Was könnte das sein, ein nicht-faschistischer Bürger?

Seite 3: Die Verhältnisse: Voraussetzung der Demokratie

Insofern ist der Sozialstaat, der die Lebensrisiken einigermaßen abfedert, Voraussetzung der Demokratie. Unter dem Einfluss von übergroßer Angst regredieren Menschen auf einfachere Mechanismen der psychischen Regulation wie Spaltung, Projektion und Verleugnung.

Das Differenzierungsvermögen bildet sich zurück und weicht einem Bedürfnis nach übersichtlichen Freund-Feind-Verhältnissen.

Wenn der nicht-faschistische Menschentypus zum dominierenden Sozialcharakter werden soll, wäre es nötig, den Kindern einen freundlichen Empfang zu bereiten und ihnen verlässliche Räume zur Verfügung zu stellen, in denen sie die Stufen ihrer psychischen Geburt durchlaufen und sich zu Menschen in einer menschlichen Welt entwickeln können. Davon sind wir leider weit entfernt, so dass die Gefahr einer neuerlichen Faschisierung fortbesteht.

Peter Brückner, der für mich den Typus eines nicht-faschistischen Bürgers - mit starkem anarchistischem Einschlag - verkörpert, ist im April 1982 gestorben. Dieser frühe Tod ging auch auf das Konto der deutschen Zustände, gegen die Peter Brückner sich zeitlebens aufgelehnt hat.

Seine seit dem Zweiten Weltkrieg geschwächte Konstitution hielt dem Druck der hartnäckigen Nachstellungen nicht stand, zu deren Objekt er in Zeiten des hysterisch geführten staatlichen Kampfes gegen die RAF geworden war. Man suspendierte ihn vom Dienst und erteilte ihm das Verbot, das Gelände der Universität Hannover zu betreten.

Mit der RAF hatte Peter Brückner politisch nichts am Hut, aber er weigerte sich, Männchen zu machen und die damals üblichen Distanzierungs-Rituale zu vollziehen. Sein Denken bewegte sich auf der Höhe der Zeit, war subversiv und gefährlich, seine Sprache radikal-sinnlich. Das war der Punkt, man wollte ihn mundtot machen und verhindern, dass dieses eingreifende Denken Schule machte.

Brückners Bücher sind für mich bis heute Quellen der Erkenntnis. Sie haben nichts an Virulenz eingebüßt und inspirieren heute noch zum Weiterdenken. Meine dreibändige Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus versteht sich als Fortführung Brücknerscher Themen und Gedanken.

Simon Brückner, der bei Peters Tod vier Jahre alt war, hat sich als Erwachsener auf die Spuren seines Vaters begeben und im Jahr 2015 in der Edition Zweitausendeins unter dem Titel Peter Brückner – Aus dem Abseits einen Film herausgebracht, der seinem Vater ein würdiges Denkmal setzt.

Wer neugierig geworden ist und Peter Brückner und sein Denken kennenlernen will, dem empfehle ich sein autobiographisches Buch Das Abseits als sicherer Ort und die Aufsatzsammlung Über die Gewalt. Wer dann auf den Geschmack gekommen ist, findet Brückners umfangreiches Werk im Sortiment des Berliner Wagenbach-Verlags.

Peter Brückner wäre heute 100 Jahre alt geworden. Am Freitag, den 13. Mai 2022, wird Simon Brückner um 20:00 Uhr den Dokumentarfilm über seinen Vater im Berliner Klick Kino, Windscheidstr. 19, präsentieren und hinterher einen Teil von Peter Brückners Text "Ist der Mensch zum Frieden reif?" lesen.

Götz Eisenberg ist ein deutscher Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitete als Gefängnispsychologe und ist Autor zahlreicher Bücher. Eisenbergs Durchhalteprosa erscheint regelmäßig bei der GEW Ansbach.