Warum die Berichterstattung über Till Lindemann so ekelig ist wie seine Pornos

Seite 3: Wie glaubwürdig sind die Akteure in diesem Skandal?

Kiwi-Verlegerin Kerstin Gleba veröffentlichte dazu zwei verquaste Erklärungen, die im Grunde neben Ihrer Illoyalität gegenüber Geschäftspartnern nur von mangelnder Ehrlichkeit und Mutlosigkeit des Hauses zu zeugen scheinen.

Denn argumentiert wird mit einem Pornovideo Lindemanns, in dem er "sexuelle Gewalt gegen Frauen zelebriert" und in dem "das 2013 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienene Buch 'In stillen Nächten' eine Rolle spielt", wie es verschämt heißt.

Es dauert weniger als eine Minute, um das entsprechende Video über Google auf einer beliebten Pornoplattform zu finden. Zu sehen ist unter anderem eine blonde, nackte Frau, die das 2013 erschienene Kiwi-Buch von einem Dildo durchbohrt in die Kamera hält.

Ansonsten ist das Video, in dem Lindemann später auch noch Körperteile zur Schau stellt, die man – ganz ehrlich – weder dort noch auf der Bühne sehen möchte, so peinlich, dass man sich fragen muss, wie viele Drogen und sozialer Kontrollverlust nötig sind, um so ein Machwerk entstehen zu lassen.

Sexuelle Gewalt gegen Frauen wird aber vor allem in einem anderen Video zelebriert, das bereits ein Jahr zuvor, 2020, von einer angeblichen Userin aus Kiew auf ein Unser-Profil mit dem Namen Lindemanns hochgeladen wurde.

Hält die Kiwi-Herausgeberin Gleba peinliche Sexfilme generell für einen Kündigungsgrund?

Hat sie sich einfach nicht ausreichend mit den Vorwürfen auseinandergesetzt?

Oder hält sie Pornos, in denen ihre eigenen Bücher vorkommen, gar für verwerflicher als eindeutig frauenverachtende Filme?

Kaum zu glauben, dass der Verlag die beiden Videos nicht kannte. Denn das erste von Lindemanns Fremdschäm-Filmchen mit eindeutig frauenfeindlichem Charakter erschien 2020, zeitgleich mit dem Kiwi-Band "100 Gedichte". Darin auch das Porno-Poem "Wenn du schläfst", das Vergewaltigungsfantasien beschreibt.

Für Kiwi schien das verlegerisch offenbar völlig in Ordnung zu sein, solange sich damit Geld verdienen ließ. Doch nun überstieg offenbar der befürchtete Schaden den zu erwartenden Gewinn.

So bleiben vom Fall Lindemann bisher nur viele Behauptungen; Frauen, die mutmaßlich Opfer sexueller Übergriffe geworden sind und nun an die Öffentlichkeit gezerrt werden; Skandalberichte, die Klicks generieren sollen. Und eine entweder unprofessionelle oder feige Verlegerin.

Aber nichts Greifbares, nichts Bewiesenes. Das alles erinnert sehr an den Fall Julian Assange, bei dem sich entsprechende Vorwürfe in Luft aufgelöst haben.

Bei den Linken in Rheinland-Pfalz wurde kürzlich ein Politiker ausgeschlossen, weil er die damalige Landesvorsitzende nach deren Aussage als "Wixxvorlage" bezeichnet haben soll – während die Staatsanwaltschaft Trier nach einer Gegenanzeige des Mannes noch prüft, ob der Vorwurf beweisbar ist oder selbst einen Straftatbestand erfüllt.

Und natürlich schwebt über allem die Causa Jörg Kachelmanns, der nachweislich Opfer einer kriminellen Falschbeschuldigung geworden ist, dem aber bis heute das Stigma des Vergewaltigers anhaftet – woran Medien einen erheblichen Anteil haben.

Offenbar hat man bei NDR und SZ aus solchen Fehltritten nichts gelernt. Und wenn sich die Vorwürfe im Fall Lindemann nicht erhärten? Dann wird man sich in Hamburg und München darauf berufen, man habe ja nur über "Vorwürfe" berichtet und alles schön im Konjunktiv gehalten.

Einen in der Sache wenig beachteten, aber bemerkenswerten Akzent setzte die Band Rammstein übrigens selbst. Sie wehrte sich in einer Stellungnahme gegen Vorverurteilung, bat aber ihre Fans vorab: "Beteiligt euch nicht an öffentlichen Vorverurteilungen jeglicher Art denen gegenüber, die Anschuldigungen erhoben haben. Sie haben ein Recht auf ihre Sicht der Dinge."