Washington bläst die China-Ballon-Drohung künstlich auf

Seite 2: Der Hainan-Vorfall: US-Spionage gegen China

So droht die politische Kernschmelze in Washington wegen des chinesischen Ballons zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu werden. Die Panikmache verstärkt die Rufe nach einer destruktiven Konfrontation mit China wegen einer überschaubaren Bedrohung. Das, was einst alltäglich war, wird zu einer großen Gefahr aufgeblasen.

Man muss sich nur den Zwischenfall auf der Insel Hainan im Jahr 2001 vor Augen führen, als ein US-Spionageflugzeug vor der chinesischen Küste mit einem chinesischen Militärflugzeug kollidierte, um sich klarzumachen, was heute auf dem Spiel steht. Bei dem Zusammenstoß verstarb der chinesische Pilot.

Das US-Spionageflugzeug musste ohne Erlaubnis auf chinesischem Gebiet notlanden. Die Besatzung wurde daraufhin von China verhaftet und zehn Tage lang festgehalten, bis der diplomatische Zwischenfall geklärt werden konnte, wobei Washington in einem Brief Bedauern und Reue zum Ausdruck brachte.

Der Hainan-Vorfall zeigt, dass gerade in Phasen höchster Spannung Diplomatie am wichtigsten ist. Ein persönliches Gespräch zwischen den Regierungschefs der USA und Chinas ist dringend erforderlich, um sicherzustellen, dass diese Vorfälle sorgfältig gehandhabt und eingedämmt werden.

Doch die toxische Politik, die in Washington dominiert, scheint die Biden-Regierung davon überzeugt zu haben, die Kommunikation mit Beijing durch die Absage von Blinkens Reise weiter herunterzufahren.

Sich dem Druck der Falken in Washington zu beugen, die die Bedrohung der amerikanischen Sicherheit durch China ständig aufblähen, wird die Falken nur ermutigen, den Kreislauf der wachsenden Feindseligkeit zwischen Beijing und Washington weiter anzuheizen.

In dem Maße, in dem immer mehr Interessen – von Waffenproduzenten über monopolistische Unternehmen bis hin zu Befürwortern von Infrastrukturinvestitionen – die Feindseligkeit zwischen Großmächten ausnutzen, um ihre Ziele durchzusetzen, wird der Spielraum für mehr an der Realität orientierte Beziehungen zu China immer kleiner.

Die Vereinigten Staaten werden feststellen müssen, dass sie im Zuge der übermilitarisierten Strategie, mit der sie auf die Herausforderungen von Chinas Aufstieg antworten, in eine Sackgasse laufen. Sie stecken viele der Fähigkeiten und Ressourcen des amerikanischen Volkes in internationale Konflikte, anstatt sie für die wirklich existenziellen Aufgaben wie den Klimawandel, pandemische Krankheiten, globales Wachstum sowie finanzielle Stabilität zu nutzen.

Wenn wir zulassen, dass Kriegsfanatiker Amerikas Agenda in Bezug auf China bestimmen, kann das nur in einer Katastrophe enden. Der Konflikt ist nicht unvermeidlich. Um jedoch eine katastrophale militärische Konfrontation zwischen den USA und China zu vermeiden, bedarf es einer entschlossenen Diplomatie – und nicht eines Abbruchs der Gespräche.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und ist hier im englischen Original erhältlich. Übersetzung: David Goeßmann.

Jake Werner ist Research Fellow am Quincy Institute. Er ist Mitbegründer von Justice Is Global, einem Projekt, das sich für Reformen der Weltwirtschaft einsetzt, Mitbegründer von Critical China Scholars, einem Netzwerk von Akademikern, die sich für die öffentliche Aufklärung über die chinesische Politik und Gesellschaft einsetzen, und Mitglied des Lenkungsausschusses des Committee for a Sane US-China Policy. Seine Artikel sind in Publikationen wie Foreign Affairs, The Nation, Boston Review und The Guardian erschienen.