Warum bauen wir nicht mehr so, wie wir leben wollen?

Seite 2: Architektur war einst zwangsläufig klimagerecht

Die Suche nach Parallelen ist vergeblich, allenfalls bietet die Stierkampfarena ein Behelfsbild. Innen überwiegt Holz; sonnenverbrannt, fast schwärzlich, kleidet es die Bauten mit Holzbalkonen aus, auf denen die einzelnen Zimmer zu erreichen sind.

Nicht horizontal, sondern vertikal sind die Wohnsegmente angeordnet, wie Tortenstücke also, so dass eine Familie vom Erdgeschoss bis unters Dach wohnt. Oder die Technik des Windturms, wie sie sich am arabischen Golf etabliert hat – sie ist ein anderes, wirkmächtiges Beispiel: Denn damit lassen sich ganz ohne Kompressoren und ohne Kältemitteleinsatz die Temperaturen in Innenhöfen und Räumen auf ein erträgliches Niveau drücken.

Cum grano salis lässt sich sagen, dass in vorindustrieller Zeit die Architektur zwangsläufig klimagerecht war. Dies ist ablesbar an den regional unterschiedlichen Bauweisen. Ein Gebäude in Griechenland war anders strukturiert als eines in Skandinavien. In den Bergen baut man anders als am Meer.

Geometrie, Farbgebung, Fensterflächen, Dachformen, aber auch Grundrissgestaltung waren an die herrschenden Klimabedingungen so weit wie möglich dergestalt angepasst, dass mit möglichst geringem Energieeinsatz ein möglichst hoher Komfort für die Gebäudenutzer erwuchs.

Traditionelle oder autochthone Alltagsarchitektur, wie sie überall auf der Welt bis tief in unser Jahrhundert hinein existierte, wird äußerlich von der Form und den örtlich verfügbaren Baustoffen geprägt. Betrachtet man sie unter dem Gesichtspunkt des Energiesparens, so entpuppt sie sich in der Regel als meisterhaft durchdacht und wirkungsvoll.

So weist etwa die Halbkugel des Iglu, der Schneehütte der Eskimos, die kleinste Oberfläche bei gegebenem Rauminhalt auf und somit den geometrisch geringstmöglichen Wärmeverlust. Aber auch der alpine Bauernhof manifestiert sich als Musterbeispiel für solches, den lokalen Klimaerfordernissen angepasstes Bauen.

Es gehorcht einer breiten Palette an Anforderungen, indem es Topografie, Vegetation und Gewohnheiten einbezieht: nach Süden gerichtet (für passive Solarnutzung), oft in einen Hang eingebettet, kleine und gedrungene Hausform bevorzugend, wärmedämmender Heuboden, Nadelbäume und Hügel als Windbrecher, Vorratsräume vielfach im Erdboden.

Zwischen Baustoff, Bauweise und Bauform besteht ein wechselseitiger Zusammenhang. Das industriell erzeugte Produkt sieht deshalb anders aus als das handwerklich hergestellte. Zwischen einer massiven Ziegelmauer und einer mit Abstand vor Betonwand und Isolierschicht gesetzten Ziegelvorsatzschale ist der Unterschied auch in der Erscheinung fundamental, das qualitative Gefälle unübersehbar.

Ein anderer Aspekt ist ästhetischer Natur. Er betrifft das Verhältnis von Innovation und Konvention. Im Zeichen der Avantgarden gewann das Kriterium des Neuen hohen Stellenwert (eine "neue Architektur" für den "neuen Menschen"). Die Informationsästhetik erklärte uns, was wir längst wissen konnten: Dass nämlich Neues nur im Kontext mit Bekanntem die Chance hat, verstanden zu werden.

Wenn das Maß des Neuen zu groß ist, tritt Entfremdung ein. (Deswegen wohl auch der verbreitete Unmut am sogenannten "Bauwirtschaft-Funktionalismus".) Die "Postmoderne" der 1980er-Jahre war ein Versuch in dieser Richtung – allerdings ein untauglicher: Historische Motive lediglich als "Zitat" zu verwenden, ist nichts als inhaltsleere Rhetorik.