"Was wir jetzt erleben, ist der Zusammenbruch der Diplomatie"

Seite 3: Frau Baerbock ist nicht korrigierbar

Diese Einschätzung klingt erheblich anders als die von Außenministerin Annalena Baerbock, die hat just in Prag, wenige Tage vor den Protesten auf einem Podium saß und vehement für die Beibehaltung der Russland-Sanktionen geworben hat. Den Nebensatz dazu kennen Sie ja.

Christian Hacke: Frau Baerbock ist nicht korrigierbar; sie steht im absoluten Einklang mit den Amerikanern. Hier sehen sie die neue außenpolitische Achse zwischen machtpolitischer und antirussischer Aggressivität der USA sowie deutschem Idealismus nach dem Motto: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Man negiert 20 Jahre gescheitertem Demokratieexport von Afghanistan über Irak bis Libyen und träumt sich wieder in eine unipolare Welt von 1990, in Berlin und in Washington.

Doch hier haben es die Demokratieexporteure mit anderen Kräften zu tun: Die Ukraine ist nicht Taiwan, und Russland – und erst recht China – sind Weltmächte. Sich mit ihnen anzulegen, könnte noch viel teurer werden, als heute Baerbock und Blinken annehmen.

Jetzt kommen wir zum Schlüsselfaktor. Die US-Regierung von Joe Biden tritt nicht für eine Friedenslösung im Ukrainekonflikt ein, sondern will Russland in die Knie zwingen. Ähnliche Äußerungen gibt es von Frau Baerbock. Dann kann man weiter fragen: Wo bleibt das historische Gedächtnis?

Russland hat gegen Napoleon bestanden. Russland hat gegen die Hitler-Invasion bestanden. Und dann glaubt der Westen, dass Russland diese Politik des Westens nicht überstehen würde? Ja, dass Russland in der Ukraine besiegt werden könnte?

Nun haben Sie die sicherheitspolitischen Debatten über viele Jahre hinweg verfolgt, auch als Dozent an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Wie sehen Sie die aktuelle die Position der Ampelkoalitionäre, die sich ja wenig zu unterscheiden scheint?

Christian Hacke: Sie steht nach außen geschlossen da. Das ist das Mantra der Koalition und des Westens: Geschlossenheit demonstrieren. Es wäre fatal, wenn die Regierung zeigen würde, dass sie in Bezug auf die Ukraine wanken würden.

Schauen Sie, hier gibt es auch Gruppenzwang; dieses Verhalten ist nicht nur politisch relevant; es ist auch psychologisch bedeutsam. Es gibt einen Gruppenzwang innerhalb der Regierungskoalition: Wir müssen zusammenstehen! Und das tun sie, wenn auch mit unterschiedlicher Abschattung.

Ich glaube schon, dass Bundeskanzler Scholz derjenige ist, der am ehesten zu einem diplomatischen Ansatz bereit wäre. Er führt mit Vorsicht, also er fährt auf Sicht; das ist nicht unklug. Gerne hätte ich gewusst, wie er wirklich über die Amerikaner denkt.

Auch wenn Sie das westliche Bündnis nehmen – ob EU oder Nato –, der Gruppenzwang ist offensichtlich. Jeder würde, wenn er jetzt ausscheren würde, als Außenseiter, als Aussätziger diskriminiert werden. Dann würde es heißen: Du hast uns verraten! Und deswegen wagt das keiner.

Das Gleiche gilt für den innenpolitischen Bereich. Nur wenige, etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, wagen es, zu sagen, dass diplomatische Initiativen nötig sind und dass es nicht so deprimierend weitergehen kann.

Auch wenn dieser historische Vergleich schief ist: Ich spüre, es weht ein Hauch von 1914 durch Europa. Sie wissen, was ich meine: Es gibt so eine Art Automatik. Keiner steigt herunter von seinem hohen Ross. Die Eskalation geht weiter, ungebremst; Putin will weiter in seinem Angriffskrieg obsiegen und der Westen verneint jegliche politische Mitverantwortung für die Eskalation vor Ausbruch des Krieges.

Mehr Selbstbescheidenheit auf westlicher Seite und Verständnis für die Sicherheitsinteressen Russlands hätten eine neutrale und friedliche Lösung für die Ukraine möglich gemacht. Das Versäumnis hat auch der Westen mitzuverantworten.

Das ist jetzt Schnee von gestern, aber auch diese Erinnerung bleibt wichtig und sollte uns davor bewahren, Putin allein zu dämonisieren und unsere eigene Rolle schönzureden. Er ist auch so schon schlimm genug und: Wir sind nicht so schön, wie wir – solidarisch – glauben.

Wenn man die Gegenseite, also Putin, dämonisiert und den Konflikt emotionalisiert, dann hat man damit die Entschuldigung, nichts zu tun. Man kann einfach sagen: Mit so einem Mann können wir nicht reden. Und das ist das Allerschlimmste. Denn was ist das Gebot der Stunde?

Man muss mit dem Teufel Tango tanzen, wenn man zu einem Ergebnis kommen will. Das ist bitter. Aber wenn wir es nicht tun, dann geht alles weiter den Bach runter und die Ukraine wird weiter zerstört. Und die Menschen werden leiden. Aber viele Menschen dort, gerade im Osten, die wollen ein Ende des Krieges, egal, wo sie künftig hingehören.

Sie haben angesprochen, wie schwer es ist, sich dem dominanten Diskurs zu verweigern und eine andere Haltung einnehmen. Das haben Sie selbst gemerkt, als Sie sich unlängst auf einer schwarzen Liste der Ukraine wiedergefunden haben, gemeinsam mit anderen Personen, die von einem Verantwortlichen in Kiew als "Informationsterroristen" bezeichnet wurden. Fühlen sie sich von der Bundesregierung hinreichend geschützt?

Christian Hacke: Ich habe darüber nicht nachgedacht, weil mir nichts passieren kann. Es ist ja schließlich nicht so, dass die Ukrainer hier bei uns irgendwas machen würden, so wie die Iraner mit Salman Rushdie.

Diese Listung ist für mich, das muss ich so sagen, unter der Gürtellinie, also nicht erwähnenswert. Darauf antworte ich nicht. Ich bin ein meinungsfreudiger Mann. Aber ich reagiere nicht auf Propaganda. Das ist auch, ich bitte um Nachsicht, unter Niveau.