Warum wir einen linken Populismus brauchen

Seite 3: Die Reaktion des Establishments

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Das stößt auf Kritik. In der Zeit schrieb Thomas Assheuer, unter moderaten Linken sei "die Autorin ein rotes Tuch", und es klang, als ob das kein Lob, sondern ein Vorwurf sei. Aber hat Mouffe nicht recht, wenn sie linken Grünen, der Sozialdemokratie und der Linken und ihren Brüdern und Schwestern in anderen Ländern ihr Versagen vorhält und Vorschläge für dessen Ursachen macht?

Müssen politische Theoretiker gefallen oder sollen sie die Verhältnisse korrekt beschreiben und dann möglichst triftig erklären? Denn tatsächlich ist ja die sogenannte Linke ein trauriger Haufen aus Unfähigkeit und Maulheldentum; tatsächlich trägt ja die sich gern moderat gebende, zu Streit und Kampf und Tabusetzung und Utopieformulierung unfähige Mitte die eigentliche Schuld am kometenhaften Aufstieg der Rechten. Und wenn es keine anderen Argumente gäbe, müsste man immer noch die Wahlergebnisse erklären.

Schade dass sich auch einer der klügsten Denker der "Zeit" nicht auf diese Gedanken einlässt, sondern dem nur gut 100 Seiten langen Essay manche verkürzte Begründung vorhält. Der Hauptvorwurf Assheuers ist Mouffes Rekurs auf den faschistischen Rechtsphilosophen Carl Schmitt.

Natürlich ist der längst nicht der einzige politische Denker von rechts, aber Schmitt ist "böse". So antwortet Assheuer auf Mouffes Kritik am Moralisieren der Linken enttäuschenderweise nicht mit einem Argument, sondern mit erneutem Moralisieren:

Viele Beobachtungen von Chantal Mouffe sind richtig. Doch die Nonchalance, mit der sie den linken Populismus auf rechte Füße stellt, erst recht ihr Verständnis von Politik als ewigem Kampf um ungefilterte Affekte - all das ist zu Recht scharf kritisiert worden. Affektpolitik ist nicht wirklich das, was dem Land fehlt, und selbst wenn das 'Volk' nur ausgedacht ist, muss es einen Absolutheitsanspruch behaupten und nach Sündenböcken verlangen. Und wie sich Mouffe die Einheit aus linker Hegemonie und liberaler Vielfalt vorstellt, bleibt ohnehin ihr Geheimnis.

Thomas Assheuer

Diese Reaktionen bestätigen eher Mouffes Thesen. Es sind Reaktionen des Establishements. Unter nicht-etablierten Linken ist Chantal Mouffe aber keine Subversionsfolklore. Ihr Denken bietet vielmehr handfeste Anstöße für neuen Aktivismus.

Das Gerede über Populismus

Das Dilemma des Geredes über Populismus ist seit seinem jüngsten Aufkommen mangelnde Differenzierung. Sie kommt einer Verharmlosung gleich.

Unter Populismus fallen da die Hassreden einer Alice Weidel und Beatrix von Storch ebenso wie die Euroskepsis von Bernd Lucke, die eher akademischen NS-Exerzitien eines Björn Höcke oder die Krawatten des senilen Alexander Gauland sowie die "besorgten Bürger", die bei der Pegida mitmarschieren, wie die dumpfen Neonazis, die bei der Pegida ihre Wortruinen ins Mikrophon brüllen und für den "Saalschutz" zuständig sind.

Treffender und sachlich korrekter wäre es, hier von Demagogie zu reden und klar zwischen Demagogie und Populismus zu unterscheiden.

Populisten sind Markus Söder und Horst Seehofer, dieses Dick-und-Doof der CSU, wenn sie mit Floskeln wie Asyltourismus mit einem Bein auf den AfD-Zug zu springen suchen, mit dem andern aber im Bahnhof stehenbleiben, wenn sie Merkel zur Kanzlerin wählen, um dann in der Regierung Anti-Merkel-Opposition zu machen. So etwas kommt bei den Unions-Wählern am wenigsten an.

Das erklärt mit der allgemeinen Politik- und Systemverdrossenheit mehr vom Aufstieg der Rechten, als alle Anne-Will-Sendungen zusammen. Wären es nur die Neonazis im Osten - mit denen würde man schnell fertig werden, indem man die Geisterstädte der Ex-DDR, in denen die Nazis ausländerfreie Zonen ausrufen, gemäß dem AfD-Stimmanteil mit Flüchtigen aus Syrien auffüllen würde - die wissen nämlich im Gegensatz zur deutschen Polizei, was man mit Nazis macht.

Existenzkrise der neoliberalen Hegemonie

Was sind aber nun "die Progressiven"? Ein Lager, wie Mouffe unterstellt, sind sie allemal nicht. "Progressiv" - das müsste ja über "die Linke" hinausgehen

Solche sozialliberalen Koalitionen oder Parteien hat es zu bestimmten Zeiten gegeben, ob in Deutschland, den Niederlanden und Österreich in den Sechzigern und Siebzigern, im Frankreich Mitterands, in Südafrika in der weißen Opposition gegen die Apartheid - so oder so sind sie verschwunden, und in Sicht sind sie zur Zeit nicht.

Das liegt nicht an deren liberalen Hälfte, denn mit den Grünen hat in Deutschland eine linksliberale Partei derzeit so viele Stimmen wie selten in der deutschen Geschichte. Es liegt am Verschwinden der Arbeiterbewegung und der Verkleinbürgerlichung des Proletariats und an der Borniertheit ihrer einstigen Vertreter, die sich in klassische USPD (vulgo "Die Linke") und abhängige Sozialdemokraten hat spalten lassen und sich in ihren Ruinen suhlt. Statt getrennt zu marschieren und vereint zu schlagen, und dadurch eine Union zu bekämpfen, deren Wähler von selber glauben, sie seien sozialdemokratisiert.

Aus der Existenzkrise der neoliberalen Hegemonie hat das progressive Lager kein Kapital schlagen können.

Was tun?

Darum braucht man laut Mouffe den Populismus als Technik, um die neoliberale Hegemonie zu zerstören. Denn die schönen Begriffe der guten alten Zeit - "Theorie des kommunikativen Handelns", "Gerechtigkeit als Fairness", "Jenseits von Links und Rechts" - helfen nicht zum Entwickeln schlagkräftiger politischer Programme. Dazu ist Dissens nötig, klare Unterscheidung der Positionen. Um Einvernehmen herzustellen, um Agonismen zu vermitteln und aufzuheben, braucht man Differenzen.

Moralische Verdammung des Populismus ist ebenso kontraproduktiv wie die "Dämonisierung" der Demagogie. Sie verstärken eher die Wut auf die Eliten und das Establishment. Bei der pauschalen Klassifizierung allen Populismus als "extrem" und "faschistisch" geht es vor allem um Selbstschutz. Zum einen muss sich die Linke dadurch nicht mit ihren eigenen Fehlern auseinandersetzen.

Dazu gehört nicht allein der Verrat an ihrer Kernwählerschaft durch die Politik, die mit den Formeln vom "Dritten Weg" (Anthony Giddens, Ulrich Beck) und der "Agenda 2010" (Gerhard Schröder) verbunden ist: der Zerstörung des Wohlfahrtsstaats im Namen seiner Rettung und der Ausgrenzung breiter Schichten aus der gesellschaftlichen Teilhabe.

Schwerer wiegt noch das komplette Versagen im Bereich der Bildung und Erziehung der Gesellschaft. Wer zu dumm ist, die Zeitung zu verstehen, oder sie gar nicht erst lesen kann, der glaubt gern, es handle sich um "Lügenpresse", Björn Höcke werde Deutschland "wieder stark" machen, und Beatrix von Storch sei eine aufrichtige Vertreterin seiner Interessen.

Die AfD ist rassistisch. Aber nicht alle AfD-Wähler sind Rassisten und nicht alle, denen die Flüchtlingsströme Angst machen. Da eine linke populistische Alternative fehle, werde der berechtigte Protest durch die AfD irregeleitet. Aber Moralisieren hilft nicht weiter.

Mouffe ist keine Feindin der liberalen Demokratie und des vereinten Europa. Sie will sie stärken. Um das zu tun, muss man aber nicht über Populismus reden, sondern über Einwanderungspolitik, Investitionsstau, Ungleichheit, Digitalisierung und Bildungskatastrophe. Und man muss das so tun, dass man gehört wird.

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