Was die "Grünen" sein könnten
- Was die "Grünen" sein könnten
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Giftgrün oder Blattspinat? "Bündnis90/Die Grünen" in der Falle des schnöden Pragmatismus
In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod.
Alexander Kluge
Die Überschrift des Tages lieferte ausgerechnet das Neue Deutschland: "Fifty Shades of Green" stand da süffig auf dem Titel. Wer sich vor Beginn der "Bundesdelegiertenkonferenz" der Grünen im Juni (siehe auch: Freiheit + Öko = Jamaika) auf dem Tagungsgelände im Ost-Berliner "Velodrom" ein wenig die Beine vertrat, sah Stände von Slowfood-Zeitschriften und Unternehmen, die "Energie aus Müll" gewinnen, die nachhaltige grüne Stofftasche, die für jeden Parteitagsgast auslag, enthielt gar nicht besonders umweltfreundliche Broschüren der "Hans Böckler Stiftung" und vom "Bund der Steuerzahler" und auch die Volksbanken-Raiffeisenbanken haben teuer gedruckte "Positionen zur Bundestagswahl 2017" und geben ungefragt "Fünf politische Impulse".
Dieser Ort, das Velodrom, wo Radrennen stattfinden und Popkonzerte, verlockt zu Kalauern: "Die Grünen tief im Keller" bietet sich an, oder "Die Grünen gehen baden", weil sich im Velodrom auch ein riesiges Hallenbad befindet. Nun sind derartige Witze unter Niveau, aber dass der Humor der Grünen wesentlich subtiler war, lässt sich auch nicht behaupten: "Auf die Presse!" hieß witzig witzig das WLAN-Passwort für die akkreditierten Journalisten.
Amerikanisierung statt Grün-Links
Zum Auftakt der "heißen" Wahlkampfphase hatte man sich einen Stargast eingeladen: Jesse Klaver, der smarte Parteichef der niederländischen Schwesterpartei "GroenLinks", der in seiner Heimat als "niederländischer Trudeau" gilt, aber auch gut der niederländische Bernard-Henri Levy sein könnte, so wie er da im weißen Hemd parlierte - so oder so ein Gegenentwurf zum deutschen "Spitzenduo" "Kathrin und Cem". "Be brave, be proud, stay true to your ideals!", schleuderte Klaver den grünen Delegierten entgegen, und die guckten ein bisschen fassungslos: "So geht's auch?"
Aber diese Schwesterpartei heißt eben "Groen-Links", mit großem "L", nicht Schwarz-Grün.
Das Problem war aber noch mehr, dass nach Klaver dann Cem Özdemir reden musste. Wer hatte sich denn so etwas ausgedacht? Oder die um den Kopf geschnallten Mikrophone bei den beiden Spitzenkandidaten, das sah total blöd aus, produzierte vor allem auch schlechte Fernsehbilder. Wer war nur für so etwas zuständig? Oder für die schlechte Musik, wenn die Kandidaten pseudoamerikanisch in den Saal hineingeklatscht werden. Es war alles ziemlich genau ausgetüftelt, "choreographiert" würde man sagen, wenn es sich denn um Kunst handelte. Eine ausgefeilte Regie sollte den Parteitag unter Kontrolle haben.
Aber es läuft nicht bei den "Grünen", es läuft insbesondere nicht bei Cem Özdemir. Irgendwann im Sommer hatten Spitzenpolitiker der Grünen versucht, den Parteichef zum Rücktritt von der Kandidatur zu drängeln. Nur hatte am Ende die Angst überwogen, das Ergebnis bei der Bundestagswahl noch weiter zu gefährden. Nun ist es zu spät.
Spätzle-Türke und Schwarzgrün-Eckhardt
Die grüne Wahlniederlage des 24. September 2017 stand eigentlich schon seit dem 18. Januar fest. Da hatte die Partei in ihrer unendlichen Weisheit neben der "gesetzten" Kathrin Göring-Eckhardt Cem Özdemir zum zweiten Spitzenkandidaten und "Gesicht" des Wahlkampfs gewählt. Mit genau 75 Stimmen, also 0,22 Prozentpunkten, vor Robert Habeck, den Umweltminister von Schleswig-Holstein.
Wenn es noch eines Arguments gegen direkte Demokratie bedurft hätte - hier war es. Denn mit dieser Entscheidung hatten die Grünen nicht nur den schlechtesten Redner und blassesten unter den drei Kandidaten gekürt, sondern auch einen dezidierten Vertreter von Schwarz-Grün. Dafür steht auch die konservative Göring-Eckhardt. Und somit hatten sich die Grünen alle alternativen Koalitionsoptionen mit einem Schlag selbst zerschreddert.
Hinzu kommt die fehlende Ausstrahlung der Spitzenkandidaten. Der Spätzle-Türke Özdemir, an dem noch immer das Klassenprimushafte des gesellschaftlichen Aufsteigers genauso klebt wie die "Miles&Moritz"-Affaire von 2002 (benannt nach dem PR-Berater Moritz Hunzinger, von dem er einen 80.000-Euro-Kredit erhalten hatte und privat genutzten Flugmeilen), die um ein Haar Özdemirs politische Karriere komplett beendet hätte, und die Pastorentochter Göring-Eckhardt, die härter ist, als sie aussieht, aber über das ganze innerparteiliche Taktieren den Blick für die politischen Realitäten ebenso verloren hat wie für die grüne Strategie.
Da kann man in irgendwelchen doppelt paritätisch besetzten Parteigremien noch so oft beschließen, dass es doch "um Inhalte" gehe, "nicht um Personen". Die Wähler interessiert das nicht. Seit dem 18. Januar geht es in den Umfragen bergab.
Die Grünen müssen schon auf eine Umweltkatastrophe kurz vor der Wahl hoffen
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das alte Muster der kommunizierenden Röhren nicht mehr greift. Früher hatten die Grünen gewonnen, was die SPD verloren hatte und umgekehrt. Das war die Lagertheorie der alten Bundesrepublik, die schon von der Linken aka WASG aka PDS gehörig durcheinandergebracht worden war.
Schwerer wiegt der gesellschaftliche Wertewandel. Die sogenannten "Kernthemen" der Grünen haben sich als Luxusprobleme entpuppt und sind vergleichsweise unwichtig geworden. Was ist Massentierhaltung gegen Erdogan? Was ist Luftverschmutzung gegen den Syrienkrieg? Was ist die Energiewende gegen die Sicherheit der Arbeitsplätze?
Dass die Pol-Kappen schmelzen, wird auch ein Bundeskanzler Özdemir nicht ändern. Der Dieselskandal interessiert die breite Mehrheit nicht, denn diese Mehrheit weiß sowieso, dass Autokonzerne lügen und betrügen. Der Feinstaub-Alarm in Großstädten interessiert diese Mehrheit schon gar nicht, denn auch viele Grünen-Wähler wollen ihre Kinder mit der eigenen Karre zum Sport oder zum Nachhilfeunterricht fahren.
Politische Correctness ist in der Theorie schon nicht lustig, noch weniger in der Praxis. Vegetarismus und Veganismus sind ein Phänomen kleiner Eliten in den Großstädten, das nur deshalb den Grünen bedeutend vorkommt, weil ihre Funktionäre diesen Eliten angehören. Freiheit, Mut, Rechtsstaatlichkeit sind wichtig, nicht der Veggie-Day, der nur größere Minderheiten in Berlin-Mitte interessiert.
Die Grünen müssen schon auf eine Umweltkatastrophe kurz vor der Wahl hoffen.
Noch nicht mal in der Theorie klingt das Wahlprogramm wirklich plausibel. Klimaschutz und Weltoffenheit lauten die Schlagzeilen. Nun mag Klimaschutz ja ungemein wichtig sein, ist aber für Wähler vollkommen unsexy und schwer zu vermitteln. Mit der Knute will man den Wählern aber auch nicht kommen, da gilt Kretschmanns "Verzicht - das hat nie funktioniert."
Und Weltoffenheit ist schön, aber was heißt das konkret? Bienenrettung, Fleischverzicht, Gender-Mainstreaming - alles wichtig, aber einer breiten Masse nicht vermittelbar.