofsky einmal in einem Vortrag angemerkt.

Was die einen bloß als Hütten oder vernakuläre Massenprodukte wahrnahmen, war ihm eine differenzierte Innensicht wert. Weder wollte er darin Chaos, noch das mystische Bild einer idealen Gemeinschaft erkennen. Selbst aus Quartieren, die nur aus der blanken Not entstanden, fand er eine große Vielfalt von Bauformen und Räumen entwickelt: wandlungsfähiger und humaner als viele Produkte von Profis.

Daraus folgt: Ob in der Gegenwart oder in kulturgeschichtlichen Vergangenheiten, ob in Yunnan, auf den Kykladen, in Japan oder am Amazonas: Wir sind gut beraten, erneut nach jenen anthropologischen Konstanten zu suchen, die für das zeitgenössische Bauen fruchtbar gemacht werden können.

In Vorderasien verfügen die Häuser über Holzbalustraden in den oberen Stockwerken, die Fensteröffnungen sind durch ein fein gedrechseltes Kunstwerk aus Holz versehen, das das helle Licht gut absorbiert. Diese Holzgitter werden Mashrabia genannt. Man kann zwar von innen hinaussehen, aber niemand kann hineinschauen. Sie sind nicht (nur) Dekor, sondern funktionaler Teil der Architektur – wie auch sternförmige Öffnungen in der Gewölbedecke; die in ihrem Zusammenspiel wunderbare Lüftung im heißen und extremen Klima mit gleißendem Sonnenlicht bringen.

Mashrabia an einem Palast in Kairo. Bild: Gérard Ducher / CC-BY-SA-2.5

In der südchinesischen Provinz Fujian hat die ethnische Minorität der Hakka eine so prägnante wie wehrhafte Architektur entwickelt: Festungsgleiche Rundhäuser, bis zu 70 Meter im Durchmesser und mit zehn Meter hohen Lehmmauern, nur ein paar winzige Fenster weit oben, die eher Scharten gleichen.