"Weder prorussisch noch antirussisch, sondern proeuropäisch"
Macrons Tauwetterbesuch in Warschau
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will weiterhin der große Schrittmacher in der EU sein, erst recht nach dem Wegfall Großbritanniens. Den Brexit sieht er als "Alarmsignal" und verlangt eine Veränderung der EU zu mehr Effizienz, Geschlossenheit, Vertiefung - und mehr eigener Verteidigungspolitik. Dafür warb er erstmals in Polen.
In Warschau traf er sich mit Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Vertretern der Opposition. Es ist die erste Visite eines französischen Staatspräsidenten in Polen seit sieben Jahren, nach langen Jahren der bilateralen Spannungen. Das seit 2017 amtierende französische Staatsoberhaupt hat das Land mit seinen vierzig Millionen Einwohnern tunlichst umgangen.
Die nationalkonservative Regierung in Warschau stieß Frankreich 2016 vor den Kopf, als sie einen milliardenschweren Deal zum Kauf von Airbus-Kampfhubschraubern "Caracal" unvermittelt abblies und sich für das Modell "Black Hawk" aus den USA entschied, was die französische Zeitung "Le Monde" vom Montag noch immer erregen konnte.
Der französische Präsident hingegen ist mit seiner Dialoginitiative gegenüber Russland und seinem Slogan von der "hirntoten NATO" in Polen unangenehm aufgefallen, das den östlichen Nachbarn fürchtet.
Ein Durchbruch?
Frankreich sei "weder prorussisch noch antirussisch, sondern proeuropäisch", versicherte Macron bei seiner ersten Pressekonferenz in Warschau und zeigte Verständnis für Polens Bedürfnis nach Sicherheit. Auch unterstrich der Franzose, dass eine "größere Offenheit der Europäer gegenüber Moskau die Pflicht zur Solidarität gegenüber Polen nicht in Frage stelle". Zudem unterzeichnete Macron ein Strategiepapier zur bilateralen Zusammenarbeit, das die Bereiche Politik, Wirtschaft und Militär umfasst.
Sowohl der polnische Staatspräsident Andrzej Duda wie der fast aufgekratzt wirkende Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bezeichneten die Begegnung als "Durchbruch". Dabei gibt es jedoch weiterhin viele Gegensätze. Polen will eine Union der Vaterländer, Macron die EU enger zusammenbinden. Polen gehört zu der Gruppe der Kohäsionsverteidiger - zu den15 EU-Ländern, die trotz Wegfalls des Nettozahlers Großbritanniens auf einer Fortführung der Hilfsgelder beharren. Morawiecki machte hier auch am vergangenen Wochenende klar, dass er sich nicht an einem europäischen Verteidigungsprojekt beteiligen wolle, würde es hier Abstriche geben.
Polen soll in die "Europäische Interventionsinitiative" einsteigen
Die "Reinvestition" in die EU, ist vor allem ein Investieren in die Verteidigung - so sieht es Macron. Die seit 2018 existierende "Europäische Interventionsinitiative" (kurz EI2) mit Sitz in Paris ist ein Anliegen des französischen Präsidenten. Kein EU-Projekt, sondern ein bislang loser Verbund von europäischen Staaten, die sich auf eine Strategie zu raschen Krisenabwehrmaßnahmen einigen wollen. Offizieller Anlass ist die Ukraine-Krise von 2014, jedoch kann auch der unberechenbare US-Präsident als Geburtshelfer angesehen werden.
Kritiker sehen es als Konkurrenzunternehmen zu PESCO an, eine 2017 gegründete Verteidigungsinitiative der EU, eine Art "militärisches Schengen".
Macron will, dass Polen Mitglied bei der EI2 wird und sich an der Entwicklung des EURO-Panzers beteiligt, ein Nachfolger der deutschen Leopard- und französischen Leclerc-Modelle. Oder besser - die Fahrzeuge kauft. Das Land hat einen Bedarf an 500 Kampfpanzern. Möglich ist jedoch eine Kooperation mit Israel, Südkorea oder der Türkei, zumal der Europanzer für Mitte der 2030er Jahre angedacht wurde. Grundsätzlich setzt man an der Weichsel beim Ausbau des Militärischen auf die besondere Partnerschaft mit den USA.
Zudem will Frankreich als Atommacht eine bedeutendere Rolle einnehmen und andere Nationen, erstmals Deutschland, unter den Nuklearen Schirm nehmen, was dort umstritten ist.
Haltung zu Russland entscheidend
Polen bot Macron das französische Know-how zum Bau eines Atomkraftwerks an, um so auch die Emissionswerte zu senken. Frankreichs erfolgreiche Kooperation mit Polen auf der Sicherheitsebene ist von Macrons weiterem Verhältnis zu Russland abhängig, etwa wie Paris die Ukraine-Krise handhabt.
In der Tat gab es eine Charme-Offensive Macrons gegenüber Russland. So setzte sich der Franzose für das Rückerlangen des Stimmrechts im Europarat ein, traf sich mehrmals mit Putin und nannte "Russland eine europäische Macht, die ihren Platz in der Sicherheitsarchitektur des Kontinents haben müsse." Bei einer Neuauflage von Jalta, bei der sich Weltmächte erneut treffen sollten, wie Putin kürzlich anregte, war Macron der erste, der sich anmeldete.
Bei seiner Vorlesung in der Krakauer Jagiellonen Universität warf er hingegen Russland "Geschichtsrevisionismus" vor. Weit bedeutender war jedoch, dass er ankündigte, dass französische Soldaten, die derzeit in Litauen stationiert sind, zu den Feierlichkeiten "100 Jahre Wunder an der Weichsel" im kommenden August in Warschau anwesend sein werden. Warschau will den Sieg der Abwehrschlacht bei Warschau gegen Sowjetrussland am 15. August 1920 mit großer europäischer Beteiligung feiern. Nach Lesart der Polen sei so ein Vordringen der Roten Armee in das restliche Europa abgewehrt worden. Diesem Gedenken wird sicherlich eine erneute polnisch-russische Auseinandersetzung um die Geschichtsdeutung vorausgehen.
Derzeit scheint es so, dass Macron erstmals jedem entgegen kommen möchte, Hauptsache, das Gegenüber akzeptiert die Führungsrolle Frankreichs in Europa. Kein Erfolgsrezept für eine Neusortierung der EU.
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