Warum die zypriotische Bankguthaben-Steuer richtig ist
Kann eine Überschuldungskrise gelöst werden, ohne die Vermögen anzufassen?
Ganz Europa und die halbe Welt empört sich darüber, dass die europäischen Finanzminister eine Beteiligung der Einleger in zypriotischen Banken an der nächsten Staatsfinanzierungsrunde beschlossen haben. Diese Empörung darf als Zeichen für die mangelnden Wirtschaftskenntnisse der Bürger gedeutet werden. Zwar geht es in der Diskussion vordergründig um die Ersparnisse von "Kleinsparern", hintergründig müsste es jedoch um die Frage gehen: Wie kann eine Überschuldungskrise gelöst werden, ohne die Vermögen anzufassen?
Die Antwort: Gar nicht. Geldvermögen des einen sind Schulden des anderen. Noch vor wenigen Jahren konzentrierte sich die Krisen-Aufmerksamkeit auf die Banken und das Banksystem, welche durch staatliche Zahlungen stabilisiert wurden. Die meisten Staaten Europas sind jedoch selbst verschuldet und mit der damaligen Banken-Unterstützung verstärkte sich das Staatsschuldenproblem. Oder besser: Die Infektion griff vom Banksystem auf die Staaten über. Schulden sind jedoch nichts, was "einfach so entsteht". Schulden entstehen durch einen Vertrag zwischen einem Kreditnehmer und einem Kreditgeber. Den deutschen wie den zypriotischen Staatsschulden stehen deshalb Geldvermögen in gleicher Höhe gegenüber: Die Halter der Staatsanleihen betrachten die Staatsschulden als ihr Vermögen.
Diese nicht nur symbiotische, sondern geradezu existenzielle Verknüpfung von Geldvermögen auf der einen und Geldschulden auf der anderen Seite zieht sich jedoch durch das gesamte Finanzsystem. Nicht nur den Staatsschulden stehen Geldvermögen gegenüber, sondern auch den Unternehmens- und Privatschulden. Oder andersherum betrachtet: Jedem Euro Geldvermögen steht eine Geldschuld von 1 Euro gegenüber: Sobald ein Mensch eine Einlage bei einer Bank hat, schuldet diese Bank dem Kunden diesen Euro. Die Höhe der Bankschulden bei diesem Einleger entspricht also der Höhe seines Geldvermögens bei dieser Bank.
Diese untrennbare Verbindung zwischen Geldschuld und Geldvermögen findet sich auch im Entstehungsprozess des Geldes. Das von uns tagtäglich für Transaktionen genutzte Geld namens Euro ist ja nicht "einfach so da", sondern es wird per Kreditvergabe der Zentralbank an die Banken und durch Kreditvergabe der Banken an die Nichtbanken "geschöpft". Wenn eine Bank einen Kredit genehmigt und diesen Kredit auf das Konto des Kreditnehmers überweist, entsteht Geld. Dieses Geld, welches sich als positive Zahl auf einem Konto ausdrückt, ist aus systemischer Sicht aber nicht loslösbar von dem dazugehörigen (Schöpfungs-)Kredit. Selbst wenn das Geld "ausgegeben" wird ist der Kredit weiterhin vorhanden und auf systemischer Ebene gilt daher:
Summe aller Geldschulden = Summe aller Geldvermögen
Da in einem Geldsystem diese Grundregel nicht eliminierbar ist, bedeutet dies: Wenn in einem Finanzsystem (in unserem Fall das Euro-System) einzelne Akteure überschuldet sind, so müssen andere Akteure übervermögend sein. Es gilt zudem: Ein reales Abschmelzen der Geldschulden ist unmöglich, ohne zugleich die Geldvermögen abzuschmelzen. Jede Überschuldungskrise ist daher auch eine Übervermögenkrise und jede Verkleinerung des Geldschuldenberges erzwingt eine Verkleinerung des Geldvermögensberges. Das eine ohne das andere zu tun ist systemisch unmöglich.
An dieser Wahrheit sind wir im Zuge der mehrjährigen Euro-Krise inzwischen angekommen, auch wenn die aktuelle Mediendiskussion recht populistisch auf "Kleinsparer unter 100.000 Euro werden enteignet" abzielt. Würden alle 500 Millionen Einwohner der EU diesen Geldvermögensgrenzwert erreichen, wären im Euro-System 500 Billionen Euro Geldvermögen und - natürlich! - 500 Billionen Euro Geldschulden unterwegs. Zum Vergleich: Die Deutsche Bundesbank gibt die privaten Geldvermögen in der größten europäischen Volkswirtschaft mit weniger als 5 Billionen Euro an. Dies zeigt die Willkürlichkeit der 100.000-Euro-Grenze wie auch ihre außerordentliche Großzügigkeit: Es dürfte in Europa nur wenige 4-köpfige Familien mit einem Geldvermögensbestand von 100.000 Euro geben.
Da in der aktuellen Konfiguration des Finanzsystems jedoch nur unwesentliche dämpfende Regeln und Parameter installiert sind, dafür jedoch ein dauerhaft positiver Zinssatz ein stark aufschaukelndes Element darstellt, ist eine Gesamtaufschaukelung des Systems systemimmanent: Geldvermögen und - spiegelbildlich - Geldschulden wachsen tendenziell mit einer dem Zinssatz entsprechenden Wachstumsrate. Daher neigt das Gesamtsystem strukturell zu Übervermögen und Überschuldung.
Ist diese Analyse korrekt, ergibt sich daraus:
- Ohne ein Abschmelzen von Geldvermögen ist eine Geldschuldenkrise unlösbar. Politisch verhandelbar ist die Frage, wer Geldvermögen in welcher Höhe beitragen sollte.
- Die tendenziell aufschaukelnde Konfiguration des Finanzsystems wird - sofern sie nicht "umprogrammiert" wird - auch nach der aktuellen Verschuldungskrise immer wieder zu neuen Verschuldungskrisen führen.
Sparen in Geld ist grundsätzlich risikobehaftet
Grundsätzlich muss infrage gestellt werden, inwiefern "Sparen in Geld" überhaupt risikofrei sein kann und falls nicht, wie sich das Risiko ausdrückt. Es gilt: Geld kann man nicht essen. Geld ist daher ein Anspruch auf Leistungserbringung. In diesem Sinne ist jegliches Halten von Geld eine Spekulation darauf, in einer unbestimmten Zukunft dieselbe Menge an Leistung eintauschen zu können, die man heute eintauschen könnte. Geldhaltung ist somit risikobehaftet.
Sobald Geld darüber hinaus in Form einer Bankeinlage gehalten wird, ist diese Bankeinlage ein Anspruch auf den Leistungsanspruch; also "ein Anspruch zweiter Ordnung". Zur Spekulation auf die künftige Leistungsfähigkeit der Wirtschaft kommt hier die Spekulation auf die Zahlungsfähigkeit der Bank hinzu. "Sparen in Geld" ist daher grundsätzlich mit Risiken behaftet, und es gilt zu fragen, wie sich diese Risiken in der Realität zeigen.
Der sogenannte "Einlagensicherungsfonds" mit seiner willkürlichen 100.000 Euro-Grenze kann nur punktuelle Ausfälle ausgleichen, niemals jedoch ein systemisches Problem abfangen. Auf systemischer Ebene hat der Einlagensicherungsfonds eher eine psychologische Stabilisierungsfunktion.
Wir brauchen ein neues Geld-Bild
Im Idealfall führt der weitere Verlauf der Euro-Krise zu einer Neubewertung dessen, was Geld ist, wie es funktioniert und wie es konfigurierbar ist. Das Bild des Geldes als "materielles Ding", wie es aus der "Münzhaftigkeit" des 19. Jahrhunderts herrührt, ist unzeitgemäß. Der Widerspruch zwischen dem Geldbild, das in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrscht, und der faktischen Form des GeldSYSTEMS, wie wir es tagtäglich (unbewusst) anwenden, muss zu krisenhaften Spannungen führen.
Ohne eine Korrektur unseres Geldverständnisses dürfte die Euro-Krise nicht lösbar sein, und auch die mancherorts aufkeimende Hoffnung auf eine stabile Deutsche Mark ist dann trügerisch. Ein erster Schritt zu einem neuen Geldbild wäre geschafft, wenn die (endlich!) offensichtliche Einbeziehung von Geldvermögen zur Kappung von Geldschulden am Beispiel Zyperns auch in den Medien systemisch erläutert wird und nicht das trügerische materielle Bild des "uneingeschränkten Geldeigentums" aufrechterhalten bleibt.
Aus der Doppelhaftigtkeit, wonach Geldvermögen zugleich immer Geldschulden eines anderen sind, sollte deutlich werden, dass Geld immer ein Verhältnis zwischen mindestens zwei Menschen ist und daher nie einer allein Eigentum an diesem sonderbaren Vertragsverhältnis beanspruchen kann. Der Eigentumsbegriff in der Geldwelt ist bislang stark materiell geprägt, es gilt aber zu diskutieren, wie "Eigentum an einem Vertragsverhältnis" überhaupt funktionieren soll.
Über all diese Aspekte ließe sich in der neuen Aufgeregtheit um die Wirkungen der drohenden Staatspleite Zyperns wunderbar diskutieren. Wenn da nicht das Problem wäre, dass Journalisten und Politiker genau wie alle anderen Angst um "ihr Geld" haben und damit selten frei von Eigeninteresse sind. Frei in diesem Sinne wären wir alle erst, wenn das System konsequent rebootet würde: Durch ein Zurücksetzen aller Konten und Verträge. Technisch ginge das, juristisch sind wir - dank Krise - auf dem besten Wege dahin. Aber würden wir das auch im Kopf aushalten?