"Warum wartet bei der Forschung jeder auf Amerika?"

Ein Gespräch mit Martin Fleischmann, dem Entdecker der kalten Fusion

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Prof. Dr. Martin Fleischmann ist weltbekannt geworden, als er, gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Stanley Pons, am 23. März 1989 auf einer Pressekonferenz an der Universität Utah verkündete, ihm sei in einem simplen Tischexperiment die Kernfusion bei Raumtemperatur gelungen. Für ihre Antwort auf die globale Erwärmung und die Energiekrise waren die beiden für den Nobelpreis im Gespräch.

Da in der Folge manche Labore scheiterten, das Ergebnis zu wiederholen, wandte sich die Stimmung gegen die Forscher. Die kalte Fusion war lange ein Synonym für einen Irrtum in der Wissenschaft, bis das US-Energieministerium im Dezember Forschungs- und Finanzierungsbedarf konstatierte (US-Energieministerium empfiehlt weitere Erforschung der kalten Fusion). Im Interview, geführt vor dem Bekanntwerden des US-Gutachtens, äußerte sich Fleischmann über den Umgang mit Kritik, die Rolle der Quantentheorie und den Untergang der Konsumgesellschaft.

Martin Fleischmann ist am 29. März 1927 in Karlsbad, Tschechoslowakei, geboren worden. Wegen seines jüdischen Glaubens floh er mit zwölf Jahren mit seiner Familie vor den deutschen Soldaten nach England. Am Imperial College der Universität von London und der Southampton Universität stieg er zum weltweit anerkannten Elektrochemiker auf. Seine letzte Publikation mit Forschern der US-Marine war eine der Grundlagen der Gutachter des US-Energieministeriums. Fleischmann lebt mit seiner Frau in Wiltshire, England.

martin Fleischmann. Bild: New Energy Times

Prof. Fleischmann, Sie könnten es sich längst in der Karibik gut gehen lassen. Statt dessen nehmen Sie noch immer an Konferenzen zur kalten Fusion Teil und halten Vorträge über Quantentheorie. Können Sie nicht loslassen?

Martin Fleischmann: Wenn man auf diesem Gebiet arbeitet und ein negatives Ergebnis erhält, kann man leicht loslassen. Aber wenn man ein positives Ergebnis erhält, hält das einen fest. Ich werde jetzt aufgeben - nach etwa 20 Jahren. Meine Frau sagt, das würde ich immer sagen. Aber jetzt gebe ich wirklich auf, weil ich seit 1995 nichts wirklich Neues gemacht habe. Ich habe auf diesem sonderbaren Gebiet ein paar Beobachtungen gemacht, die noch immer gültig sind, und die ich neu interpretieren müsste. Aber tatsächlich biete ich die gleichen Interpretationen an, die ich immer gegeben habe.

Wenn Sie aufgeben, sollten Sie vielleicht noch das Ende des Jahres abwarten. Bis dahin hat das US-Energieministerium das Ergebnis seines neuen Gutachtens zur kalten Fusion angekündigt, und manche erwarten den Durchbruch der von Ihnen begründeten Forschungsrichtung.

Martin Fleischmann: Naja, wozu werden die sich schon entschließen? Ich war immer der Meinung, dass man das nicht machen sollte. Man gibt diesen Leuten wieder die Gelegenheit unsere Forschung zu verneinen. Ich kann nur schwer erkennen, wie ein Gebiet wie dieses staatliche Forschungsgelder anziehen kann. Das ist schwer, weil man einen Forschungsbedarf schildern muss. Gibt es militärischen Bedarf? Oder zivilen? Ich glaube schon, dass es Bedarf gibt. Aber unsere Gesellschaft spricht darauf nicht mehr an.

Das deutsche Forschungsministerium will das Ergebnis aus den USA abwarten und eigene Handlungen davon abhängig machen.

Martin Fleischmann: Das ist doch so dumm! Wozu wollen die darauf warten? Warum wartet bei der Forschung jeder auf Amerika?

Sie haben gesagt, "kalte Fusion" sei ein fürchterlicher Begriff. Warum?

Martin Fleischmann: Dieser Begriff ist uns von anderen aufgedrängt worden. Aber was wir behaupten, ist keine konventionell verstandene Fusion wie bei der heißen Fusion. Die Tatsache, dass es trotzdem so bezeichnet worden ist, hat die Auffassung der Kritiker bestimmt. Sie haben gesagt, es muss wie heiße Fusion sein. Das ist es aber nicht. Es gibt keine Merkmale einer Kernreaktion. Also kann es keine Fusion sein. Also müssen alle, die das behaupten, falsch liegen. So ist es ja gelaufen. Wäre es anders bezeichnet worden, wäre es vielleicht immer noch so gelaufen. Es wäre aber unwahrscheinlicher gewesen.

Ich habe eine Preisfrage für Sie: Warum entsteht Überschusswärme und Helium-4 in Elektrolyseexperimenten mit schwerem Wasser und Palladium-Elektroden bei Raumtemperatur?

Martin Fleischmann: (schmunzelt) Ich fürchte das geschieht, weil zwei Wasserstoffkerne fusionieren und dabei Helium-4 und Wärme produzieren. Das ist tatsächlich wahr. Das sind aber immer noch nicht die Merkmale der heißen Fusion. Bei der heißen Fusion würde Tritium und ein Proton, oder Helium-3 und ein Neutron, oder Helium-4 und ein Gammastrahl produziert. Das entsteht, wenn sich zwei Teilchen mit enormer Energie treffen.

Haben diejenigen, die angenommen haben, die Ergebnisse sollten wie bei der heißen Fusion sein, die unterschiedlichen Experimentalbedingungen vernachlässigt?

Martin Fleischmann: Total verrückt! Ich glaube, sie werden das noch erkennen.

Wie kamen Sie eigentlich zu Ihren Experimenten?

Martin Fleischmann: Die ganze Sache war angetrieben von der Notwendigkeit, das quantenelektrodynamische Paradigma zu demonstrieren. Wir haben das klassische Paradigma der Newtonschen Mechanik gehabt. Wir haben das Paradigma der Planckschen Quantenmechanik gehabt. Ich glaube, die meisten Physiker haben die Grenzen der klassischen Quantenmechanik erkannt und die Notwendigkeit, sie durch das quantenelektrodynamische Paradigma zu ersetzen. Diesem Schritt wird noch widerstanden. Doch wenn man ihn geht, sieht man, dass kalte Fusion möglich sein könnte.

Wie könnte die Kernfusion bei Raumtemperatur durch die quantentheoretische Beschreibung des Elektromagnetismus erklärt werden?

Martin Fleischmann: In der Quantenelektrodynamik verhält sich eine Ansammlung vieler Atome oder Moleküle wie ein großer Verband, wie ein einziges Quantensystem. Wenn man jedem einzelnen Atom und Molekül dieses Verbands Energie zufügt, erhält man insgesamt eine große Energie. Und diese große Energie führt letztendlich zu einem beobachtbaren Effekt.

Also hat die Physik Ihre Forschung angetrieben?

Martin Fleischmann: Ich hatte seit den 60er Jahren an quantenelektrodynamischen Modellen konventioneller Chemie gearbeitet. Ich hatte erkannt, dass man alle diese Systeme in dieser Weise beschreiben müsste. Und dann habe ich gesagt, was ist die extremste Frage, die man in der Quantenelektrodynamik stellen kann? Und das ist die Frage, ob man durch einen chemischen Prozess einen nuklearen Effekt erreichen kann. Ich dachte, Kernfusion wäre möglich, aber wir würden es nicht beobachten können. Es hat sich aber herausgestellt, dass es möglich und gleichzeitig beobachtbar ist.

Was macht eigentlich Ihr Kollege Stanley Pons?

Martin Fleischmann: Ich weiß nicht, was mit ihm geschehen ist. Ich stehe nicht mit ihm in Kontakt, obwohl ich darauf vorbereitet wäre. Aber offensichtlich will er nicht mit mir in Kontakt stehen. Was mich angeht, ist er verschwunden. Schade.

An welche Ereignisse, die mit der kalten Fusion zusammenhängen, erinnern Sie sich gerne?

Martin Fleischmann: An keine! (lacht) Nicht wirklich. Das ist eine schreckliche Erfahrung gewesen.

Sie müssen doch wenigstens ein paar nette Leute kennen gelernt haben?

Martin Fleischmann: Natürlich bin ich sehr froh, bestimmte Personen kennen gelernt zu haben. Aber im großen Ganzen, wenn man in solch eine Situation gerät, wenn man sein Gesicht verliert und von der Gesellschaft ausgestoßen wird - das ist in Ordnung. Es ist mir egal, dass ich ignoriert werde. Zur Hölle mit dem Ruf! In der Wissenschaft gibt es eine Sache, die zählt. Und das sind die Experimente. Einige Menschen scheinen manchmal zu vergessen, dass man sagen kann, das könnte klappen, das könnte nicht klappen, also lasst es uns auf die Probe stellen.

Ihre Kritiker haben auch Experimente durchgeführt.

Martin Fleischmann: Eine schreckliche Episode! Es gab drei Studien, die uns am meisten geschadet haben. Die vom Massachusetts Institute of Technology, die vom California Institute of Technology und die aus Harwell. Das MIT hat einfach die Kurve verschoben.(Der Kampf gegen die kalte Fusion). Und wenn man sich die Ergebnisse des CalTech anschaut, wird man zu dem Schluss kommen, dass die tatsächlich Überschusswärme beobachtet haben. Die einzige Studie, die ernsthaft berichtet wurde, war die aus Harwell. Aber sie haben ihre Daten nicht sorgfältig genug angeschaut. Wenn man das tut, sieht man, dass auch sie das Entstehen von Überschusswärme beobachtet haben. Ich habe dem Leiter des Labors geschrieben, schauen Sie sich ihre Ergebnisse an, Sie haben einen Energiegewinn!

Welchen Fehler haben Sie in Ihrem Leben gemacht?

Martin Fleischmann: Oh, ich habe so manche gemacht.

Können Sie einen nennen?

Martin Fleischmann: Das ist schwer. Wenn ich einen Fehler mache, gebe ich ihn zu. Ich sage, ich habe einen Fehler gemacht, und stelle ihn richtig. Ich erinnere mich nicht wirklich. Wenn ich ehrlich bin, mache ich nicht viele Fehler.

Sie haben gesagt, Sie seien pessimistisch über die Zukunft.

Martin Fleischmann: Auf kurze Sicht bin ich nicht pessimistisch über die Zukunft. Aber ich glaube, wir müssen eingestehen, dass unsere Gesellschaft sich mittlerweile am Konsum statt an der Produktion orientiert. Damit geben wir die wissenschaftliche Forschung auf. Die Geschichte hat gezeigt, dass Gesellschaften, die das Verfolgen der Wissenschaft aufgegeben haben, zugrunde gegangen sind. Das Römische Reich ist zweifelsfrei daran zugrunde gegangen. Und wenn es so weiter geht, gehen auch wir zugrunde. Unangenehm, aber so wird es sein.

Wenn sich die kalte Fusion zu einer Energiequelle ausbauen lassen sollte, möchte ich Ihnen danken und Ihnen das letzte Wort überlassen.

Martin Fleischmann: Nun, ich hoffe und bete, dass Deutschland zu dieser Wissenschaft beitragen wird. Deutschland hat eine lange wissenschaftliche Tradition, die sehr viel zum Fortschritt dieses Gebiets beitragen könnte. Und ich hoffe, dass dieses Thema neu überdacht werden wird und dass besonders junge Leute dieses Gebiet betreten und brauchbare Resultate hervorbringen werden.