Weder cool noch heiß: Europas Jugend ernüchtert von Politik
TUI Stiftung stellt Jugendstudie vor: Die Lebenssituation der meisten hat sich demnach im zurückliegenden Jahr verschlechtert. Geringste Sympathien für Merkel in Griechenland
Junge Menschen in Europa sehnen sich nach einer Rückkehr zur Normalität, befürchten aber, noch für längere Zeit unter den Folgen der Corona-Pandemie zu leiden. Jeder Zweite beschrieb seinen momentanen Gefühlszustand in einer aktuellen Umfrage als eher negativ, als "müde", "unsicher", "genervt" oder "gestresst". Das ist ein zentrales Ergebnis der fünften Jugendstudie "Junges Europa", die am Mittwoch von der TUI Stiftung vorgestellt wurde. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hatte im April für die Studie 6.253 Personen im Alter von 16 bis 26 Jahren befragt. Diese kamen aus mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, Frankreich, Griechenland und Polen.
Einheitlich ist das Bild, das sich aus der Umfrage ergibt, nicht. Aber es ist ein deutlicher Trend zu erkennen: Für eine Mehrheit von 52 Prozent der jungen Menschen hat sich die Lebenssituation verschlechtert. Ihnen stehen zehn Prozent gegenüber, die in der Pandemie eine Verbesserung ihrer Lebensumstände wahrnahmen. Knapp jeder Dritte erklärte, alles sei geblieben wie zuvor. Für viele brachte die Pandemie materielle Nachteile: In Griechenland und Polen verloren - im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern in der Umfrage - die meisten jungen Menschen ihren Arbeitsplatz. 14 Prozent der Befragten gaben das in beiden Ländern an.
Weitere 44 Prozent gaben in Griechenland an, zwar den Job behalten, aber dennoch finanzielle Einbußen erlitten zu haben. Dagegen sind Deutsche und Briten weitgehend verschont geblieben: Jeweils fast zwei Drittel gaben in diesen Ländern an, weder die Arbeit verloren noch finanzielle Einbußen erlitten zu haben.
Stillstand als Belastung
Den Stillstand des öffentlichen Lebens empfanden viele als belastend: Nicht mehr in Restaurants und Geschäfte gehen zu können, ständig Maske tragen zu müssen, empfanden fast drei Viertel der Befragten als "sehr belastend". Keinen Vereinssport mehr machen zu können oder Freunde kaum noch sehen zu dürfen, wurde nur geringfügig weniger belastend empfunden. "Die jungen Europäerinnen und Europäer haben viele Einschränkungen erlebt, in der Schule, beim Studium, Sport und Treffen im Freundeskreis. Gleichzeitig ist ihre Grundstimmung und Motivation positiv", sagte Thomas Ellerbeck, Vorsitzender des Kuratoriums der TUI Stiftung. Er bezieht sich dabei auf die Antworten der jungen Leute auf die Frage, ob sie eher optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft blicken. Insgesamt zeigten sich 64 Prozent optimistisch - in Griechenland waren es sogar drei von vier Befragten.
Neben dem "Gesundheitsschutz" beschäftigen junge Menschen noch andere Themen, zum Beispiel Wirtschaftspolitik oder "Migration und Asyl". Mit Abstand an erster Stelle rangiert aber: Umwelt- und Klimaschutz. In Deutschland und Großbritannien ist das Thema besonders präsent, während es in Spanien und Griechenland nicht zu den drei Topthemen zählt. Europaweit gaben 44 Prozent der Befragten an, Umwelt- und Klimaschutz solle Vorrang vor Wirtschaftswachstum gewährt werden. Das ist zwar nicht die Mehrheit - allerdings räumte nur eine weitaus kleinere Minderheit von 14 Prozent der Wirtschaft einen klaren Vorrang rein. Insgesamt 42 Prozent antworteten mit "Teils / teils" oder "Weiß nicht / keine Angabe".
Insgesamt hält sich aber das politische Interesse junger Menschen in Grenzen. Etwa ein Drittel interessiert sich "stark" bis "sehr stark" dafür - ein fast ebenso großer Teil aber nur "weniger stark" oder "überhaupt nicht".
Genaue Demokratievorstellungen nicht abgefragt
Zum politischen Desinteresse gesellt sich teilweise die Unzufriedenheit mit der Demokratie als Regierungsform. Letztere findet zwar bei 57 Prozent Zustimmung; und positiv wird auch die Meinungsfreiheit in der Demokratie gesehen, gleichzeitig ist die Hälfte der Befragten von Korruption und dem Fehlverhalten von Politikern abgestoßen. In Frankreich und Polen sind junge Menschen besonders skeptisch, wenn es um die Demokratie als Staatsform geht: Jeweils weniger als 50 Prozent halten sie dort für die beste denkbare Staatsform. Allerdings wurde in diesem Zusammenhang nicht thematisiert, inwieweit die Befragten ihre jeweilige Regierung als demokratisch wahrnehmen - oder ob sie zum Teil ganz andere Vorstellungen von Demokratie und Mitbestimmung haben.
Dass Entscheidungen nur langsam getroffen werden, wird ebenfalls von fast der Hälfte der Befragten bemängelt. Etwa ein Drittel meint, Entscheidungen würden nicht zum Nutzen aller getroffen. In allen Ländern denkt eine Mehrheit der jungen Menschen, Politiker würden keinen Kontakt zur Bevölkerung suchen und sich nicht um die "einfachen Leute" kümmern.
Vor diesem Hintergrund lenkt Marcus Splitter, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), den Blick auf Österreich. Splitter hat die Jugendstudie wissenschaftlich begleitet und er ist der Meinung: Gegen Wahlmüdigkeit könnte das Absenken des Wahlalters auf 16 Jahre helfen - wie in Österreich. In der Wissenschaft gehe man inzwischen davon aus: Wer bereits mit 16 Jahren wähle, dessen Wahrscheinlichkeit liege höher, sich auch an zukünftigen Wahlen zu beteiligen.
Am Ende wollte die TUI Stiftung, dass die jungen Europäerinnen und Europäer der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein politisches Führungszeugnis ausstellen. Auf die Frage, wie zufrieden man allgemein mit der Arbeit der Bundeskanzlerin sei, zeigte sich nur in Deutschland die Hälfte mit ihr zufrieden. Den meisten war es egal. Die geringste Zustimmung erhielt sie - wen wundert es? - in Griechenland, das mehrere Jahre unter Sparzwängen von EU und IWF gelitten hat und dessen erwachsene Bevölkerung zum Teil die deutsche Kanzlerin als treibende Kraft dieser Politik wahrnehmen konnte. Dort gaben nur 23 Prozent der jungen Menschen zu Protokoll, Merkel mache ihre Arbeit "eher gut" oder "sehr gut".