Warum lassen sich Menschen nicht gegen das Coronavirus impfen?
Das Institut Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule wollte wissen: Liegt es an Gedanken über die Sicherheit der Impfstoffe, "Verschwörungstheorien" oder woran sonst?
Das Institut Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen führte vom Oktober bis Dezember 2021 eine Online-Umfrage über die Coronamaßnahmen und die Impfbereitschaft durch. Insgesamt beantworteten 1.377 Menschen die Fragen.
Aufgrund des Auswahlverfahrens sind die Ergebnisse zwar nicht repräsentativ, dennoch aufschlussreich. So sind hier natürlich nur Menschen vertreten, die online aktiv sind. Mit einem Frauenanteil von 56 Prozent war dieses Geschlecht häufiger vertreten.
Das Durchschnittsalter lag bei 47 Jahren. Die Mehrheit (64 Prozent) hatte zudem ein hohes Bildungsniveau: einen Meister, Fachhochschul- oder Universitätsabschluss.
Geschichte der Impfskepsis
Die Studienleiter – Jenny Wielga und Peter Enste, Letzterer ist auch Direktor des Forschungsschwerpunktes Gesundheitswirtschaft & Lebensqualität des Instituts – beziehen in Ihrem Ergebnisbericht vom 4. März auch die Geschichte der Impfungen mit ein. So habe es schon im Jahr 1890 eine Zeitschrift "Der Impfgegner" gegeben, in der stand:
Sind die Ungeimpften die Übeltäter, die Pandemiestifter? Und werden die Geimpften durch jene mitgeschädigt? Auf diese Frage antwortet die Epidemie in Zahlen mit einem entschiedenen Nein.
Aus der Zeitschrift "Impfgegner" von 1890, leicht angepasst von Wielga und Ernste
Damals ging es natürlich nicht um die Impfung gegen das Coronavirus, sondern die Pocken. Die Forscher schreiben, dass es schon im 19. Jahrhundert Angst vor fremden Stoffen im Körper sowie Skepsis und Widerstand in der Bevölkerung gegen das Impfen gab.
Sie verweisen zudem auf kulturelle Unterschiede: So sei die Impfbereitschaft in der heutigen Pandemie im Vereinigten Königreich, Spanien und China sehr hoch, in Russland jedoch sehr niedrig.
Deutschland liegt dazwischen: Hier seien nun etwa 75 Prozent der Gesamtbevölkerung gegen das Coronavirus geimpft. Zur Herdenimmunität fehlten damit noch weitere 10 Prozent. Das motivierte die Forscher auch zu der Befragung.
Bewertung der Maßnahmen
Zunächst erhoben sie, was die Befragten von den Covid-19-Schutzmaßnahmen hielten. Bei den sechs Kategorien – Anpassung der Arbeitssituation, Vermeidung von Auslandsreisen, Vermeidung von Menschenansammlungen, Reduktion sozialer Kontakte, freiwilliges Testen und Abstand halten – zeigten sich konsistent große Unterschiede in der Bewertung zwischen geimpften und ungeimpften Personen.
So hielten laut der Befragung beispielsweise 91 beziehungsweise 94 Prozent der Geimpften das Abstandhalten und die Anpassung der Arbeitssituation für sinnvoll. Bei den Ungeimpften waren es hingegen nur 53 beziehungsweise 51 Prozent, also fast nur die Hälfte.
Diese beiden Maßnahmen wurden aber insgesamt von allen für am sinnvollsten gehalten. Am schlechtesten schnitt hingegen die Reduktion sozialer Kontakte ab: Diese fanden nur 76 Prozent der Geimpften und 30 Prozent der Ungeimpften für sinnvoll.
Gründe gegen die Impfung
Der interessanteste Teil des Berichts mit dem Titel "Zwischen Angst, Skepsis und Verweigerung: Was wissen wir über Menschen mit Impfvorbehalten in der Covid-19- Pandemie?" dürfte aber die Erhebung der Gründe gegen das Impfen sein.
Beispielsweise ist die Diskussion einer möglichen Impfpflicht – von der man in den deutschen Medien nun erstaunlich wenig hört – oder Beteiligung an den Krankheitskosten für Ungeimpfte besonders emotional geladen. Der Deutsche Bundestag will Erstere darum zur Gewissensfrage erheben und die Parlamentarier vom sonst üblichen Fraktionszwang freistellen.
Zur Systematisierung der Antworten gab die Online-Befragung von Wielga und Ernste sieben "Ankerbeispiele" vor, die diejenigen beurteilen sollten, die laut eigenen Angaben nicht geimpft waren und sich auch nicht impfen lassen wollten. Die Anker waren: unsicherer Impfstoff, fehlende Notwendigkeit, Verschwörungstheorien, keine Wirkung des Impfstoffs, externe Beeinflussung, gesundheitliche Gründe und Falschinformationen.
So war das Ankerbeispiel für die fehlende Notwendigkeit: "Ich vertraue auf mein Immunsystem." Für den unsicheren Impfstoff: "Es gibt bisher keine abgeschlossenen Langzeitstudien und damit keine Garantie für eine Sicherheit der Impfstoffe." Und für Verschwörungstheorien: "Der einzige für mich interessante Grund für eine Impfung wäre der Schutz vor weiteren Maßnahmen der Regierung, allerdings ist das Erpressung und deswegen halte ich es eher für meine Pflicht mich nicht impfen zu lassen, damit solche Erpressungsversuche nicht funktionieren und vor allem nicht zur Gewohnheit werden."
Mit Abstand am häufigsten wurde als Grund gegen die Impfung die Unsicherheit des Impfstoffs genannt (65 Prozent). Danach folgten: fehlende Notwendigkeit (38 Prozent), Falschinformationen (vor allem über Nebenwirkungen; 28 Prozent), Verschwörungstheorien (21 Prozent), gesundheitliche Gründe (Impfung vom Arzt verboten; 18 Prozent), externe Beeinflussung (selektive Medienberichte; 15 Prozent) und die fehlende Wirkung des Impfstoffs (11 Prozent).
Empfehlung für die Praxis
Zur Erreichung der Herdenimmunität halten die Forscher es für am sinnvollsten, die Themen "unsicherer Impfstoff" und "Falschinformationen" anzugehen. Hier könne man die Menschen noch am ehesten vom Sinn einer Impfung überzeugen.
Demgegenüber stünden bei denjenigen, die laut den Ankerbeispielen Verschwörungstheorien anhängen, mitunter staatsfeindliche Motive hinter der Überzeugung. An denen ließe sich nicht so leicht etwas ändern.
Viele Epidemiologen, Virologen und auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnen, dass trotz der derzeitigen Lockerungen die Pandemie noch nicht vorbei ist. Manche erwarten schon für den Sommer, andere spätestens für den Herbst die nächste Coronawelle.
Zudem ist völlig unklar, wie das Virus weiter mutiert. Wird es bei der milderen Omikronvariante bleiben oder doch noch zu einer Art "Deltakron" kommen – einem extrem ansteckenden Virus mit sehr vielen schweren Krankheitsverläufen?
Vieles ist noch ungewiss. Die Online-Befragung des Instituts Arbeit und Technik beantwortet auch nicht alle Fragen. Sie legt aber einige konkrete Handlungsempfehlungen nahe.