Was ist los bei der Polizei?
Nazi-Chats und Vorwurf der Volksverhetzung: Die Vorfälle in NRW offenbaren eine toxische Cop-Culture
30 Beamte und Beamtinnen der NRW-Polizei im Ruhrgebiet sind in einer beispiellosen Aktion in den letzten fünf Tagen vom Dienst suspendiert worden. Der Vorwurf: Rechtsextremismus. Aufgeflogen ist ein ganzes Netzwerk, in dessen Mitte sich seit Jahren eine Kerntruppe gebildet hatte. Dessen Name: Das "Alphateam". Im Brennpunkt steht die Stadt Mülheim an der Ruhr.
"Übelste Hetze"
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte seit Mitte vergangener Woche viel zu tun, um Erklärungen abzugeben. Fünf extremistische Chatkreise wurden aufgedeckt, 43 Telefone, 19 SIM-Karten, 21 USB-Sticks, 20 Festplatten, neun Tablets und neun PCs beschlagnahmt. Die bislang ans Licht gekommenen Fotos, so Reul auf einer eigens anberaumten Plenarsitzung im Düsseldorfer Landtag, zeigten "übelste, widerwärtigste neonazistische Hetze".
Wie kam man der Sache auf die Spur? Bei der Überprüfung des Handys eines 32-jährigen Polizisten aus dem Polizeipräsidium Essen wurden nach bisherigen Erkenntnissen Anfang September die ersten extremen Dateien gefunden. Eher zufällig: Denn, so Reul, es sei zunächst um das Thema "Ausplaudern von Dienstgeheimnissen" gegangen. Im Laufe der Ermittlungen stießen die Kollegen auf das Chat-Netzwerk. Dessen WhatsApp-Gruppen waren offenbar seit 2012 aktiv, eine weitere wurde 2015 gegründet. Die bisher letzte Chat-Nachricht stamme vom 27. August diesen Jahres.
Jahrelang im Verborgenen
Acht Jahre haben sich die Aktivitäten der jetzt entdeckten Truppe also im Verborgenen abgespielt. Der innere Chatzirkel bestand aus 15 Personen. Insgesamt ermitteln Polizei und Justiz in NRW im Zusammenhang der Sache gegen 30 Polizeibeamte und -beamtinnen. Sie wurden suspendiert, ein Teil von ihnen vorläufig des Dienstes enthoben. Gegen elf Kollegen und Kolleginnen ermittelt die Staatsanwaltschaft Duisburg wegen des Verbreitens verfassungswidriger Symbole und des Verdachts auf Volksverhetzung.
Die Beschuldigten sind Mitglieder einer WhatsApp-Gruppe, die eine dreistellige Anzahl dementsprechender Bilddateien gepostet haben. Im Detail, so erklärte Reul, seien in den Chats auf WhatsApp unter anderem Hitler-Bilder und Hakenkreuze verschickt worden. Zudem seien Darstellungen entdeckt worden, die Flüchtlinge in KZ-Situationen zeigten; auch sei ein Bild entdeckt worden, das die fiktive Darstellung einer Erschießung dunkelfarbiger Menschen demonstriere.
Einem Bericht der Westdeutschen Zeitung (WZ) zufolge arbeitet einer der Beamten im LKA, einer ist Ausbilder im Landesamt für Fortbildung und Personalangelegenheiten; zwei Polizisten sind im Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste eingesetzt. In Mülheim an der Ruhr haben die meisten der Beschuldigten zu irgendeinem Zeitpunkt in ein und derselben Dienstgruppe ihren Dienst verrichtet. Unter den Beschuldigten sind sechs Frauen ohne höheren Dienstgrad. Innenminister Reul räumte ein, es habe Hinweise an die von ihm im Frühjahr 2020 eingesetzte Extremismusbeauftragte gegeben, "aber nicht in ausreichendem Maße".
Falsch verstandener Korpsgeist
Die Grenze zum Rechtsextremismus ist fließend.
Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaft, Akademie der Polizei Hamburg
In einem Interview äußert sich Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaft an der Akademie der Polizei Hamburg, derweil zur Problematik (Kölner Stadt-Anzeiger, 17.09.2020, NRW, S. 3). Die in NRW zutage tretende "Cop-Culture" entwickele, so Behr, eine Eigendynamik. Behr fordert ein System, in dem anonyme Hinweise von Whistleblowern aus den eigenen (Polizei-)Reihen möglich sind, die auf Probleme aufmerksam machen. Ein ähnliches System - nur im technischen Sektor - gibt es bereits bei Fluglinien, bei denen Mitarbeiter anonym auf technische Auffälligkeiten hinweisen können.
Innenminister Reul kündigte Ende der Woche an, den bisherigen stellvertretenden Chef des NRW-Verfassungsschutzes, Uwe Reichel-Offermann, als Sonderbeauftragten für Rechtsextremismus bei der NRW-Polizei einzusetzen. Reichel-Offermann soll Reul direkt unterstellt sein. Um die Vorgänge an der Ruhr weiter zu untersuchen, werde zudem eine Sonderinspektion eingesetzt.
Probleme bei der Beweisverwertung?
Die Frage ist, warum das alles nicht viel früher geschehen ist. Hinweise auf falsch verstandenen Korpsgeist und auf Rechtslastigkeit in Polizeikreisen gab es zweifellos genug. Im "Alphateam" soll es einige gegeben haben, die sich "nur" nicht getraut haben, die Gruppe zu verlassen. Fazit: Es gibt eine Menge zu tun, die problematische Cop-Culture endlich gründlich aufzurollen.
Dabei könnten zu guter Letzt noch strafrechtliche Grenzen ein Hindernis sein: Abstoßende Inhalte, die nur in geschlossenen Chats auftauchen - also nicht in eine breitere Öffentlichkeit gelangen -, wären dem Gesetz zufolge nicht einmal strafbar. So käme ein "Beweisverwertungsverbot" zum Zuge: Die sichergestellten Handys und Datenträger würden für eine Beweisverwertung gar nicht in Betracht kommen.