Was ist los mit der (russischen) Kunst?
Die russische Kunst befindet sich in einer tiefen Krise. Alexei Shulgin, der in Moskau ein Kunstzentrum im Netz betreibt, analysiert die Schwierigkeiten und setzt auf die Kunstformen im Netz.
Kunst hat sich schnell gemäß der technischen Revolution entwickelt. Eine neue Kunstforum ist mit dem Gebrauch der audiovisuellen Möglichkeiten von Multimedia und dem Web entstanden. Gleichermaßen profitiert die herkömmliche Kunst von diesen technischen und telematischen Möglichkeiten, durch die sich materielle Beschränkungen überwinden und ein viel größeres Publikum erreichen läßt.
In vielen Gegenden der früheren Sowjetunion befinden sich die Künstler jetzt in einer Identitätskrise. Auch wenn die Zensur (mehr oder weniger) verschwunden ist, stehen viele Künstler vor einem anderem Problem: sie müssen die Kosten für die von ihnen benötigte Technik aufbringen. Konventionelle Künstler klagen darüber, daß die Preise etwa für Farbe und Verfügbarkeit von Material wie Papier sie in eine schwierige Situation bringen. Als Folge haben einige den Ausweg gewählt, den man am besten als intellektuelle Prostitution bezeichnen kann, ihre Talente an denjenigen zu verkaufen, der am meisten bietet. Andere machen in der Zwischenzeit, was und wie sie können. Über allem aber steht die Frage nach den computergestützten Kunstformen: Ist das wirklich Kunst?
Der folgende Kommentar stammt von Alexei Shulgin, einem russischen Künstler, der in Moskau ein Kunstzentrum betreibt. Er versucht, die russische Kunst im digitalen Zeitalter auf neue Weise zu positionieren.
Alexei Shulgin über die Situation der Künstler in Rußland
Die Kunstszene ist Moskau geht dem Untergang entgegen. Erfolgreiche Künstler fliehen in den Westen. Man begegnet ihnen in Berlin oder Amsterdam.
Viele der zurückbleibenden Künstler müssen sich beruflich verändern. Es gibt keine staatliche Unterstützung mehr und es ist praktisch unmöglich, einen Halbtagesjob (mit ausreichender Bezahlung) zu finden, so daß man noch Zeit für die Kunst hat. Ein anderes Problem ist, daß die Kunstinstitutionen sich in einer tiefen Krise befinden. Der Kontext der Kunst verschwimmt.
Ich persönlich schätze solche Situationen.
Ich glaube nicht, daß Kunst ein Phänomen der Mittelschicht ist. Das zeitgenössische Kunstsystem - die Galerien, Museen und Zeitschriften - war stets das einzige System, das einzige Ziel für russische Künstler. Es hat hier, in dem Land, in dem Marxismus-Leninismus siegte, große Bedeutungsverschiebungen hinsichtlich dem gegeben, was man als Underground oder linksgerichtete Aktivität versteht. Im Underground zu sein, heißt jetzt, ein Amateurkünstler zu sein. Bis zu einem gewissen Maß sind alle russischen Künstler einfach deswegen schon Underground-Künstler, weil sie nicht dem russischen Mainstream angehören, was selbst für Kabakov gilt.
Russische Kunst gibt es fast nicht. Sie existiert nur als eine Widerspiegelung im gekrümmten Spiegel des westlichen Kunstsystems.
Das löst bei mir das einzigartige und fröhliche Gefühl aus, mich dazwischen zu befinden: zwischen Mainstream und Underground, zwischen Osten und Westen.
Das Internet hilft mir dabei, an einer solchen Situation Gefallen zu finden. Es löst eine größere Ungewißheit in mir aus.
Ich versuche, mehr Künstler in das Internet zu ziehen, doch die meisten besitzen die übliche Mentalität der Mittelschicht und sprechen kein englisch. Und es gibt noch ein Problem - das der kulturellen Unterschiede. Die russische Kunst (auch die Bildkunst) ist vorwiegend literarisch ausgerichtet. Künstler haben Probleme mit der Kommunikation und glauben nicht, daß sie gelöst werden können.
Doch die Dinge ändern sich allmählich ein wenig ...
Ich habe die Grenze der Worte erreicht, nach der Schreiben zu suggerieren beginnt, das es etwas beschreibt. Aber was kann man mit Worten beschreiben?
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer