Warum die Ehe allmählich zu einem Privileg der Mittel- und Oberschicht wird

COF_Landscape.jpg:Bild: Vanessa Fulcher/CC BY-SA-3.0

In einem Bericht warnen konservative US-Stiftungen vor einer zunehmenden "Klassenspaltung bei der Heirat und der Familienstruktur"

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Dass sich konservative US-Stiftungen wie das American Enterprise Institute und Opportunity America für Familien und die Ehe einsetzen, kann nicht verwundern, das sind Kernthemen einer konservativen Weltsicht. Aber dass sie nun von Klassenunterschieden beim Heiraten sprechen und monieren, dass die Heirat zu einem Privileg der Besserverdienenden geworden sei, ist doch überraschend. Gesprochen wird von einer "zunehmenden Ehekluft" zuungunsten der ärmeren Schichten. Der Trend ist interessant, aber auch die Interpretation aus konservativer Sicht.

In den 1970er Jahren war nicht nur die überwiegende Mehrheit der Amerikaner im Alter zwischen 18 und 55 Jahren verheiratet, es gab auch noch keine Unterschiede hinsichtlich der Einkommensschichten. Das hat sich bereits in den 1990er Jahren gewandelt. Zwar war noch mehr als die Hälfte der Erwachsenen verheiratet, aber die Unterschiede zwischen den Einkommensschichten wurden bereits bemerkbar. 65 Prozent der Mittel- und Oberschicht waren verheiratet, bei der Arbeiterklasse waren es 57 Prozent und bei den Armen bereits nur 51 Prozent.

2015 hat sich das Bild noch einmal weiter verschoben. Mit 26 Prozent ist nur noch ein Viertel der Unterschicht verheiratet, in der Arbeiterklasse sind es 39 Prozent, während mit 56 Prozent weiterhin die Mehrheit der Oberschicht verheiratet ist. Allgemein geht die Zahl der Menschen, die überhaupt heiraten, weiter zurück, aber warum unterscheiden sich Unter- und Mittel- bzw. Oberschicht so stark?

Zur Arbeiterklasse werden Menschen gerechnet, die einen Highschool-Abschluss oder auch eine Zeitlang am College waren, aber keinen Hochschulabschluss besitzen oder deren Einkommen unterhalb des Median zwischen dem 20. und 50. Einkommensperzentil liegt. Das sind 21 Prozent der Altersgruppe. Als arm gelten Menschen, deren Familieneinkommen unter dem 20. Perzentil liegt oder die keinen Schulabschluss haben. Das sind etwa 22 Prozent der Menschen zwischen 18 und 55 Jahren. Zur Mittel- und Oberschicht, zu der 57 Prozent der Altersgruppe zählen, zählen die Menschen, deren Einkommen über dem Median liegt oder die einen Hochschulabschluss haben.

Wer heiratet, geht größere Verpflichtungen gegenüber dem Partner ein, als wenn er nur mit diesem zusammenlebt. Die Menschen aus der Unterschicht leben deswegen keineswegs alle als Singles, sie ziehen nur häufiger das informelle Zusammenleben als Mitglieder der anderen Schichten dem Heiraten vor. Während 13 Prozent der Geringverdiener zusammenleben, ohne verheiratet zu sein, sind es in der Einkommensmittel- und -oberschicht nur 5 Prozent.

Menschen mit niedrigem Einkommen und geringer Bildung leben trotzdem oft als Single. Um die 60 Prozent aus dieser Schicht sind Single, aus der Arbeiterklasse sind es 50 Prozent, aber nur 4 Prozent aus den reicheren und bessergebildeten Schichten. Und auch die Scheidungsraten sind bei den Geringverdienern deutlich höher als bei den Besserverdienenden. Das ist auch eine Folge davon, dass in Umfragen bei den Reicheren die Ehe als öfter als glücklich bezeichnet wird, als in den einkommensschwächeren Schichten.

Da Frauen aus der Schicht der Geringverdiener mit einer Fertilitätsrate von 2,4 mehr Kinder haben als die aus der Arbeiterklasse mit 1,8 oder die Reicheren mit 1,7, wachsen mehr Kinder in der Unterschicht in alleinerziehenden Haushalten auf. Zudem werden viel mehr Kinder außerehelich geboren. In den reicheren Schichten ist dies relativ selten. Hier heiraten 51 Prozent, bevor Kinder kommen, während dies in der Unterschicht nur bei 16 Prozent der Fall ist, während 61 Prozent erst ein Kind bekommen. Allerdings ist der Anteil der Nichtverheirateten und Kinderlosen mit 31 Prozent in der Mittel- und Oberschicht am höchsten, in den anderen Schichten sind es 23 Prozent.

Die liberale Kultur, nicht die Ökonomie soll die Ursache sein

Die Studienautoren wollen die "Klassenspaltung bei der Heirat und der Familienstruktur" aber nicht alleine auf ökonomische Gründe zurückführen. Allerdings finden sich unter den Geringverdienern mehr Arbeitslose, vor allem arbeitslose Männer ohne sicheres Einkommen sind für Frauen auf dem Heiratsmarkt nicht attraktiv. Während Frauen aber Männer auch durch Kinder zu binden suchen, kann die finanzielle Belastung Männer, die kein oder wenig Geld haben, aus der Verantwortung flüchten lassen. Ökonomische Unsicherheit fördert wohl auch, nicht schnell zu heiraten, sondern erst einmal zusammenzuleben, aber es werden in jüngerem Alter schnelle Beziehungen eingegangen, die auch zu Schwangerschaften führen. Wer mehr Bildung oder Geld hat, plant hingegen Beziehungen stärker und achtet mehr auf Empfängnisverhütung. Dazu kommt, dass Frauen auch mehr darauf achten, finanziell selbständig zu sein und keinen Mann zu haben, für den sie finanziell sorgen müssen

Aber die Autoren weisen darauf hin, dass es während der großen Depression in den 1930er Jahren keine vermehrten Scheidungen, mehr Alleinerziehende und instabile Partnerschaften gegeben habe. Auf der einen Seite habe der Gang in die postindustrielle Gesellschaft ab den 1970er Jahren dazu geführt, dass weniger Männer aus der Unterschicht und Arbeiterklasse feste Jobs mit gutem Verdienst finden, weswegen sie weniger attraktiv für das Heiraten werden, aber dafür eher Anlass für Scheidungen bieten. Die Autoren führen die Veränderungen stärker auf Veränderungen in der Kultur zurück, wobei man hier wieder in das gewohnte Argumentationsmuster der Konservativen zurückfällt. Würde man ökonomisch argumentieren, müsste man etwas an den Eigentumsstrukturen etwa durch höhere Besteuerung verändern. Da sei Gott vor. Wenn es um den Verfall der Sitten und Normen geht, können die Reichen dafür nichts und sind die Opfer tendenziell selbst schuld:

Die Gegenkultur, die sexuelle Revolution und der Anstieg des expressiven Individualismus in den 1960er und 1970er Jahren haben die Normen, Werte und Tugenden untergraben, die starke und stabile Ehen und Familien stärken. In anderen Worten: Die mit der Ehe verbundene Kultur veränderte sich vor dem ökonomischen Wandel, der oft mehr Aufmerksamkeit erhält.

Die Argumentation wird nun gefinkelt. So wird gesagt, dass die Geringverdienenden deswegen von einer kulturellen Schwächung der Ehe betroffen werden, weil sie beispielsweise keine Hausbesitzer sind. Das würde nämlich die Stabilität der Ehe fördern, während die Ärmeren weniger von Scheidungen zu verlieren haben, da ja nichts da ist. Das würde dann bedeuten, dass Geld und Vermögen die Ehen stabilisiert und Auseinandergehen mehr Ängste hervorruft. So wäre man wieder unfreiwillig beim ökonomischen Argument gelandet. Es wird auch gesagt, dass Sozialprogramme weniger die Aufrechterhaltung von Ehen gestützt, sondern diese untergraben hätten. Und dann sein auch noch die Bindung an die Religion und die Kirchen zurückgegangen.

Man könnte durchaus vermuten, dass die Angst bei den Konservativen umgeht, dass es mit der Ruhe und der Sicherheit des Wohlstands vorbei sein könnte, wenn die Einkommensungleichheit und die mit dieser verbundenen Folgen weiter zunehmen. Es müssten die Normen, die mit Ehe und Kinderkriegen verbunden sind, verstärkt werden, so die Losung. Damit kann man die wachsende ökonomische Ungleichheit auf sich beruhen lassen. Neues Opium für das Volk ist notwendig.