Warum keine Vermögensstatistik stimmt

Bild: Matthias Wewering, Pixabay

Die aktuelle Bundesbank-Statistik zeigt: Alle Vermögensverteilungsstatistiken sind Makulatur, weil die reichsten Haushalte nicht enthalten sind

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"Vermögen in Deutschland sind deutlich gestiegen", meldete die Bundesbank. Der Titel dieser Pressemitteilung ist ebenso korrekt wie irreführend. Wie relevant ist der Mittelwert, wenn der Median (mittlerer Wert) weit darunter liegt? Wessen Vermögen sind gestiegen und wessen nicht? Aus welchen Gründen sind die Vermögen bestimmter Gruppen gestiegen?

Die Bundesbank erklärte auf Grundlage ihrer Umfrage "Private Haushalte und ihre Finanzen" (PHF), dass ein Vermögenszuwachs im Untersuchungszeitraum von 2014 bis 2017 vor allem auf höheren Marktwerten von Immobilien (plus 12 Prozent) und Aktien (plus 13 Prozent) beruhe. Haushalte mit nennenswertem Aktieneigentum befinden sich allerdings fast ausschließlich unter den reichsten 10 Prozent der Gesellschaft. Die kleine Minderheit der Immobilienvermieter erfreut sich steigender Marktpreise, die steigende Mieten bewirken und die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderreißen. Der Begriff "Deutschland" ist auch beim Vermögenszuwachs nicht anwendbar.

Steigende Immobilienpreise mehren zwar auf dem Papier auch den Buchwert von Immobilien, in denen die Eigentümer selbst bewohnen. Nur können sie sich davon nichts kaufen. Abgesehen davon, dass durch einen steigenden Wert eine höhere Grundsteuer droht, ist ein Wertzuwachs bedeutungslos, wenn man ihn nicht realisiert. Wer nicht verkauft, hat nichts vom höheren Buchwert.

Wer ein im Wert gestiegenes Haus verkauft und die Einnahmen zum Kauf eines gleich teuren Hauses ausgibt, hat nichts gewonnen. Das ist ein Nullsummenspiel. Wer ein teureres Haus kauft, zahlt beim allgemeinen Immobilien-Wertzuwachs drauf. Von einem Immobilienvermögenszuwachs profitieren Bewohner real nur, wenn sie den Gewinn realisieren, das heißt: verkaufen, ohne etwas Gleichartiges dafür zu kaufen. Eigentümer könnten natürlich durch die gestiegene Hypotheken-Kreditwürdigkeit einen höheren Kredit erhalten, um sich höher zu verschulden.

Die Interpretation der Statistik als "gestiegener Reichtum" hat zumindest Spielraum.

Fehlende und falsche Daten bei Bundesbank, DIW und Statistischem Bundesamt

Die drei großen Urheber von Vermögensstatistiken in Deutschland sind das Statistische Bundesamt (Destatis), die Bundesbank und das Deutsche Institut der für Wirtschaftsforschung (DIW). Sie alle arbeiten mit Umfragen, die durch zwei Konstruktionsfehler zu völlig falschen Ergebnissen führen: Die Daten basieren auf Umfragen, die nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, große Vermögen werden gar nicht erfasst. Damit ist die Statistik nicht nur fehlerhaft, sondern meilenweit von der Realität entfernt.

Der Bundesbank stellte ich diese Frage: "Wie beim sozioökonomischen Panel des DIW oder beim Destatis-Mikrozensus zum Thema Einkommen basiert Ihre Studie 'Private Haushalte und ihre Finanzen (PHF)' auf freiwilligen Angaben der Teilnehmer. Nun gilt in Deutschland Armut als Schande, und Reichtum lebt typischerweise (anders als z.B. in den USA) bevorzugt im Verborgenen. Folgen: Menschen mit geringen Einkommen und Vermögen neigen zu beschönigenden Angaben, Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen neigen zum Verschweigen und Untertreiben. Frage: Wie haben Sie die Angaben der Befragten verifiziert?"

Die Bundesbank antwortete: "Wir prüfen den Datensatz hinsichtlich seiner inhaltlichen Plausibilität, indem wir die mit den PHF-Daten errechneten Kennzahlen mit denen aus anderen Quellen vergleichen. Dabei greifen wir z.B. auf Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts (Mikrozensus, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) aber auch auf andere Befragungen und Statistiken (z.B. Immobilienpreise, sektorale Vermögensbilanzen) zurück. Diese Analysen helfen Extremwerte und unplausible Strukturen zu identifizieren, die anschließend geprüft werden. Außerdem berechnen wir bestimmte Kennzahlen für jeden Haushalt, wie etwa die Immobilienpreise und Mieten pro Quadratmeter oder das Verhältnis der Konsumausgaben zum Einkommen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen."

Das heißt: Falsche Angaben der Finanzschwachen werden nur entdeckt, wenn das Schwindeln zu offensichtlich ist. Verschwiegene Vermögen werden niemals entdeckt. Eine Überprüfung der Umfrage-Behauptungen findet nicht statt.

Das Gleiche gilt für die unverifizierten Destatis-Vermögensumfragen (Teil des Mikrozensus) und des DIW (soziooekonomisches Panel SOEP). Die bei ökonomischen und politischen Themen umstrittene Wikipedia enthält keinerlei Kritik an der Datenqualität von SOEP- und Mikrozensus-Vermögensstatistiken und betrachtet die Behauptungen aus unvollständigen, unüberprüften Umfragen als harte Fakten.

Mit einer Ausnahme sind auch alle Einkommensstatistiken, die auf Umfragen basieren, bloße Makulatur. Die einzige belastbare Einkommensstatistik ist die Einkommensteuerstatistik des Statistischen Bundesamts. Sie ist die Zusammenfassung aller Steuererklärungen an die Finanzämter.

Forscher von Bundesbank, Destatis und DIW würden nur zu gern realistische Statistiken zur Vermögensverteilung präsentieren. Seit jedoch die Kohl-Regierung 1997 die Vermögensteuer abschaffte und sich seitdem alle Regierungen weigerten, sie wieder einzuführen, gibt es keine Vermögensteuererklärungen und damit keine vollständigen und verifizierten Daten.

Listen der größten Vermögen

Die Schere zwischen Arm und Reich reißt immer weiter auseinander. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass sehr Viele wenig besitzen, und sehr Wenige sehr viel. Über die geringen und nicht existenten Vermögen der unteren 99 Prozent weiß man alles. Über die viel wichtigeren Vermögen der Superreichen wissen Forschung, Politik und Medien nichts Genaues. Also wird geschätzt.

Bei "Existenzgründern" wie Amazon-Gründer Jeff Bezos wissen diese Magazine, wie hoch der Anteil seiner Aktien an Amazon ist und wo der Aktienkurse stehen. Ausmultipliziert und ergänzt um seinen Anteil an der Washington Post springt eine Zahl heraus. In den meisten Fällen wissen die Medien jedoch nicht, wie genau sich die Vermögen von Superreichen zusammensetzen und was sie wert sind.

Da die meisten Superreichen ihre Vermögen global verstreuen und über verschwiegene Vermögensverwalter in Steueroasen und Stiftungen verbergen, ist die Dunkelziffer inoffizieller Vermögen enorm. Interessanterweise sind ausgerechnet die Vermögen der US-Milliardäre relativ transparent. Die Gesetzeslage in den USA ermöglichen der Börsenaufsicht SEC und der Finanzbehörde IRS, sehr genau zu erfassen, wer wie viel Vermögen besitzt. Betrachtet man zum Beispiel Bill Gates Aktienportfolio, stellt man fest, dass es nur noch zu einem kleinen Bruchteil aus Microsoft-Aktien besteht. Den größten Teil hat er über Warren Buffets Fondsgesellschaft Bershire Hatahway in Coca Cola, Heinz Ketchup und Apple (sic!) umgeschichtet. Sogar seine Anteile an einem Müllentsorger sind höher als an Microsoft.

Umschichtungen von Vermögen und das Verschleiern vor der Öffentlichkeit sind die Existenzgrundlage von Vermögensverwaltern. Unterstützt durch das Bankgeheimnis sowie internationale Konstrukte nutzen sie alle Gestaltungsspielräume. Wo es - wie in Deutschland - keinen Zwang zur Offenlegung von Vermögen vor Steuerbehörden gibt, verschwinden daher die Spitzen der Vermögensgebirge in den Wolken. Wenn sich zum Beispiel Aldi-Erben 100 Millionen Euro aus einer Stiftung auszahlen lassen, liegt die Vermutung nahe, dass solche Vermögen eher persönlicher Natur als neutrale Stiftungsvermögen sind.

Trotz der Nebelbänke der Vermögensverwalter versuchen Magazine wie Bloomberg, Forbes und Manager Magazin, Milliardärslisten zusammenzustellen. Diese Vermögensschätzungen basieren jedoch lediglich auf dem öffentlich bekannten Teil der größten Vermögen. Auch in Deutschland erstellt das Manager Magazin die Listen der reichsten Personen mit der einfachen Formel "bekannter/vermuteter Anteil am eigenen/geerbten Unternehmen mal Aktienkurs/Marktwert". Was nicht öffentlich bekannt ist, bleibt unberücksichtigt.

Zahl der Superreichen in der Vermögensstatistik: 1

Weder an der PHF-Umfrage der Bundesbank noch an den SOEP Umfragen noch an den Mikrozensus-Vermögensumfragen nehmen die reichsten Haushalte teil. Superreiche würden ohnehin nicht antworten. Deshalb fragte ich die Bundesbank:

"Beim Mikrozensus des Statistischen Bundesamts zum Thema Einkommen werden Haushalte ab 18.000 Euro Monatseinkommen ausgeklammert. Die reichsten Haushalte werden also überhaupt nicht abgebildet. Wie hoch liegt das Vermögen des reichsten teilnehmenden Haushalts an Ihrer Studie? Wie viele Haushalte ab einem Vermögen von 30 Mio. Euro / Dollar (Definition der Credit Suisse als Untergrenze für "superreich", davon gibt es rund 20.000 Haushalte in Deutschland) und ab 1 Milliarde Euro sind enthalten?

Antwort der Bundesbank: Null Milliardäre, Null Haushalte ab 100 Mio. Euro Vermögen, lediglich in der 2017er-Umfrage war 1 Haushalt mit über 30 Mio. Euro Vermögen enthalten. Das heißt: Ausgerechnet die Vermögendsten fehlen in der Vermögensstatistik.

Stellt man die Zahlen von Bundesbank, Destatis und DIW nebeneinander, wird deutlich, wie wenig man weiß. Laut DIW besaßen im Jahr 2014 die 45 reichsten Haushalte in Deutschland so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung: nämlich um die 214 Milliarden Euro Vermögen. Diese Zahlen enthalten jedoch lediglich die öffentlichen bekannten Unternehmensbeteiligungen, Stiftungsvermögen und Immobilienbesitztümer. Das DIW vermutet, dass das reichste Promille der deutschen Haushalte 15 Prozent, das reichste Prozent rund ein Drittel des Vermögens und die reichsten elf Prozent der Deutschen zwei Drittel des Vermögens besitzen. Markus Grabka, einer der Autoren der DIW Vermögensstudie, die 2015 im Auftrag für die Hans-Böckler-Stiftung des DGB erstellt wurde, erklärte: "Die reichsten Deutschen verfügen über einen deutlich größeren Anteil am Gesamtvermögen der Deutschen als bisher geschätzt." Selbst die neue Schätzung dürfte nur ein Schritt in die richtige Richtung sein.

In Deutschland ist das Nichtwissen der Vermögensverteilung extrem. Ob das politisch gewollt ist? Schreiben Sie Ihre begründete Meinung dazu bitte in die Kommentare.

Wie entwickelt sich die Ungleichverteilung?

Die Bundesbank interpretiert die Daten ihrer Umfrage so, dass der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit der Vermögen ausdrücken soll, von 76 (2014) auf 74 (2017) gesunken sei. Sprich: Es habe eine Vermögensumverteilung von Reich nach Arm stattgefunden. Da die reichsten Haushalte an der Bundesbank-Studie gar nicht teilnahmen, ist diese Behauptung durch keine validen Daten untermauert.

Wir erinnern uns: Mitte der 1990er-Jahre hieß es, dass in Deutschland die oberen 10 Prozent rund zwei Drittel des Vermögens besitzen. Heute soll das angeblich noch genau so sein. Eine Umverteilung von Arm nach Reich fände demnach nicht statt. Die Reichen würden nicht reicher, und der Abstand zum Rest der Gesellschaft bliebe gleich. Wenn das stimmte, wären die zahlreichen Berichte über die Vermögenssteigerungen der Reichen unrepräsentativ.

Im zweiten Teil dieses 3-Teilers zum Thema Vermögen geht es um die Ursachen, warum systembedingt die Vermögenskonzentration und -kumulation immer weiter zunimmt. Teil 3 stellt eine Lösungsmöglichkeit des Problems vor.

Über den Autor: Jörg Gastmann ist Buchautor und Sprecher der NGO economy4mankind.org, die das alternative Wirtschaftssystem Economic Balance System vertritt.

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