Warum keine Vermögensstatistik stimmt

Seite 2: Listen der größten Vermögen

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Die Schere zwischen Arm und Reich reißt immer weiter auseinander. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass sehr Viele wenig besitzen, und sehr Wenige sehr viel. Über die geringen und nicht existenten Vermögen der unteren 99 Prozent weiß man alles. Über die viel wichtigeren Vermögen der Superreichen wissen Forschung, Politik und Medien nichts Genaues. Also wird geschätzt.

Bei "Existenzgründern" wie Amazon-Gründer Jeff Bezos wissen diese Magazine, wie hoch der Anteil seiner Aktien an Amazon ist und wo der Aktienkurse stehen. Ausmultipliziert und ergänzt um seinen Anteil an der Washington Post springt eine Zahl heraus. In den meisten Fällen wissen die Medien jedoch nicht, wie genau sich die Vermögen von Superreichen zusammensetzen und was sie wert sind.

Da die meisten Superreichen ihre Vermögen global verstreuen und über verschwiegene Vermögensverwalter in Steueroasen und Stiftungen verbergen, ist die Dunkelziffer inoffizieller Vermögen enorm. Interessanterweise sind ausgerechnet die Vermögen der US-Milliardäre relativ transparent. Die Gesetzeslage in den USA ermöglichen der Börsenaufsicht SEC und der Finanzbehörde IRS, sehr genau zu erfassen, wer wie viel Vermögen besitzt. Betrachtet man zum Beispiel Bill Gates Aktienportfolio, stellt man fest, dass es nur noch zu einem kleinen Bruchteil aus Microsoft-Aktien besteht. Den größten Teil hat er über Warren Buffets Fondsgesellschaft Bershire Hatahway in Coca Cola, Heinz Ketchup und Apple (sic!) umgeschichtet. Sogar seine Anteile an einem Müllentsorger sind höher als an Microsoft.

Umschichtungen von Vermögen und das Verschleiern vor der Öffentlichkeit sind die Existenzgrundlage von Vermögensverwaltern. Unterstützt durch das Bankgeheimnis sowie internationale Konstrukte nutzen sie alle Gestaltungsspielräume. Wo es - wie in Deutschland - keinen Zwang zur Offenlegung von Vermögen vor Steuerbehörden gibt, verschwinden daher die Spitzen der Vermögensgebirge in den Wolken. Wenn sich zum Beispiel Aldi-Erben 100 Millionen Euro aus einer Stiftung auszahlen lassen, liegt die Vermutung nahe, dass solche Vermögen eher persönlicher Natur als neutrale Stiftungsvermögen sind.

Trotz der Nebelbänke der Vermögensverwalter versuchen Magazine wie Bloomberg, Forbes und Manager Magazin, Milliardärslisten zusammenzustellen. Diese Vermögensschätzungen basieren jedoch lediglich auf dem öffentlich bekannten Teil der größten Vermögen. Auch in Deutschland erstellt das Manager Magazin die Listen der reichsten Personen mit der einfachen Formel "bekannter/vermuteter Anteil am eigenen/geerbten Unternehmen mal Aktienkurs/Marktwert". Was nicht öffentlich bekannt ist, bleibt unberücksichtigt.

Zahl der Superreichen in der Vermögensstatistik: 1

Weder an der PHF-Umfrage der Bundesbank noch an den SOEP Umfragen noch an den Mikrozensus-Vermögensumfragen nehmen die reichsten Haushalte teil. Superreiche würden ohnehin nicht antworten. Deshalb fragte ich die Bundesbank:

"Beim Mikrozensus des Statistischen Bundesamts zum Thema Einkommen werden Haushalte ab 18.000 Euro Monatseinkommen ausgeklammert. Die reichsten Haushalte werden also überhaupt nicht abgebildet. Wie hoch liegt das Vermögen des reichsten teilnehmenden Haushalts an Ihrer Studie? Wie viele Haushalte ab einem Vermögen von 30 Mio. Euro / Dollar (Definition der Credit Suisse als Untergrenze für "superreich", davon gibt es rund 20.000 Haushalte in Deutschland) und ab 1 Milliarde Euro sind enthalten?

Antwort der Bundesbank: Null Milliardäre, Null Haushalte ab 100 Mio. Euro Vermögen, lediglich in der 2017er-Umfrage war 1 Haushalt mit über 30 Mio. Euro Vermögen enthalten. Das heißt: Ausgerechnet die Vermögendsten fehlen in der Vermögensstatistik.

Stellt man die Zahlen von Bundesbank, Destatis und DIW nebeneinander, wird deutlich, wie wenig man weiß. Laut DIW besaßen im Jahr 2014 die 45 reichsten Haushalte in Deutschland so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung: nämlich um die 214 Milliarden Euro Vermögen. Diese Zahlen enthalten jedoch lediglich die öffentlichen bekannten Unternehmensbeteiligungen, Stiftungsvermögen und Immobilienbesitztümer. Das DIW vermutet, dass das reichste Promille der deutschen Haushalte 15 Prozent, das reichste Prozent rund ein Drittel des Vermögens und die reichsten elf Prozent der Deutschen zwei Drittel des Vermögens besitzen. Markus Grabka, einer der Autoren der DIW Vermögensstudie, die 2015 im Auftrag für die Hans-Böckler-Stiftung des DGB erstellt wurde, erklärte: "Die reichsten Deutschen verfügen über einen deutlich größeren Anteil am Gesamtvermögen der Deutschen als bisher geschätzt." Selbst die neue Schätzung dürfte nur ein Schritt in die richtige Richtung sein.

In Deutschland ist das Nichtwissen der Vermögensverteilung extrem. Ob das politisch gewollt ist? Schreiben Sie Ihre begründete Meinung dazu bitte in die Kommentare.

Wie entwickelt sich die Ungleichverteilung?

Die Bundesbank interpretiert die Daten ihrer Umfrage so, dass der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit der Vermögen ausdrücken soll, von 76 (2014) auf 74 (2017) gesunken sei. Sprich: Es habe eine Vermögensumverteilung von Reich nach Arm stattgefunden. Da die reichsten Haushalte an der Bundesbank-Studie gar nicht teilnahmen, ist diese Behauptung durch keine validen Daten untermauert.

Wir erinnern uns: Mitte der 1990er-Jahre hieß es, dass in Deutschland die oberen 10 Prozent rund zwei Drittel des Vermögens besitzen. Heute soll das angeblich noch genau so sein. Eine Umverteilung von Arm nach Reich fände demnach nicht statt. Die Reichen würden nicht reicher, und der Abstand zum Rest der Gesellschaft bliebe gleich. Wenn das stimmte, wären die zahlreichen Berichte über die Vermögenssteigerungen der Reichen unrepräsentativ.

Im zweiten Teil dieses 3-Teilers zum Thema Vermögen geht es um die Ursachen, warum systembedingt die Vermögenskonzentration und -kumulation immer weiter zunimmt. Teil 3 stellt eine Lösungsmöglichkeit des Problems vor.

Über den Autor: Jörg Gastmann ist Buchautor und Sprecher der NGO economy4mankind.org, die das alternative Wirtschaftssystem Economic Balance System vertritt.

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