Was die "Grünen" sein könnten

Seite 2: Der Trend ist kein Grüner

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Der Trend ist kein Grüner. Die Grünen spielen im derzeitigen Wahlkampf einfach keine Rolle; sie werden nicht als Opposition angesehen, sondern als Regierungs-Adabei im Wartestand, sie werden nicht als Partei mit Wucht, mit Schärfe wahrgenommen, sondern als Anhängsel der anderen Bürgerlichen, und echte Bürgerwerte scheinen sie nicht zu interessieren.

Die Grünen sind heute im schlimmsten Sinne vernünftig geworden. Sie haben alles Kritische, alles Linke, alles Radikale in ihrer Partei gekillt, allen Populismus. Sie wirken als Partei der Lehrer und Belehrer, statt der Bürgerschrecks und der rebellischen Schüler. Aber wenn sie auch noch so sehr die Linken verdammen, die haben mit ihrem unvernünftigen Oppositionskurs immer noch fast doppelt so viel Stimmen eingefahren wie die Grünen.

Dabei wäre es eigentlich nicht schwer, auf die Kernfragen, was die Grünen von allen anderen Parteien unterscheidet, und warum man sie wählen soll, zu antworten. Angesichts einer alternativlosen Mitte, an deren Rändern sich Linke und AfD platzieren, dürften die Grünen aber nicht auch noch um einen Platz in dieser Mitte streiten. Aber die Matrix der Politik ist komplizierter: Es gibt da nicht nur die Pole rechts und links, sondern auch konservativ und progressiv, vor allem aber freiheitlich und autoritär.

Partei der individuellen Bürgerfreiheit

Darum vor allem geht es. Das ist die grundsätzliche Zukunftsfrage, an der sich alle anderen Themen, auch so angeblich oder tatsächlich existentielle wie die Klimafrage, ausbuchstabieren lassen: Wieviel Freiheit? Welche Freiheit?

So wie es Heribert Prantl in der SZ im Frühsommer formuliert hat: "Wie viel Platz gibt es in der Bundesrepublik für welche Liberalität - wie viel für die gelbe Liberalität der FDP und wie viel für die Liberalität der Grünen?"

Die Grünen könnten eine Partei der Kontroversen sein, nicht des Konsens, und zwar der Kontroversen, die in der Mitte der Gesellschaft geführt werden, aber nicht mit schnöden Kompromissen, nicht mit einem bisschen von allem beantwortet werden können.

Die Grünen könnten eine Partei der gesellschaftlichen Streitkultur sein - also nicht des innerparteilichen Streits, sondern des Streits um progressive Lösungen und Utopien. In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Sie müssen nicht auch noch ihre Variante eines "aufgeklärten Patriotismus" präsentieren, sondern sollten den Abschied vom Nationalstaat wagen. Die Grünen könnten die Partei der Republik Europa sein, des konsequenten Einwanderungsrechts. Sie könnten eine Partei der individuellen Bürgerfreiheit sein und der digitalen Moderne.