Wasserstoff nicht immer "grün"
Deutschland braucht in den nächsten Jahren größere Mengen Wasserstoff. Das kann in manchen Ländern Probleme hervorrufen. Zugleich drängen Regierungsberater, Deutschland solle sich in Sachen Energiesicherheit weiter an die USA anlehnen
Umweltschützer warnen: Die ehrgeizigen Pläne zur Produktion von Wasserstoff könnten in Gefahr sein. Der enorme Wasserbedarf spiele in der Debatte bislang keine Rolle, sagte vor wenigen Tagen Johannes Rußmann vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) dem Handelsblatt. Die Produktion in wasserarmen Regionen stelle einen massiven Eingriff in den Wasserhaushalt dar. "Die Probleme, die sich daraus ergeben, werden bislang systematisch ausgeblendet", so Rußmann weiter.
Die Elektrolyse von Wasserstoff verbrauche erhebliche Mengen an Süßwasser. In Gegenden, die davon wenig zu bieten haben, aber in der Nähe eine Küste liegen, könnten Entsalzungsanlagen eingesetzt werden, so Rußmann. Doch das treibe die Kosten hoch und senke die Effizienz des Verfahrens. "Wenn man dann noch den Transport von Wasserstoff oder seiner Derivate aus entfernten Weltregionen nach Europa betrachtet, wachsen Zweifel an der Nachhaltigkeit des gesamten Prozesses", sagte er weiter.
Konkret geht es um Regionen wie Südeuropa, Nordafrika und die arabische Halbinsel. Sie spielen für die deutsche Wasserstoff-Strategie eine große Rolle. Denn diese denkt die Produktion des Gases gemeinsam mit der von Strom aus regenerativen Quellen.
Das Ziel der Bundesregierung ist ehrgeizig: Bis zum Jahr 2050 sollen die Länder der Europäischen Union klimaneutral werden. Kohle, Öl und Gas sollen als Energieträger ersetzt werden; gleichzeitig muss Wasserstoff als nachhaltiger Energieträger gefördert werden.
Farblehre des Wasserstoffs: Es gibt auch "blauen" und "grauen"
Gemäß der herrschenden Farblehre ist nur "grüner" Wasserstoff nachhaltig. "Grün" bedeutet hier: Er wurde mit Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Neben diesem gibt es noch den "blauen". So wird Wasserstoff bezeichnet, wenn bei seiner Erzeugung zwar Kohlendioxid entsteht, dieses aber abgeschieden und gespeichert wird. "Grauer" Wasserstoff wird dagegen aus fossilen Quellen gewonnen, zum Beispiel in der chemischen Industrie aus Erdgas. Dabei entstehen erhebliche Mengen Kohlendioxid, die in die Atmosphäre gelangen.
Deutschland braucht in den nächsten Jahren enorme Mengen des Gases; die Bundesregierung sieht einen Bedarf bis 2030 von 90 bis 110 Terawattstunden (TWh). Zum Vergleich: Die Bundesrepublik hat momentan einen Energieverbrauch von etwa 2.500 TWh pro Jahr.
Doch nur ein kleiner Teil des benötigten Wasserstoffs wird bis 2030 auch in der Bundesrepublik produziert werden können: 14 TWh. Die übrige Menge muss importiert werden, und die Abhängigkeit von Importen dürfte nach 2030 noch eher zunehmen: Die Deutsche Energie-Agentur (dena) schätzte den europaweiten Bedarf an Wasserstoff im Jahr 2050 sogar auf 2.000 TWh jährlich. Bis 2040 sollen sich zwar die Erzeugungskapazitäten in Deutschland verdoppeln; aber selbst das ist kein nennenswerter Beitrag.
Ohne die Länder der Europäischen Union kann die Bundesregierung ihr Ziel nicht erreichen. Deshalb setzt sie einerseits auf die Staaten an Nord- und Ostsee - andererseits auf die Länder Südeuropas. Die einen bieten hohe Erträge bei der Windenergie, die anderen bei der Solarenergie. Aber auch das wird nicht genügen, wie die Bundesregierung zugibt. In der Nationalen Wasserstoffstrategie heißt es:
"Auch über den europäischen Binnenmarkt hinaus wird der Import erneuerbarer Energien mittel- und langfristig für Deutschland notwendig, um die Klimaziele bis 2030 und die Treibhausgasneutralität bis 2050 zu erreichen. Der internationale Handel mit Wasserstoff und dessen Folgeprodukte ist damit ein bedeutender industrie- und geopolitischer Faktor."
Dass die Produktion von Wasserstoff manchen Ländern Probleme bescheren könnte, sehen Vertreter der Wirtschaft nicht so. Wenn Umweltschützer wie Rußmann sagen, in manchen Regionen könnte es zu einem Mangel an Trinkwasser kommen, so schütteln sie nur mit dem Kopf.
Einer von ihnen ist Andreas Wagner, Wasserstoff-Experte der Energy Transitions Commission, einer Lobby-Organisation; Wagner kam auch im Handelsblatt zu Wort. Dort sagte er: Im Jahr 2050 bedürfe man weltweit 800 Millionen Tonnen Wasserstoff. Um diese Menge herzustellen, brauche man elf Milliarden Tonnen Wasser, und das wären lediglich 0,7 Prozent des globalen Süßwasserbedarfs der Industrie, der Landwirtschaft und der privaten Haushalte. Allein für die Öl- und Gasförderung würden derzeit 18 Milliarden Tonnen gebraucht.
Auf regionale Unterschiede im Wasserangebot ging Wagner in seiner Betrachtung allerdings nicht ein. Die Bedenken der Umweltschützer bleiben in der Diskussion nach wie vor weitgehend unberücksichtigt.Stattdessen rufen einflussreiche Regierungsberater dazu auf, "grüne Partnerschaften" aufzubauen. Mit Marokko, Chile, Australien und Südafrika wurden kürzlich erst entsprechende Abkommen abgeschlossen.
Wer bleibt oder wird "Energiegroßmacht"?
Es geht um Geopolitik - und darum, welche Länder sich als "Energiegroßmacht" behaupten können, schrieb zum Beispiel Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Februar.
"Die neuen Energiegroßmächte werden also die Länder sein, die einerseits über gute geografische und meteorologische Bedingungen verfügen und andererseits Technologiestandorte sind. Die USA und China zählen auf jeden Fall dazu. Auch die EU kann mit ihren Nachbarn wie Großbritannien, Norwegen, aber auch den Ländern im Schwarz- und Mittelmeerraum eine Schlüsselrolle bei den Technologien und der Erzeugung spielen - etwa im Bereich Offshore-Wind sowie der Erzeugung von Wasserstoff und seinen Derivaten."
Auf dem absteigenden Ast sehen sie unter anderem Russland und Saudi-Arabien. Das hänge davon ab, "wie schnell diese Länder nun die Weichen stellen - und wie gut sie kooperieren". 2018 hatten Westphal und andere SWP-Wissenschaftler noch vor dem entstehen neuer "Energieblöcke" gewarnt, so scheinen nun die Bedenken vor neuen globalen Konflikten geringer geworden zu sein. Im Januar erst hatte Westpahl zusammen mit Raffaele Piria vom Thinktank Adelphi ein stärkeres Zusammenrücken Deutschlands und der USA empfohlen. Nordamerika biete enormes Potenzial für die Produktion von klimaneutralem Wasserstoff. Der transatlantische Handel mit ihm könnte "eine tragfähige Basis für ene nachhaltige Energiesicherheit in Europa legen".
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