Was tun mit 489 Milliarden Euro zu einem Prozent Zins?

Leider keine Satire

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Vor wenigen Tagen wurde hier auf Telepolis in dem vielbeachteten Artikel Geld aus dem Nichts von Paul Schreyer die Schöpfung des Geldes aus dem Nichts erklärt. Am Ende wurde gefordert, Geldschöpfung gehöre nicht in gierige private, sondern in weise öffentliche Hände. Staatsknete als cleanes public good?

Die Europäische Zentralbank unter Mario Draghi hat diese Ermahnung ganz offensichtlich gehört. 489,2 Milliarden Euro stellte sie insgesamt 523 Banken zu einem Zinssatz von einem Prozent für drei Jahre zur Verfügung.

Die Bedingung ist sehr hart: Die Banken, so die europäischen Geldschöpfer, sollen mit dem Geld das machen, was sie am besten können, nämlich das, was sie wollen. Was aber wollen Banken mit diesem Geld machen? Einige aktuelle Beispiele.

Geschäftsidee 1: Italienische Anleihen zu sechs Prozent

Eine Idee wäre es, italienische Staatsanleihen zu sechs Prozent zu kaufen. Für Staatsanleihen muss nämlich - im Gegensatz zu Krediten an Wirtschaftsunternehmen - kein Eigenkapital nachgewiesen oder gebildet werden. Die Zinsen für diese Anleihen zahlt der italienische Steuerzahler. Er zahlt damit zum dritten Mal: Zunächst muss er die Einlagen in die Europäische Zentralbank finanzieren, zum Zweiten deren Erhöhung und Haftung zur Auszahlung der 489,2 Milliarden Bankenhilfe und zum Dritten dann die Zinsen, von denen fünf Prozent zur Auszahlung eines absolut leistungslosen Einkommens von Banken und Anlegern und zur Finanzierung korrupter Beamter und Politiker dienen.

Ist es möglich, dies als ein Geschäftsmodell einer europäischen Zentralbank zu denken und zu bezeichnen? Kann Geld, das für viele Kapitalismuskritiker noch immer als private Bereicherungsmethode gilt, auch in seiner öffentlichsten und damit demokratischsten Form zum organisierten Raub an Gemeinschaftsressourcen werden?

Geschäftsidee 2: 18 Prozent zur Finanzierung von Spielsüchtigen in Las Vegas

Der Stolz von Asmussen, Steinbrück, Schäuble und Merkel, die Deutsche Bank, konnte im Jahre 2010 eine Eigenkapitalquote von 2,56 Prozent ausweisen. Sie hätte für zwei bis drei Milliarden von der EZB möglicherweise eine bessere Idee als italienische Staatsanleihen. Die Deutsche Bank betreibt nämlich seit einigen Jahren in Las Vegas das Casino Cosmopolitan, da dessen Besitzer, Bruce Eichner, nicht mehr zahlen konnte. Um die rund 3 Milliarden Dollar wieder einzutreiben, reichen Hotelbetten nicht aus. Es muss gespielt werden. Da aber die Amerikaner äußerst knapp bei Kasse sind, hat "Joe" Ackermann eine viel bessere Idee: Klamme Spieler, die im Cosmopolitan ihren letzten Dime setzen möchten, erhalten dafür von der Deutschen Bank einen Kredit zum unschlagbaren Kampfpreis von 18 Prozent Zinsen pro Jahr. Sie können bereits vorher online ihren Kreditantrag vom Wohnwagen aus ausfüllen und darin folgendem Satz zustimmen:

I will pay interest at the rate of eighteen percent (18%) per annum.

Die Ökonomen der EZB und der Bundesbank werden dieses Modell sicher - wie einst die Subprime-Kredite - als Stärkung der europäischen Finanzwirtschaft ansehen. Begründung: Wenn die europäischen Steuerzahler nicht die Spieleinsätze in Las Vegas finanzieren, drohen in Europa die Lichter auszugehen. Diesem klugen Argument ist leider wenig entgegenzuhalten.

Geschäftsidee 3: Ulrich Wickert und das Wir-Prinzip zu 18,25%

Nicht jede Bank hat ein Casino in Las Vegas. Aber die deutschen Volks- und Raiffeisenbanken können unter Berücksichtigung der geringeren Ausfallrate in Deutschland auch casinowürdige Renditen einfahren. Wie?

Mit dem Wir-Prinzip. Dieses wurde 1998 von der Werbeagentur Bates für die DG-Bank entwickelt und gilt auch heute noch. Zitat aus dem damaligen Werbekonzept:

… eine Profilierung über die Soft-Facts bewirkt (z. B. Partnerschaft), welche sich aus den Wertvorstellungen und Haltungen des Genossenschaftswesens herleiten.

Welche Wertvorstellungen und Haltungen sind hier gemeint? Die Stiftung Warentest konnte sie 2011 messen. Danach gelang es den Genossenschaftlern der Volksbank Randerath-Immendorf den bundesweiten Zinsrekord für Dispositionskredite mit 18,25 Prozent aufzustellen. Hier funktioniert noch das Wir-Prinzip. Hier gelten Solidarität und Anstand noch etwas! Bundespräsident Wickert: "Respekt vor dem einzelnen ist zwar keine genossenschaftliche Erfindung, sollte aber täglich gelebt und erlebt werden."

Nur Werte schaffen Werte, weiß die VR-Gruppe, deren Musterdepot kürzlich auf Telepolis unerwünschte, aber verdiente Öffentlichkeit bekam (Das Wahnsinns-Depot der VR-Bank).

Zum Glück werden die ethisch hochwertigen Dispokredite der VR-Banken von Arbeitslosen, alleinstehenden Müttern, geschiedenen Vätern und kleinen Selbständigen, die ihr Geld selbst immer zu spät bekommen, rege nachgefragt. So kann das Honorar von Ulrich Wickert und die Kampagne für Werte bezahlt werden.

Fazit: Viele Geschäftsmodelle, aber ein tieferer Sinn

Was auch immer die Banken mit dem EZB-Geld anstellen, es ist auszuschließen, dass sie davon riskante Kredite an Gründer und kleine Geschäftsleute vergeben werden. Das verursacht unnötigen Prüfungs- und Verwaltungsaufwand. Wer soll schließlich die Businesspläne von diesen Träumern lesen? Wer soll ihnen freiwillig Marktanteile abtreten, wo man doch mühsam alle Claims in Handel, Banken und Industrie verteilt hat?

Der Sinn der marktwirtschaftlichen EZB-Mittel kann doch nur darin legen, dass die Banken die Gelder marktgerecht arbeiten lassen - und das heißt eben, sie dem Staat in Form von Staatsanleihen nach Abzug der Provision wieder zurückzugeben. Es gibt nämlich derzeit zumindest für Banken keine Anlageform mit einem besseren Risiko- und Ertragsverhältnis. Wer das nicht versteht, hat in der Volkswirtschaftslehre nichts zu suchen und sollte sich nicht Ökonom nennen.

Alexander Dill ist seit 2010 Vorstand des ersten Post-Finanzkrisen-Wirtschaftsforschungsinstituts, des Basel Institute of Commons and Economics.