Warum nehmen die Zoonosen zu?

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie (Teil 1)

Covid-19 hatte auch ökologische Ursachen: Klimawandel, Artenschwund und Landübernutzung. Diese Faktoren begünstigen, dass mehr Krankheitserreger von Tieren auf Menschen übergehen, während gleichzeitig weltumspannende Lieferketten, Tourismus und Migration ihre Verbreitung fördern. Die bisherigen Vorschläge, um die Gefahr durch neue Zoonosen unter Kontrolle zu bekommen, wirken hilflos.

Nach der Pandemie wird das schwierigste sein, der Öffentlichkeit zu erklären, warum wir nicht gehandelt haben, obwohl es genügend Warnungen gegeben hat.

So äußerte sich im Jahr 2004 der deutsche Epidemiologe Klaus Stöhr, damals angestellt bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dass Viren, Bakterien und andere Erreger von Tieren auf Menschen überspringen und zu Pandemien werden können, war der einschlägigen wissenschaftlichen Gemeinde natürlich wohlbekannt. Mehr noch, sie warnt schon seit den 1990er Jahren vor einer verstärkten Dynamik bei neuen Infektionen.

Die gegenwärtige Pandemie ist eine Katastrophe mit mehrfacher Ansage. Im Jahr 1997 kam es in Hongkong zu einem Ausbruch der hochpathogenen Influenza A H1N1. 1998 verbreitete sich das Nipah-Virus, 2002 Sars-CoV-1, 2012 das Middle East Respiratory Syndrome (Mers). 2018 erweiterte die WHO ihre Prioritätenliste gefährlicher Erreger um eine "Krankheit X", das heißt: mit unbekannter Herkunft und unbekannten Eigenschaften. Die nächste pandemische Zoonose war nur eine Frage der Zeit.

Ein langfristiger Trend

Im Laufe der Menschheitsgeschichte sind immer wieder Erreger von anderen Gattungen auf uns übergegangen, beispielsweise die Masern oder die Malaria. Zoonosen sind nichts Neues. Allerdings scheint die Rate der Übergänge von Tier zu Mensch – die sogenannten Spillover – zu steigen. Besonders seit der Jahrtausendwende sind zahlreiche Pathogene entstanden, wie diese Aufzählung des Evolutionsbiologen Rob Wallace zeigt:

Neue Stämme der Afrikanischen Schweinepest, von Campylobacter, Cryptosporidium, Cyclospora, Ebola, Escherichia coli, Maul- und Klauenseuche, Hepatitis E, Listerien, Nipah-Virus, Q-Fieber ("Zeckenstichfieber"), Salmonellen, Vibrionen, Yersinia-Bakterien, Zika-Viren und eine Vielzahl neuer Influenza-A-Varianten, darunter H1N1, H1N2v, H3N2v, H5N1, H5N2, H5Nx, H6N1, H7N1, H7N3, H7N7, H7N9 und H9N2

Eine im März 2021 erschienene Untersuchung französischer und thailändischer Forscherinnen berichtet, dass zwischen 1990 und 2016 Zoonosen deutlich zugenommen haben. Eine andere, etwas ältere Studie unter der Leitung der britischen Zoologin Kate Jones betrachtet einen längeren Zeitraum.

Auch sie berichtet einen langfristigen Anstieg zwischen 1940 und 2004. In dieser Phase seien 335 neue Infektionen entstanden, 60 Prozent davon durch Spillover von Tieren. Etwa jede fünfte neue Zoonose wird durch Zwischenwirte wie Zecken oder Stechmücken übertragen (zum Beispiel das Westnil-Virus, das Dengue- oder das Chikungunya-Fieber).

Den Höhepunkt dieser Entwicklung datiert Kate Jones auf die 1980er-Jahre. Allerdings deckt ihre Untersuchung keine Ausbrüche nach 2004 ab, darunter die oben erwähnten Spillover. Hinzu kommen ungewöhnlich heftige Epidemien von Zika, Ebola, Lassa, Ebola, Gelbfieber und Dengue seit etwa 2008. Obwohl diese Erreger bereits im Laufe des 20. Jahrhunderts den Weg zum Menschen fanden, scheinen sie schneller um sich zu greifen und sich hartnäckiger zu halten. Die Dynamik bei den Zoonosen hält also ungebrochen an.

Virale Spillover von Wildtieren bestimmen das Feld (insbesondere schnell mutierende RNA-Viren wie die Coronaviridae). Aber auch Bakterienstämme entwickeln sich weiter und erschließen sich neue Räume und Wirte, wie beispielsweise der Ausbruch von Q-Fieber in den Niederlanden im Jahr 2009 zeigt, das weltweite Grassieren von EHEC (Darmblutungen auslösende Kolibakterien) oder die Cholera-Epidemie, die seit 2017 im Jemen wütet.

Die Artenschranke existiert, aber sie ist offensichtlich sehr durchlässig.

So formulieren der Epidemiologe Mark Woolhouse und Kolleginnen das Problem. Nur eine Minderheit der Krankheitserreger spezialisiert sich auf eine Gattung (laut Schätzungen etwa ein Fünftel), die meisten besiedeln mehrere Tiere. Typischerweise schaden sie diesen "Reservoirwirten" nicht oder nur geringfügig, so wie etwa Influenza A-Viren den Wildgänsen oder die Pest den Rennmäusen. Gefahr droht, wenn neu entstandene und aggressive Erreger auf untrainierte Immunsysteme treffen.

Übertragungen vom Tier zu Mensch gibt es wahrscheinlich häufiger als früher angenommen wurde. Das sogenannte virale Plaudern (viral chatter, ein Begriff von Nathan Wolfe), führt nur selten zu einem Krankheitsausbruch, weil die Viren sich nicht oder noch nicht zuverlässig in menschlichen Körperzellen vermehren. Dieses Geplauder schafft allerdings die (evolutionäre) Grundlage für eine spätere Infektion: Das Virus erschießt sich den Menschen als Wirt.

Die nächste Stufe ist die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch, eine Voraussetzung für die epidemische Verbreitung. Die Influenza A H5N1 beispielsweise wurde nur in einer Handvoll Fällen von Mensch zu Mensch übertragen (von denen die meisten dann allerdings starben), eine epidemische Verbreitung blieb daher aus. HIV wiederum entstand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus einem Immundefizienz-Virus afrikanischer Affen. Es soll mindestens zehn Spillover gegeben haben, bevor das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar wurde.

Krankheitserreger werden also nicht pandemisch, weil Forscher unvorsichtig einen uralten Schrein im Dschungel öffnen, auch wenn einige Hollywood-Filme das Gegenteil nahelegen. Der Weg zum Spillover und dann zur Pandemie ist ein längerer Prozess, nicht die Folge eines tragischen Ereignisses.

Die Erreger müssen zunächst einige Zeit zwischen Menschen und Tieren hin und her wandern, bis sie die Fähigkeit entwickeln, sich zuverlässig in menschlichen Zellen zu reproduzieren. Viren überspringen die "Artenschranke" nicht mit einem Satz, sie müssen Stufe um Stufe nach oben klettern.

Selbst im Fall von Covid-19 stimmt es nicht, dass "alles in einem Wildtiermarkt im chinesischen Wuhan begann". Vorfahren von Sars-CoV-2 zirkulierten wahrscheinlich schon einige Monate vor dem Dezember 2019 zwischen ihrem Reservoir (Fledermäusen), Zwischenwirten (wahrscheinlich Schuppentiere) und Menschen.

Der Markt in Wuhan wäre entsprechend nur der Ort des Ausbruchs, nicht der Entstehung. Mittlerweile ist bekannt, dass 2019 neue Coronaviren unter Schuppentieren grassierten. Blutuntersuchungen in der chinesischen Provinz Yunnan 2018 zeigten, dass drei Prozent der untersuchten Antikörper gegen ein Coronavirus aufwiesen, das Hufeisennasen-Fledermäusen besiedelt und Covid-19 ähnelt.

Wie lässt sich der Anstieg bei den Zoonosen erklären?

Die Antwort lautet, etwas verkürzt: Weil auf allen Stufen der Pandemie-Entstehung menschengemachte Einflüsse den Erregern zu Hilfe kommen. Zunächst vergrößern wir die Kontaktfläche, auf der virales Geplauder stattfinden kann (Exposition). Wir schaffen Voraussetzungen dafür, dass die Erreger ansteckender und schädlicher werden (Infektion), und schließlich dafür, dass sie sich über die Welt ausbreiten (Transmission). Globale Lieferketten, Tourismus und Migration verschaffen den Erregern nach dem Spillover ungeahnte Verbreitungswege und Zugang zu vielen Lebewesen, deren Immunsysteme ungeübt in der Abwehr sind.

Aber wie kann die Rate der Spillover steigen, wo doch gegenwärtig massenhaft Tiergattungen aussterben? Viele Naturschützer argumentieren, dass Krankheitserreger in artenreichen Habitaten häufiger auf Tiere stoßen, an die sie nicht angepasst sind. So endet die Transmission in einer Sackgasse. Eine hohe Biodiversität verdünnt sozusagen die Übertragungskette (dilution effect). Diese Argumentation bietet politische Vorteile, weil wir uns in einer Win-win-Situation befänden: Indem wir bedrohte Tiere schützen und die Artenvielfalt erhalten, schützen wir gleichzeitig uns selbst!

Leider ist der Zusammenhang zwischen Biodiversität und Zoonosen ist nicht ganz so einfach. Denn wenn wilde Tiere flüchten, weil ihre Lebensräume für Plantagen oder Straßen niedergewalzt werden, drängen sie meist in bestehende Tiergemeinschaften - und bringen ihre Parasiten und Pathogene mit. Viele unterschiedliche Tierarten bedeutet viele unterschiedliche Krankheitserreger.

Diese Vielfalt erhöht unter Umständen das Risiko, dass ein Erreger zum Menschen übergeht (amplífication effect). Umgekehrt wäre das Artensterben aus Gesundheitsgründen von Vorteil, denn so schrumpft auch der Lebensraum für Viren, Bakterien und Parasiten. Eventuell sterben sie sogar zusammen mit ihren Reservoirwirten aus.

Verdünnung oder Verstärkung? Biodiversität kann neue Infektionen sowohl bremsen als auch fördern - je nach konkreten Umständen, dem Übertragungsweg und der Art des Kontakts zwischen Mensch und Tier. Für kleinere Räume wurde der dilution effect nachgewiesen. Aufgrund von Habitatzerstörung wuchs beispielsweise die Zahl der Weißfußmäuse im Osten der Vereinigten Staaten.

Diese Maus ist ein Reservoirwirt der Borrelien-Bakterien. Daher nahm die Zahl der infizierten Zecken zu, schließlich die Fälle von Lyme-Borreliose unter Menschen. Großräumig und über viele Gattungen hinweg stützen die Forschungsergebnisse dagegen den dilution effect nicht eindeutig.

Selbst die Wiederaufforstung - aus ökologischen Gründen sicher wünschenswert - kann das Risiko für Zoonosen möglicherweise erhöhen. So fand die erwähnte aktuelle französisch-thailändische Studie einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Epidemien und der Fläche mit Plantagen oder neu angelegtem Forst. Belege für eine Verdünnung durch hohe Biodiversität fanden die Wissenschaftler vor allem in den Tropen:

Die beobachtete signifikante Assoziation zwischen Epidemien und Abholzung betraf vor allem Länder in den Tropen in der Nähe des Äquators, wie Brasilien, Peru und Bolivien in Südamerika, die Demokratische Republik Kongo und Kamerun in Afrika und Indonesien, Myanmar und Malaysia in Südost-Asien.

Um es noch komplizierter zu machen, erklärt ein dritter Ansatz die Zunahme mit einem anderen koevolutionären Effekt. Die Fragmentierung der Habitate isoliere Wildtiere voneinander. Daher entwickelten sich wiederum ihre Parasiten und Pathogene evolutionär auseinander. Diese Diversifizierung erhöhe das Zoonosen-Risiko, sofern die Krankheit durch einen Vektor wie Moskitos oder Zecken übertragen wird.

Überleben der Anpassungsfähigen

Diese Erklärungsversuche schließen einander nicht unbedingt aus. Auch wenn sich die Mechanismen unterscheiden, gemeinsam ist ihnen, dass unsere Landnutzung die Kontakte zwischen Tieren, Mikroorganismen und Menschen verändert.

Menschen und Mikroorganismen stehen seit jeher in einer Koevolution, einer andauernden gegenseitigen Anpassung. So entstanden prekäre Gleichgewichte, die dann bei räumlicher Expansion oder gesellschaftlichen Krisen (Kriege, Hungersnöte usw.) zusammenbrachen.

Daraufhin griffen verheerende Seuchen um sich, bis sich erneut ein vorübergehendes Gleichgewicht einstellte. Heute destabilisieren Abholzung, Urbanisierung und Automobilität Tiergemeinschaften und ihre Parasiten-Mikroben-Systeme. Tropische Wälder werden abgeholzt, Lebensräume durch Straßen und Siedlungen zerstückelt.

Die treibende Rolle spielt dabei die intensive und weltmarktorientierte Landwirtschaft. Sie schafft Monokulturen und senkt die Anzahl der kultivierten Sorten und Nutztiere. In den "Agrarwüsten" lebt eine bestimmte Nutzpflanze, sonst nichts. Äcker bedecken mittlerweile ein Drittel der eisfreien Oberfläche des Planeten. Die Biodiversitätskrise (eng verwoben mit der Klimakrise) ist eine Folge dieser Form der Landnutzung und ihrer radikalen Standardisierung.

Wildtiere sind nicht gleichermaßen betroffen. Die Anpassung gelingt vor allem denen, die sich nicht auf bestimmte Nahrung spezialisieren und die sich schnell und mit vielen Nachkommen vermehren. Wombats, Füchse, Tauben, Wildschweine, Ratten und Zecken besiedeln die Agrarwüsten, Siedlungen und die urbane Peripherie. Kaum überraschend, im Anthropozän überleben die Ratten, nicht die Pandas. Die "Generalisten" im Tierreich mit hohen Reproduktionsraten tragen aber meist viele Pathogene in sich.

Dass sich die anpassungsfähigsten Tiere durchsetzen, ist nur die erste Etappe. Der Selektionsdruck durch die Landnutzung wirkt auch auf die Mikroorganismen und begünstigt anpassungsfähigere und widerstandsfähigere Viren und Bakterien. Sie spezialisieren sich nicht auf bestimmte Wirte, sondern verfügen über ein großes Reservoir.

Sie verändern sich schnell und können flexibel auf Veränderungen reagieren (wie beispielsweise RNA-Viren aufgrund ihrer hohen Mutationsrate). Anders gesagt, wir fördern nicht nur ungewollt die Generalisten unter den Tiergattungen, sondern auch die Generalisten unter den Krankheitserregern.

Diese Zusammenhänge sind keine Spekulation. Der britische Biologe Rory Gibb und sein Team verglichen letztes Jahr Gebiete vor menschlichen Eingriffen und danach:

Bekannte Wirte von Parasiten und Pathogenen, die auch Menschen befallen, machten einen größeren Anteil der Artenvielfalt (18 bis 72 Prozent) und der Gesamtmenge der Tiere (21 bis 144 Prozent) aus in Räumen mit erheblichen menschlichen Eingriff (urbane und agrarische Ökosysteme) im Vergleich mit nahegelegenen, nicht gestörten Habitaten.

Dieser Effekt sei bei Nagetieren, Zugvögeln und Fledertieren besonders ausgeprägt. Bei diesen Reservoirwirten ist auch der Anteil humanpathogener Erreger größer. Das Fazit:

Der globale Wandel der Art und Intensität der Landnutzung schaffen wachsende gefährliche Kontaktflächen zwischen Menschen, Vieh und Wildtier-Reservoirs für Zoonosen.

Hinzu kommt, dass durch globale Lieferketten, Migration und Tourismus heutzutage Lebewesen und Viren miteinander in Kontakt kommen, die sich früher nie begegnet wären. Die Folge ist eine gattungsübergreifende Globalisierung der Infektionen. Das Affenpockenvirus beispielsweise wanderte in den USA von afrikanischen Nagetieren, die als exotische Haustiere importiert wurden, zu einheimischen freilebenden Hörnchen (Präriehunden) und verursachte im Jahr 2003 eine Epidemie unter Haustier-Händlern, Besitzern und Tierärzten. Nagetiere übertragen auch das Hantavirus.

In den USA haben sich bestimmte Hirscharten an die Vorstädte und Agrarlandschaften angepasst und wirken als Vektor für die Lyme-Borreliose. Unter diesen Tieren verbreitet sich auch die Chronic Wasting Disease (CWD), auf dem Boulevard gerne "Zombie-Krankheit" genannt. Wie BSE wird sie von Prionen ausgelöst. Mittlerweile ist die CWD auch in Europa angekommen.

Wilde Tiere sind in diesem Globalisierungsprozess keineswegs nur die Quelle neuer Krankheiten, sondern auch das Opfer. Krätze-Milben beispielsweise sind von Menschen auf die australischen Wombats übergegangen und töten sie in vielen Fällen. Antarktische Kaiserpinguine leiden seit den 1980er-Jahren unter einem Virus, das Schleimbeutelentzündung verursacht (infektiöse Bursitis). Die Infektion stammt ursprünglich aus Geflügelzuchtanlagen.

Viehzucht als Katalysator

Eine wichtige Rolle spielt die Viehzucht, denn dort treffen Wild- und Nutztiere und Menschen aufeinander. Laut Schätzungen kann etwa ein Drittel der Erreger, die Haus- und Nutztiere infizieren, prinzipiell auch auf Menschen übergehen.

Aufgrund des Bevölkerungswachstums und des steigenden Anteils von Fleisch an der Ernährung gibt es immer mehr Nutztiere. Die Zahl der Haushühner - um ein extremes Beispiel herauszugreifen - stieg von 10,6 Milliarden weltweit im Jahr 1990 auf 26 Milliarden im Jahr 2019.

Die Körpermasse der Broiler übersteigt mittlerweile die Masse aller anderen Vögel. Der Mensch und seine Nutztiere dominieren die Biosphäre insgesamt: Laut seriösen Schätzungen haben Menschen mittlerweile einen Anteil an der Biomasse von 36 Prozent, Nutztiere von 60 Prozent. Wildtiere kommen gerade einmal auf vier Prozent.

Das gegenwärtige Agrarsystem trennt Nutztier und Nutzpflanze und zerreißt dadurch sinnvolle landwirtschaftliche Nährstoff- und Energiekreisläufe. Eine Folge dieser Trennung mit gesundheitlichen Konsequenzen ist die enorme räumliche Konzentration der Tiere.

Weil sich Schweine, Hühner und Rinder in der intensiven Viehzucht nicht vor Ort vermehren, passen sich die Immunsysteme der nächsten Generation nicht an die Erreger an. Die Tiere sind in aller Regel "monotypisch", das heißt: ihre Erbanlagen weitgehend gleich.

Das macht es Viren und Bakterien leicht, sich in den Haltungen zu verbreiten. Haben sie eine Immunschranke überwunden, können sie fast mühelos von Tier zu Tier springen. Dieser "evolutionäre Dampfkochtopf" (Mike Davis) wird durch antibakterielle und antibiotische Mittel und Impfungen mühsam unter Kontrolle gehalten.

Aber trotz aufwendiger Maßnahmen für die "Biosicherheit" entstehen an dieser Kontaktfläche Zoonosen. Besonders Schweine gelten als "Mischgefäße für Viren", weil in ihnen humane und nicht-humane Erreger aufeinandertreffen und sich durch den Austausch von DNA oder RNA (Reassortment) verbinden. Physiologisch ähneln sich Mensch und Schwein, zum Beispiel in der Gewebe- und Zellstruktur.

So können Hausschweine in Freilandhaltungen beispielsweise von Fledermäusen und Zugvögeln einerseits und Menschen andererseits infiziert werden. Auf diese Art entstand 2009 die "Reassortante H1N1", nämlich aus einem menschlichen und einem aviären ("Vögel betreffenden") Influenzavirus.

Eine Studie des Friedrich-Loeffler-Instituts von letztem Jahr berichtet, das in mehr als der Hälfte der schweinehaltenden Betriebe ganzjährig Influenzaviren zirkulieren. In Tierversuchen zeigte sich, dass manche von ihnen bereits Etappen auf dem Weg zum Menschen überwunden hatten.

Obwohl die Tiere in der industrialisierten Viehzucht nach Möglichkeit von der Umwelt isoliert werden - in manchen "biosicheren Mastanlagen" wird sogar das Werkzeug sterilisiert! -, bieten sie Viren und Bakterien mit zoonotischem Potenzial einen Lebensraum. Sofern die Tiere nicht gänzlich von der Außenwelt abgeschottet werden, ist der Austausch von Mikroorganismen zwischen innen und außen unvermeidbar. In den Niederlanden führte die Intensivierung der Ziegenhaltung zwischen 2007 und 2010 zu Ausbrüchen von Q-Fieber. Das Virus wurde über Staub aus den Farmen verbreitet.

Geht es um die ökologischen Ursachen von Covid-19, dann kreist die Debatte meist um exotische Arten wie Flughunde oder Schleichkatzen und asiatische oder afrikanische Wildtier-Märkte. Aber dieser Fokus führt in die Irre. "Wildnis" im eigentlichen Sinn gibt es kaum noch. Anwohner am Waldrand oder professionelle Jäger dringen immer tiefer in die letzten Habitate vor, um wilde Tiere zu erlegen.

Weil die Jagd aufwendiger und teurer wird, werden begehrte Gattungen zunehmend gezüchtet, teilweise in denselben Anlagen wie traditionelle Nutztiere. Laut einer Studie aus China von 2017 beschäftigt diese Branche ungefähr 15 Millionen Menschen, ihr Jahresumsatz wird auf 20 Milliarden US-Dollar geschätzt. Industrielle Fleischproduktion und Wildtierzucht überlappen in einigen Weltregionen, sowohl räumlich als auch kommerziell.

Ungesunde Arbeits- und Lebensbedingungen erhöhen das Risiko

Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde in Malaysia großflächig tropischer Wald abgeholzt, auf dem gerodeten Gebiet intensive Schweinezucht und Plantagenwirtschaft betrieben. So kamen Flughunde in engeren Kontakt mit Hausschweinen und das Nipah-Virus entstand. Die fiebrige Lungen- und Gehirnentzündung grassierte 1998 unter Tieren, Bauern und Beschäftigten in den Schlachthöfen.

Über die Hälfte der Erkrankten starb. Infizierte Schweine wurden nach Singapur exportiert, worauf es dort ebenfalls zu Ausbrüchen kam. Seitdem zirkuliert das Virus in Bangladesch und taucht gelegentlich auch im indischen West-Bengalen auf. Nipah kann von Mensch zu Mensch übertragen werden.

Das Beispiel verweist darauf, dass es bei Spillover-Ereignissen auch auf den Gesundheitszustand der Menschen ankommt. Durch Hunger oder Überarbeitung geschwächte Immunsysteme werden leichter besiedelt. Gerade das scheint an der Kontaktfläche häufig der Fall zu sein.

Die unmittelbare Bearbeitung der Natur - die Handarbeit auf dem Acker, in den Mastanlagen oder im Schlachthof - ist in der Regel Niedriglohn-Arbeit. Beschäftigte sind überlastet, Saisonarbeiterinnen leben oft gemeinsam in beengten Baracken.

Aus Sicht der Infektionsbekämpfung sind solche Räume hochgefährlich. Dort zirkulieren Krankheitserreger zwischen Tier und Mensch hin und her und bilden Eigenschaften aus, die sie später unter Umständen epidemisch werden lassen.

Teil 2 beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, Spillover zu verhindern und neue Zoonosen zu kontrollieren: Wie lassen sich die Zoonosen eindämmen?

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