Was die FDP sein könnte

FDP-Parteitag in Berlin. Foto: Rüdiger Suchsland

Digitalisierung, Verfassungspatriotismus, Windkraftgegner und SPD-rote Energydrinks: zu Besuch beim Parteitag der Liberalen

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Mir ist heute eine wirklich historische Frage gestellt worden von einem Fernsehsender: Herr Kubicki, warum tun Sie sich das noch an? Ich habe geantwortet: Ich tue nicht mir das noch an, sondern Angela Merkel und Martin Schulz.

(Wolfgang Kubicki, stellvertretender FDP-Vorsitzender)

"Deutschland muss klüger werden": Eine Bildungsoffensive steht im Zentrum des Wahlprogramms der FDP für die Bundestagswahl im September, gemeinsam mit Digitalisierung. Man will ein Ministerium schaffen, das sich mit der Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche befasst, zudem ein konzises Einwanderungsgesetz, ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht, Steuern und Abgaben sollen sollen gesenkt werden. Drei Tage diskutierte die seit 2013 außerparlamentarische FDP bis zu diesem Sonntag auf ihrem Bundesparteitag in Berlin.

Neben der Programmarbeit war der Parteitag von Wahlkampfrhetorik im Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen (Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen) geprägt - und von medialen Abwehrkämpfen: Der gut begründete Verzicht auf eine Koalitionsaussage führt dazu, dass die FDP-Führung immer wieder Antworten auf mögliche Koalitions-Optionen geben muss, von Schwarzgelb bis Sozialliberal, von Ampel bis Jamaika. Und wie begegnet man dem Vorwurf, die FDP sei eine Ein-Mann-Partei? "CLP" spottete der "Spiegel", "Christian-Lindner-Partei".

Die FDP leidet zudem daran, dass der Begriff des Liberalismus durch 40 Jahre Deregulierung und Marktfixierung kontaminiert und radikal verengt wurde: Nicht ohne Zutun der FDP. Seit 2013 versucht die FDP, diesen Begriff zu modernisieren und zu öffnen.

Ein echtes eigenes Thema hat die Partei aber bislang nicht. Steuersenkung als Dogma hat sich verbraucht, wie überhaupt neoliberale Rezepte in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Das eine erneuerte Hauptanliegen, die Verteidigung und der Ausbau von Bürgerfreiheiten, hat es in Zeiten des Terrorismus schwer.

Die Partei der verpassten Chancen

Was die "Freie Demokratische Partei" sein könnte, das ist ihr von anderen schon öfter vorgeführt worden in den 20 Jahren, seit sich die FDP zu einer Art Statthalter des einseitig wirtschaftsliberalen Neoliberalismus verengt hat: Die Grünen nahmen die ihr bereits in den 1970er Jahren das Erbe von '68, sozusagen den Dahrendorf-Dutschke-Disput über Grenzen, Chancen und die Zukunft der Demokratie (immerhin war die FDP die einzige Partei, die 1967 gegen die Notstandsgesetze votiert hatten) und den Themenkomplex "Umwelt" und "Umweltschutz" als Alleinstellungsmerkmale weg, über den die FDP bereits in den frühen 1970er Jahren überaus interessante Dinge in ihr Programm geschrieben hatte. Diese Grünen "besetzten" in den 1990ern durch den Einfluss der Ostdeutschen auch zunehmend das Thema Bürgerrechte - also Datenschutz, Widerstandsrecht, und gesellschaftliche Liberalisierungen.

Kaum einer erinnert sich aber, dass die FDP auch jene Partei war, die bereits um 1980 über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachgedacht hatte: Seinerzeit sprach man von "Liberalem Bürgergeld" und "negativer Einkommenssteuer". Bereits 1982 stand ein Vorschlag dazu im Koalitionsabkommen mit der Union. Kaum einer erinnert sich, dass die FDP die Partei war, die "Willy Brandts" Ostpolitik erst möglich machte und erheblich mitgestaltete. Sie war auch die Partei, die früher als Union und SPD einen Dialog mit der RAF versuchte, um Ende der 1970er "den Kommunikationsabbruch (zu) überwinden" (FDP-Innenminister Gerhart Baum).

Solche Ideen hat die FDP vergessen. In den schwarzgelben Koalitionen wagte sich die FDP zwar immer wieder mit dem Koalitionspartner CDU/CSU in immer neue Scharmützel über "innere Sicherheit" (sprich: Einwanderungs- und Asylfragen, Rechtsstaatlichkeit und später dann den Anti-Terror-Kampf), rieb sich daran aber auch in Einzelfragen auf. Regieren bedeutet Realitätsschub, irgendwann aber auch Regression und Visionslosigkeit.

So vergaß man alte und übersah neu entstandene Themenkomplexe wie Gentechnologie, Anerkennung schwul-lesbischer Lebensformen, modernes Verkehrsrecht, vor allem aber alles, was mit Netzpolitik und Digitalisierung der Lebenswelt zusammenhängt, mit Immaterialgüterrecht und "Internet der Dinge". Dies wurden die Themen der Piratenpartei.

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