Was hat die Verfassungsschutzoperation "Opalgrün" mit dem Anschlag vom Breitscheidplatz zu tun?

Untersuchungsausschuss erfährt nur in kleinen Happen von hochgeheimen Hintergrund des Berliner Attentats. Pegida-Gründer Bachmann vernommen

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Der Name "Opalgrün" ist erst vor wenigen Monaten aufgetaucht. Heute ist klar: Die geheime Operation mehrerer Verfassungsschutzbehörden muss mit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 zu tun haben. Doch bisher sind es nur Bruchstücke, die den Untersuchungsausschüssen geliefert werden.

Bei der jüngsten Sitzung des Bundestagsausschusses Anfang November wurde außerdem auch der Pegida-Gründer Lutz Bachmann vernommen. Er erklärte, nach dem Anschlag abends einen Anruf (und danach noch eine SMS) erhalten zu haben, in dem ihm ein angeblicher Polizeibeamter aus Berlin mitteilte, bei dem Attentäter handle es sich um einen tunesischen Moslem. Sollte das stimmen, wäre es ein weiteres Puzzlestück, das zu den zahllosen Ungereimtheiten des Terroranschlags passen würde.

Zunächst zur Operation "Opalgrün". Zum ersten Mal vernahm der Bundestagsausschuss dazu einen Zeugen, allerdings hinter verschlossenen Türen. Inhalte der eineinhalbstündigen Befragung eines Mitarbeiters des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit dem Aliasnamen "Paul Steinmark" wurden bisher nicht bekannt. Der Auftritt sei unergiebig gewesen, hieß es nur.

Im Kern soll es beim Vorgang "Opalgrün" um Planungen und Vorbereitungen von Terrorakten gehen: Geld- und Waffenbeschaffung, Bereitstellung von Wohnungen als Stützpunkte. Dabei soll auch der angebliche Attentäter vom Breitscheidplatz, der Tunesier Anis Amri, genannt worden sein. Unter anderem heißt es, Mitglieder eines arabisch-stämmigen Clans in Berlin sollen ihn bei seiner Flucht unterstützt haben.

Die Informationen deuten auf einen organisierten Anschlag hin und widersprechen der Anis-Amri-Einzeltäter-Theorie.

An der gemeinsamen Aktion sollen das BfV, das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Mecklenburg-Vorpommern und das LfV Berlin beteiligt gewesen sein.

Opalgrün: Terrorismus-Unterstützung, Geld, Waffen, Wohnungen

Die Chronologie der "Opalgrün"-Geschichte rückwärts betrachtet liest sich so: Im Mai 2020 berichteten erstmals Medien von der Sache, dadurch erfuhren auch die Abgeordneten davon. Der Begriff "Opalgrün" kursierte zu dem Zeitpunkt noch nicht. Im Oktober 2019 hatte der Generalbundesanwalt von dem Vorgang erfahren, weil sich ein Verfassungsschutzbeamter aus Mecklenburg-Vorpommern an ihn gewandt und Folgendes mitgeteilt hatte: Ein V-Mann von ihm habe im Februar 2017 über die fragliche Unterstützung Amris in Berliner Clan-Kreisen berichtet. Die Informationen seien aber durch seinen Vorgesetzten im Schweriner LfV unterschlagen und nicht an die Breitscheidplatz-Ermittler weitergeleitet worden.

Der V-Mann, heißt es weiter, sei im Rahmen des Vorgangs "Opalgrün" auf jene arabische Großfamilie in Berlin angesetzt gewesen, weil es dort Hinweise auf angebliche Anschlagsplanungen während des muslimischen Fastenmonats Ramadan im Jahr 2016 gegeben habe. Möglicherweise sollte dafür ein mehrköpfiges Kommando nach Deutschland einreisen. Das religiöse Fest dauerte 2016 vom 6. Juni bis zum 5. Juli.

Inzwischen wissen die Abgeordneten, dass "Opalgrün" bereits vor dem Anschlag angelaufen war. Am 9. Juni 2016 soll der Vorgang Thema der Arbeitsgruppe Operativer Informationsaustausch im Gemeinsamen Terrorismusabwehr-Zentrum (GTAZ) gewesen sein. Das entsprechende Protokoll der Sitzung hat der Ausschuss inzwischen angefordert.

Dass es vier Jahre gedauert hat, bis die Parlamente von dem Vorgang erfuhren, zeigt wie getrennt Exekutive und Legislative sind und wie hermetisch abgeriegelt der Sicherheitsapparat ist.

Dass der Vorgang überhaupt bekannt wurde, hängt möglicherweise damit zusammen, dass das Bundeskriminalamt (BKA) seit einem Jahr unter großem öffentlichen Druck und Rechtfertigungszwang im Zusammenhang mit dem Breitscheidplatz-Anschlag steht. Im Landeskriminalamt (LKA) von Nordrhein-Westfalen wirft man ihm vor, bezweckt zu haben, einen wichtigen Informanten (die V-Person 01) kaputt zu machen. Und der Untersuchungsausschuss des Bundestags hört nicht auf, die BKA-Ermittler mit ihrer oberflächlichen und tendenziösen Arbeit zu konfrontieren. Die wirken wie paralysiert. Die Information über die im Schweriner LfV unterschlagenen Erkenntnisse kam mutmaßlich aus den Reihen des BKA. Wollte es sich dadurch etwas Luft verschaffen und aus der Schusslinie nehmen?

Bei den letzten Sitzungen des U-Ausschusses im Bundestag konnte man erfahren, dass die Bundesanwaltschaft (BAW) die Ermittlungen zur "Sache Opalgrün" im Zusammenhang mit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz führt und dass das BKA darin eingebunden ist.

Umso irritierender, dass die obersten Chefs im Sicherheitsapparat allem Anschein nach wenig bis nichts zu "Opalgrün" und den aktuellen Ermittlungen wissen. So zuckte Ende August 2020 der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) mit den Schultern, als er im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin nach "Opalgrün" gefragt wurde: Keine Ahnung. Dem Innensenator untersteht das beteiligte LfV.

Anfang Oktober 2020 im Ausschuss des Bundestags eine ähnliche Reaktion von Hans-Georg Maaßen, bis November 2018 Präsident des BfV. Nach "Opalgrün" gefragt, antwortete er: Das höre sich nicht nach BfV an. Als er zurückfragte, was das sein solle, und ihm erklärt wurde: Terrorismus-Unterstützung, Geld, Waffen, Wohnungen, war Maaßens neuerliche Antwort: "Opalgrün" höre sich nicht nach BfV an, er könne es aber auch nicht ausschließen, habe aber "keinerlei Gefühl" dafür.

BKA: Unterlassungen werden benutzt zum Ausbau des Sicherheitsapparates

Und auch BKA-Chef Holger Münch musste jetzt fundamentale Wissenslücken zugeben. Er will bisher nur von dem Verfahren gehört haben, aber nicht wissen, worum es gehe, erklärte er als Zeuge im Bundestag. Und das, obwohl Mitarbeiter seiner Behörde in die Ermittlungen der BAW eingebunden sind.

Keine überzeugende Referenz für den Präsidenten der obersten deutschen Polizeibehörde. Vielleicht liegt das daran, dass er sich eher als Sicherheitspolitiker versteht und weniger als kriminalistischer Ermittler.

Auch beim Anschlagskomplex Breitscheidplatz interessierte Münch zunächst die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik. Er sprach von "Schwachstellen unserer Sicherheitsmaßnahmen", für die er sich entschuldigte. Sie seien inzwischen "beseitigt", dennoch könne man Anschläge in Zukunft nicht ausschließen.

Diese Beseitigung sieht so aus: Seit dem Anschlag wurde deutlich mehr Personal eingestellt, vor allem für die Terrorismusfahndung; Schaffung einer eigenen Abteilung für Islamismus mit über 800 Mitarbeitern, was mehr als zehn Prozent des BKA-Personals entspricht; Erweiterung der polizeilichen Möglichkeiten, wie beispielsweise Online-Durchsuchungen.

Was sich zunächst selbstkritisch anhörte, folgte also eher einem strategischem Nutzen gemäß dem Motto: Eigene Unterlassungen werden benutzt zum Ausbau des Sicherheitsapparates. Münch sprach sich auch für weitere Videoüberwachungen von öffentlichen Plätzen aus. Wäre der Breitscheidplatz umfassend überwacht worden, hätte man den Anschlag schnell aufklären können, sagte er.

Er unterschlug, dass es durchaus Videoaufnahmen gibt, die aber oberflächlich ausgewertet wurden. Aber vor allem: Die Abschiebung des mutmaßlichen Mittäters Ben Ammar wenige Wochen nach dem Anschlag hatte rein gar nichts mit fehlender Videoüberwachung am Tatort zu tun. Sondern sie war eine bewusste, rechtsstaatswidrige Entscheidung mehrerer Sicherheitsbehörden und zweier Bundesministerien. Der wesentliche Player dabei war das BKA. Münch war persönlich an dem Vorgang beteiligt, wie er zugab.

Doch wie will man die richtigen Konsequenzen ziehen, wenn die Ermittlungsergebnisse nicht stimmen? Was Münchs BKA zum Anschlagsgeschehen bisher präsentierte sind nicht etwa Lücken und Schwächen, sondern Ermittlungstendenzen bis hin zu Manipulationen und Verschleierungen mit dem Ziel der einseitigen Festlegung auf Anis Amri als Täter. Ausschussmitglied Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) formulierte es so: Die objektive Spurenlage passe nicht zur Darstellung des BKA.

Wer war mit Amris SIM-Karte unterwegs?

Das geht nun seit Monaten so und setzte sich zuletzt in der Ausschusssitzung von Ende Oktober mit der leitenden Kriminaldirektorin im BKA, Julia Pohlmeier, fort. Sie konnte beispielweise nicht erklären, wie Amri - oder eine andere Person - mit dem berühmten HTC-Handy vor dem Anschlag hätte kommunizieren können, da doch dessen SIM-Karte am Tattag gar nicht benutzt wurde.

Im zweiten Mobiltelefon von Amri, einem Samsung Klapp-Handy, das im LKW lag, steckte wiederum nicht einmal eine SIM-Karte. Die Telefonnummer dieser SIM-Karte war allerdings am 21. Dezember 2016 um 17:30 Uhr in der Funkzelle Kurfürstendamm in Berlin eingeloggt. Amri saß zu diesem Zeitpunkt im Zug von Amsterdam nach Brüssel, mutmaßlich unterwegs mit einem dritten Handy. Wo die fragliche Telefonnummer der fraglichen Klapp-Handy-SIM-Karte zum Tatzeitpunkt eingeloggt war, hat das BKA bisher nicht mitgeteilt. Es könnte gegen die Täterschaft Amris sprechen.

Wenn Amri am 19. Dezember 2016 im LKW saß und durch die Menschenmenge des Weihnachtsmarktes fuhr, wer war dann mit seiner SIM-Karte unterwegs? Oder umgekehrt betrachtet: Wenn Amri mit seiner SIM-Karte unterwegs war, wer saß dann im LKW?

Sitzung für Sitzung neue Unklarheiten und trotzdem erklärt Behördenchef Münch: Er habe keine Bedenken, dass seine Mitarbeiter korrekt gearbeitet haben. Die Täterfrage sei für ihn zweifelsfrei geklärt, es gebe auch keine validen Hinweise auf Mittäter.

Dass Amri den LKW gefahren habe, dazu könne man unterschiedlicher Meinung sein, entgegnete die Abgeordnete Mihalic nur. Sie sieht im Übrigen Parallelen zum NSU-Komplex, wo sie ebenfalls in einem Untersuchungsausschuss saß. Auch damals sei im BKA ein riesiger Personalaufwand betrieben worden, ohne dass klar wurde, wo die Fäden zusammenliefen.

Gibt es strukturelle Ursachen dafür, dass viele Fragen offengeblieben sind? Oder liegt es eher in der Tendenz der Täterfestlegung. Favorisiert wird der Einzeltäter, beziehungsweise im Falle NSU zwei Einzeltäter. Werden Täterkreise so klein wie möglich gehalten, um die Gefahr zu vermeiden, dass V-Leute in den Blick der Ermittlungen kommen?

Ist es Sache eines Nachrichtendienstes festzulegen, was als ermittlungsrelevant anzusehen ist und was nicht?

Nach Ex-BfV-Präsident Maaßen, BKA-Präsident Münch wurde nun auch der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Ausschuss befragt, Bruno Kahl. Dem Auslandsgeheimdienst ist es bisher gelungen, den Fokus etwas von sich fern zu halten, auch weil seine Vertreter im U-Ausschuss meist nur hinter verschlossenen Türen befragt wurden.

Mit seinem Eingangssatz, die Verhinderung des Anschlags vom Breitscheidplatz sei "trotz aller Anstrengungen nicht gelungen", bezog Kahl den BND aber grundsätzlich in die Verantwortung mit ein. Doch unmittelbar danach relativierte er die Aussage wieder: Der BND sei "zunächst nur am Rande" eingebunden gewesen. Um dann erneut einzugestehen: Im Vorfeld sei einiges gelaufen, wie es "nicht laufen solle". Aufgelöst hat er den etwas kryptischen Satz nicht. Stattdessen pflegte er bei seiner Befragung ein fortgesetztes Ja-und-Nein-Spiel: "Ja", der BND hätte im September und Oktober 2016 Hinweise, die von marokkanischen Diensten zu Amri kamen, nicht nur dem BKA, sondern auch dem BfV übermitteln sollen. Jedoch: "Nein", der Anschlag wäre dadurch nicht verhindert worden.

Videos, die Amri vor dem Anschlag zeigen und die dem BND nach dem Anschlag von einem Partnerdienst im Ausland zur Verfügung gestellt wurden, würden "keine neuen Erkenntnisse" liefern, so Kahl, deshalb seien sie nicht weitergegeben worden.

Dem wurde im Ausschuss widersprochen. Die Abgeordnete Martina Renner (Linkspartei) sagte, auf den Videos sei Amri mit der späteren Tatpistole zu sehen, außerdem müsse eine zweite Person die Aufnahmen gemacht haben. War das vielleicht sein Mitbewohner Kamel A.?, fragte sie. Dessen DNA fand sich an der Waffe.

Hinter dem eigenmächtigen Umgang des BND mit möglichem Beweismaterial steht eine grundsätzliche Frage: Ist es Sache eines Nachrichtendienstes festzulegen, was als ermittlungsrelevant anzusehen ist und was nicht? "Ist das nicht eine Anmaßung? Das ist doch nicht Ihr Job", so Renner. Antwort des BND-Präsidenten: "Wir haben es nicht vorenthalten, sondern vielleicht nur nicht in der gebotenen Eile weitergegeben."

Zu den ungeklärten BND-Ungereimtheiten gehört, warum er Ende November 2016 Amri per Telefonüberwachung geortet hatte. Dabei wurde festgestellt, dass sich Amri in Deutschland aufhielt. Warum die Aktion, und was folgte daraus?

Und last but not least: Mit der Geheimdienstsache "Opalgrün" konnte auch der oberste BND-Mann bisher nichts anfangen.

Glaubt man Lutz Bachmann seine Geschichte?

Lutz Bachmann ist Gründer und Aktivist der islam- und fremdenfeindlichen Pegidabewegung. Im Anschlagskomplex taucht er deshalb auf, weil er am Tatabend um 22.16 Uhr, also zwei Stunden nach dem Anschlag, auf der Internetplattform Twitter den folgenden Tweet veröffentlicht hatte: "Interne Info aus Berliner Polizeiführung: Täter tunesischer Moslem. Dass der Generalbundesanwalt übernimmt, spricht für die Echtheit."

Bluff oder wahrer Kern? Nach offiziellen Angaben soll der Tunesier Amri erst am Nachmittag des 20. Dezember 2016 gegen 17 Uhr als der Attentäter im LKW festgestanden haben. Im Laufe der Sitzungen des Untersuchungsausschusses im Bundestag fragten Abgeordnete Ermittler immer wieder, was sie von dem Bachmann-Tweet hielten, ob sie ihn überprüft und Bachmann vielleicht dazu vernommen haben. Auf der ganzen Linie Fehlanzeige.

Das Gremium beschloss deshalb, Bachmann als Zeugen zu laden. Nicht alle wollten das einsehen. Die Abgeordnete der Linkspartei blieb der Befragung demonstrativ fern. Der Bundestag solle Nazis keine Bühne geben, erklärte sie auf Nachfrage.

Der Zeuge Bachmann bekam im Ausschuss keine Bühne, und er hat sie auch nicht gesucht, er verzichtete auf ein Eingangsstatement. Die Befragung schien ihm eher unangenehm zu sein. Folgsam Antworten auf fremde Fragen geben zu müssen, passt offensichtlich nicht zu seinem Macher-Image.

Warum er den Tweet abgesetzt habe, wurde Bachmann gefragt - und der antwortete: "Weil es der Wahrheit entsprach." Er habe am Abend nach dem Anschlag einen Anruf von einem Mann erhalten, der sich als "Polizeibeamter aus Berlin" vorstellte und der mitgeteilt habe, der Täter sei ein tunesischer Moslem. Kurz danach sei noch eine SMS selben Inhalts eingegangen. Die habe er aber nicht mehr. Der Anrufer habe mit Berliner Akzent gesprochen, um wen es sich handelte, wisse er nicht. Er habe ihn nicht gefragt, woher er sein Wissen habe. Er habe überhaupt keine Rückfragen gestellt.

Ob der Anrufer selber in die Anschlagsermittlungen involviert war, könne er nicht sagen. Er habe souverän geklungen, gezielt nach ihm gefragt und dann seine Aussage vom tunesischen Täter gemacht. Der Name Anis Amri sei nicht genannt worden. Dass es sich um eine "interne Information aus der Berliner Polizei" gehandelt habe, wie er in seinem Tweet formulierte, habe er vermutet. Er bekomme öfter Anrufe von Beamten, die ihn über interne Polizeivorgänge informierten. Seine Telefonnummer stehe im Telefonbuch. In Polizei-Chatgruppen sei er aber nicht. Behörden hätte er den Sachverhalt nicht gemeldet und auch nicht mit Leuten aus Sicherheitskreisen Kontakt aufgenommen.

Gelöscht habe er den Tweet später wieder, weil der Druck auf ihn zu groß geworden sei, viele Journalisten hätten seine Telefonnummer. Bachmann sagte zunächst, der Anruf sei etwa 40 Minuten nach dem Anschlag gekommen. Später erklärte er, er habe seinen Tweet drei bis fünf Minuten nach dem Anruf im Internet gepostet. Der Unterschied beträgt etwa eine Stunde.

Zwei Glaubensfragen stellen sich: Glaubt man Lutz Bachmann seine Geschichte? Wenn ja: Glaubt man dem Anrufer dessen Geschichte? Fakt ist, dass sowohl Bachmann richtig lag, als auch der Anrufer. Hätte einer von ihnen gelogen und also nur zufällig richtig gelegen, hätte vor allem Bachmann riskiert, als Desinformant da zu stehen.

Stimmt die Geschichte aber, sind fundamentale Fragen zur Gesamterzählung des Anschlagskomplexes aufgeworfen, die wiederum allerdings mit den zahllosen Ungereimtheiten zusammenpassen würden: Amri-Handy, das in der vorderen LKW-Karosserie steckte; Amri-Handy ohne SIM-Karte; keine Fingerabdrücke und volle DNA-Spuren von Amri im LKW, dagegen Spuren von anderen unbekannten Personen und so weiter und so fort.

Doch darüber hinaus gibt es noch mehrere Sachverhalte, zu denen das passt, was der Zeuge Bachmann jetzt zu Protokoll gab. So hatte ein Kriminalbeamter aus Nordrhein-Westfalen im September 2019 im U-Ausschuss des Bundestags ausgesagt, als er am frühen Morgen des 20. Dezember 2016 ("es war noch dunkel") in seiner Dienststelle eintraf, sei bereits der Name Amri als Attentäter kursiert. Das war einen halben Tag, bevor dessen Papiere in der LKW-Fahrerkabine entdeckt wurden. Stand Amri bereits kurz nach dem Anschlag als Täter fest?).

Im Staatsschutz des LKA Berlin ging man nach dem Ereignis auf dem Breitscheidplatz sofort von einem Anschlag und nicht etwa von einem Unfall oder einer Amokfahrt aus. Der Staatschutz übernahm direkt die Ermittlungen - allerdings nicht die damalige Chefin persönlich, sondern der Leiter der Dezernats 54 für islamistisch motivierte Gewalt, Axel Bedé. Ihm gesellten sich ein paar BKA-Beamte hinzu. Die offizielle Führungsstruktur des Polizeipräsidiums wurde gewissermaßen parallel dazu aufgebaut.

Doch der eigentliche Ermittlungsboss in jener Nacht war Axel Bedé mit seinen Leuten. Er baute eine Leitstelle und eigene Besondere Aufbau-Organisation (BAO) auf, die bereits nach zwei Stunden arbeits- und führungsfähig war. Und er löste die Maßnahme 300 aus, mit der Verbleibkontrollen polizeibekannter Islamisten durchgeführt wurden. Unter anderem wurde auch die Fussilet-Moschee überprüft. Festnahmen erfolgten in dieser Nacht allerdings nicht. Der Name Anis Amri stand übrigens nicht auf der Liste der zu Überprüfenden (Die offizielle Anschlagsgeschichte wird immerbizarrer).

Warum aber übernahm das Islamismus-Dezernat im Staatsschutz und nicht einmal dessen Leitung an sich? Hatte das LKA Hinweise, dass der oder die Täter in islamistischen Kreisen zu suchen sind?

Der Täter ein tunesischer Moslem? Das muss nicht unbedingt Anis Amri gewesen sein. Die Bezeichnung trifft auf eine Reihe anderer Leute gleichfalls zu: Bilel Ben Ammar, Kamel A., Khaled A., Abdelmontasser H., Sabou Saidani etwa.