Was wird aus Boliviens Lithiumträumen?
Der weltweite Lithiummarkt ist vielen Unsicherheiten unterworfen, nicht nur geopolitischen. Bolivien scheint nie eine Chance gehabt zu haben
Bolivien ist das Land mit den größten Lithiumvorkommen der Welt. Morales wollte mit dem Rohstoff Bolivien zu Wohlstand führen, nicht nur als Rohstoffexporteur, sondern sogar als Batteriefabrik Südamerikas. Doch die Förderung ist schwierig, Lithium ist ohnehin nicht so begehrt, wie oft dargestellt wird. Auch der globale Batteriemarkt scheint Boliviens Lithiumträumen einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Lange Zeit hieß es in Bolivien, aber auch in ausländischen Medien, Lithium sei das Öl von morgen, und das "weiße Gold" werde Bolivien zum Saudi-Arabien von Lithium machen. Die Mobilität von morgen lässt sich schließlich ohne leistungsstarke Batterien mit großer Energiedichte nicht verkaufen. Die postfossile Welt braucht Lithium, und davon gibt es in Bolivien mehr als genug. Rund 20 Millionen Tonnen liegen unter der Salzwüste Salar de Uyuni. Das weckt Begehrlichkeiten.
Kein Entwicklungsland hat es bisher geschafft, nur durch Rohstoffexporte der Armut oder der politischen Unterdrückung zu entfliehen, viele scheinen dem gleichen Schicksal ausgeliefert: Krieg, Putsch, Neoliberalismus, Regime Change. Dessen sich gut bewusst erklärte Morales einst den Rohstoff zur Chef-Sache. "Der Staat wird niemals die Souveränität verlieren, wenn es um Lithium geht", sagte er gerne im Wahlkampf. Verhindern wollte er, dass Bolivien das Schicksal vieler Länder ereilt, die ihre Hoffnungen auf Wohlstand vergeblich in den Export von Rohstoffen stecken. Um den Bolivianern die Kontrolle über ihre Bodenschätze zu geben, erließ er die nötigen Gesetze. Die natürlichen Ressourcen seien direktes, unteilbares und unverjährbares Eigentum und Besitz des bolivianischen Volkes, heißt es bereits seit 2009 in der Verfassung.
Das bedeutet für ausländische Geschäftspartner, sei es bei Öl, Erdgas, oder eben Lithium, maximal eine 49-prozentige Beteiligung an Joint-Ventures mit bolivianischen Staatsunternehmen. Wenigstens 3-8% der Gewinne sollten der Bevölkerung zu Gute kommen. Mäßig attraktiv für internationale Rohstoff-Unternehmen, die alleinige oder zumindest bevorzugte Förderrechte mit Steuererlass gewohnt sind.
Mit Morales an der Macht sollte der Rohstoffhunger der Industrieländer Bolivien nicht ausbeuten, sondern allen Beteiligten dienen, nur nicht jenen, die für ihren Gewinn den globalen Süden arm halten. Morales wollte Lithium industrialisieren und sogar Batterien für den südamerikanischen Markt entwickeln. "Wenn wir darauf verzichten, unsere Rohstoffe zu industrialisieren, werden wir Bolivien nie verändern können. Dann wiederholen wir die alte Geschichte von der Plünderung oder verkaufen wie immer den Rohstoff auf dem internationalen Markt", sagte er einst. Nun ist er selbst einem Putsch zum Opfer gefallen.
Lithium muss sauber sein
Fast die Hälfte der weltweit bekannten Lithiumvokommen soll unter der 10.000 Quadratkilometer großen Salzwüste Salar de Uyuni liegen, Schätzungen zufolge etwa 20 Millionen Tonnen. Das Lithium liegt in Form von Salzen vor, in einer Salzlauge gebunden, die in etwa in dreißig, vierzig Metern Tiefe unter einem Salzsee vorkommt. Dieses wird nach oben in große Becken gepumpt und in einem längeren Prozess, der sich über mehrere Monate hinzieht, von einem Lithium-Gehalt von ungefähr 0,2 Prozent zu einer sechsprozentigen Lösung aufkonzentriert. Nach etwa anderthalb Jahren kann Lithiumcarbonat chemisch von den übrigen Elementen getrennt werden.
Doch im Gegensatz zur Lithiumgewinnung Chiles in der trockenen Atacamawüste kann in Bolivien die Gewinnung durch Regen und Schnee beeinträchtigt und stark verzögert werden, die Höhenlage erschwert zudem die Verdunstung. Die Salzlake enthält außerdem sehr viel Magnesium, das als Feind einer kosteneffizienten Lithiumgewinnung gilt. Im bolivianischen Salar de Uyuni kommen auf ein Teil Lithium etwa 18 Teile Magnesium, in der Atacama liegt das Verhältnis bei eins zu acht. Lithium-Gewinnung aus Salzseen gilt somit als schwer kalkulierbar und langwierig, vor allem in Bolivien. Es kann bis zu zwei Jahre dauern bis aus der Sole industriell verwertbares Lithiumcarbonat geworden ist.
Hinzu kommt, dass Batteriehersteller für Elektrofahrzeuge gerne Lithiumhydroxid bevorzugen. Lithiumcarbonat dagegen, gewonnen aus den Salzpfannen Südamerikas, muss erst in einem weiteren Schritt zu Lithiumhydroxid verarbeitet werden. Es hat nur einen Lithium-Gehalt in etwa 19%. Lithiumhydroxid aus Hartgestein, wie aus den Minen in Australien, hat mindestens einen Gehalt von 28%. Der weltgrößte Lithiumverwerter Ganfeng, der ab 2020 auch Tesla beliefern will, kauft sein Lithium aus Australien. Auch BMW will Lithium aus Australien beziehen.
Aber nicht nur der Lithium-Gehalt, auch das Image spielt eine Rolle. Wenn Elektromobilität für eine saubere Welt stehen soll, muss auch der Rohstoff "sauber" sein, und Australiens Lithium genießt ein solches Image. Lithium aus dem Bergbau gilt im Vergleich als teuer in der Förderung, ist dafür aber schneller abbaubar, leichter skalierbar und tendenziell nachhaltiger. Es entfällt der nicht gerade umweltfreundliche Produktionsschritt von Lithiumcarbonat zu Lithiumhydroxid. Australien dominiert den Weltmarkt nicht zuletzt auch deshalb, weil das Land neben ambitionierten Umweltstandards stabile politische Verhältnisse bietet. Im Gegensatz zu den Ländern Lateinamerikas ist es ein zuverlässiger Rohstoffpartner, der nicht durch schwankende Rohstoffpreise in politische Krisen fällt.
"Salar de Uyuni ist eine Verführerin"
Boliviens Lithiumreserven sind isoliert und schwer zu verarbeiten. Ein eigenes Pilotprojekt produzierte letztes Jahr spärliche 12 Tonnen Lithiumcarbonat. Die Komplexität des Abbaus und der Verarbeitung erfordern ausländische Investoren mit Kapital und Knowhow. ACI Systems Alemania (Acisa), eine Firma aus Deutschland, bot beides, entsprach zudem den sozio-ökonomischen Anforderungen von Morales. Vor Unternehmen aus China, Südkorea und Kanada setzte sich Acisa durch und schloß Ende 2018 mit dem bolivianischen Staatskonzern Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) einen Kooperationsvertrag.
Die Zusammenarbeit sieht vor, ab 2022 jährlich 30.000 bis 40.000 Tonnen Lithiumhydroxid (LHM) zu fördern. Die Investitionshöhe beträgt von etwa 300 bis 400 Millionen Euro für entsprechende Anlagen zur Förderung und zur Verwertung. Mit einer Laufzeit von 70 Jahren eine gute Nachricht für die deutsche Bundesregierung, schließlich war sie bereit, für die Förderung einer Batteriezellenfertigung bis zu einer Milliarde Euro an Forschungsgeldern zur Verfügung zu stellen - an einem Zugang zu Lithium hatte es noch gefehlt.
Für ACISA und YLB eine große Herausforderung, selbst dem direkten Nachbarn und weltweit zweitgrößten Lithium-Produzenten Chile das Feld streitig zu machen. Bislang existieren jedoch für die Lithium-Förderung vor Ort keine Logistikinfrastruktur und keine Wasser-, Gas- oder Stromleitungen. Wie der Schatz im Salar de Uyuni zu einem weltweit wettbewerbsfähigen Preis abgebaut werden kann, bleibt das Geheimnis zwischen ACISA und YLB, heißt es.
Außerdem ist der Lithium-Markt oligopolistisch gestaltet, wird von wenigen Akteuren beherrscht. 85 Prozent des Lithium kommt aus Chile, Australien und China. Hauptsächlich vier Unternehmen - Talison, SQM, Albemarle und FMC - verantworten die Lithiumgewinnung. Einzig Ganfeng, ein Lithiumproduzent und Batterienhersteller, schaffte es sich unter diesen zu etablieren. Die Handelswege und -verträge zwischen den Lieferländern und Verwerterunternehmen sind längst fest etabliert, der Einstieg Boliviens, wenn überhaupt, nur möglich, wenn der Lithiumpreis enorm steigt.
Das passierte Ende 2018. Damals kündigten viele Autohersteller an, auf Elektroautos setzen zu wollen. Bis 2022 würden fast 300 EV-Modelle auf den Markt kommen, die Nachfrage nach Lithium werde sich bis 2025 voraussichtlich mehr als verdoppeln, der Lithium-Boom ist da, hieß es in vielen Analysen und Berichten. Ende 2018 erreichte Lithiumhydroxid dann einen Rekordpreis von knapp 20.000 US-Dollar pro Tonne.
Noch vor zehn Jahren hieß es über Boliviens Lithiumreserven, sie seien zu isoliert und zu schwer zu verarbeiten. Ein Mitarbeiter der australischen Bergbaufirma Orocobre sagte über die Salzwüste von Uyuni, sie sei "wie eine Verführerin, aber wenn man es sich wirklich anschaut, funktioniert es nicht". Damals hatte der Lithiumpreis noch keine Höhenflüge verzeichnet. ACISA und YLB konnten damit beginnen, den Salar de Uyuni als Quelle des Lithiumzeitalters zum Sprudeln zu bringen.
Der Lithiumhype ging jedoch so schnell verüber, wie eine Reaktion zwischen Lithium und Wasser abläuft. Im Laufe dieses Jahres stürzte der Lithiumpreis ab. Auf der einen Seite reduzierten verschiedene Lieferanten Kosten im Herstellungs- und Abbauprozess, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Andererseits erschloss China neue Minen und setzte, auch wegen des Handelskriegs mit den USA, Subventionen für Elektrofahrzeuge herab. Investoren zogen sich aus dem Markt zurück, selbst große Lithiumproduzenten wie Albemarle und SQM mussten Pläne zur Expansion verschiedener Abbaugebiete auf Eis legen.
Batterienschwemme aus China
Auf dem Lithiummarkt spielen China und die USA eine besondere Rolle, denn nur die beiden Länder können als Förderer und Verwerter zugleich den Lithiumpreis mitbestimmen. China fertigt weltweit die meisten Batterien und dort befindet sich momentan auch das Gros der Unternehmen, die Lithium zu Batteriepaketen verwerten. Gleichzeitig führte der Elektromobilitätsboom zu vielen neuen Batteriefirmen, und zu einer Überproduktion von Batterien.
Da die Nachfrage nach E-Scooter, E-Bikes, E-Autos etc. in den Industrieländern nur zögerlich verläuft, weisen laut einer Berylls-Studie von 2018 die meisten Anlagen massive Überkapazitäten auf. Bis ins Jahr 2021 würde sich die Überproduktion weiter vergrößern und sich auch nach 2025 nicht den benötigten Abnahmemengen annähern. Es wird erwartet, dass bis 2020 fast die Hälfte der neuen Batteriehersteller wieder von der Bildfläche verschwinden wird und dass in Erwartung eines Booms bei Elektrofahrzeugen viele Hersteller überinvestiert und eine Angebotsschwemme geschaffen haben.
Derzeit gibt es weltweit nur etwa sechs Millionen Elektrofahrzeuge. Elektroautos machen nur 0,7% der Gesamtproduktion aus. Da die Fahrzeugflotten so neu sind, weiß niemand, wie hoch die Lebensdauer und die Lebenszykluskosten der Lithium-Ion-Batterien sein könnten und wer für Ersatzpakete zahlen wird. Gegenwärtig sind diese Kosten von der Marktnachfrage entkoppelt und werden durch staatliche Subventionen verdeckt. Diese laufen aber zum Teil aus. Ein möglicher Lithiummangel steht nicht bevor, der Anteil von Lithium in den Batterien liegt bei nur zehn Prozent und ist zudem recyclebar. Der Lithium-Hype wird dennoch mit großen Zahlen am Leben erhalten, insbesondere in Bolivien.
Ende September ging man dort eine zweite Lithium-Kooperation ein. Die chinesische Firma Xinjian TBEA, die 2018 noch abgelehnt worden war, bot einen Milliarden-Deal für die Errichtungen neuer Lithiumcarbonat-Produktionsstätten in Pastos Grandes und Coipasa, mit einer Investitionshöhe von 2,4 Mrd. US-Dollar. Chinas Bedarf soll 2025 bei 800.000 Tonnen jährlich liegen. Das Projekt umfasst den Bau von fünf Anlagen, in denen 146.000 Tonnen pro Jahr hergestellt werden. Durch den langen Prozess der Gewinnung und der weiteren Raffinierung rechnet man mit dem Markteintritt des bolivianischen Lithiums in 2022.
Das wird sich nun infolge des Putsches verzögern. Kurz vorher, am 28. Oktober, wurde das Joint-Venture zwischen ACISA und YLB offiziell in das bolivianische Handelsregister eingetragen. Eine Woche später und kurz vor dem Putsch kündigte Morales den Vertrag per Dekret. Jedoch bestehe der Vertrag weiterhin, sagte ACISA-Geschäftsführer Wolfgang Schmutz diese Woche, denn das Joint-Venture könne rechtlich nur durch beide Partner per Gesellschafterbeschluss aufgehoben oder annuliert werden. Offizielle Ansprechpartner habe man bisher nicht erreichen können.
Es bleibt also unklar, wie die Zukunft des bolivianischen Lithiums aussieht. Nach dem Putsch sind die Uhren zurückgestellt; Bolivien scheint wieder zu einem jener lateinamerikanischen Länder zu werden, deren Los sich nicht am eigenen, sondern am politischen und ökonomischen Interesse der Vereinigten Staaten entscheidet. Eine Chance, sich eigenständig auf dem Lithiummarkt zu etablieren, hatte es aber wohl nie.
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