Polen: Warum der Wüstenluchs dem schwarzen Habicht weichen musste
Skandale um verhinderte Caracal-Hubschrauber, möglicherweise 21.000 Seiten entwendete Geheimakten und einen untergetauchten Vertrauten des Verteidigungsministers
Unbefugte hätten Zugang zum Ausschreibungsverfahren Polens zum möglichen Kauf von Hubschraubern des Typs "Caracal" (Wüstenluchs) gehabt, behauptet die ehemalige Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) und hat letzte Woche an die Staatsanwaltschaft appelliert, sich mit dem Fall zu befassen. Obwohl sich die Verhandlungen mit dem französischen Unternehmen Airbus Helicopters über ein Jahr hinzogen, brach das Verteidigungsministerium im Oktober 2016 plötzlich die Gespräche ab. Mitte April diesen Jahres brüstete sich Waclaw Berczynski, damals Leiter der Untersuchungskommission zum Absturz der polnischen Präsidentenmaschine bei Smolensk (Polen, Smolensk und kein Ende), er habe das knapp vier Milliarden Euro schwere Geschäft platzen lassen.
Berczynski gilt als Spezi von Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, soll aber offiziell keine Zugangsberechtigung zu den vertraulichen Akten haben. Die Bürgerplattform, die noch vor ihrer Abwahl im Herbst 2015 Airbus Helicopters im Ausschreibungsverfahren als Gewinner kürte, verlangt, dass die Staatsanwaltschaft bis Mittwoch Anklage erhebt. Weitere Unberechtigte seien der damalige Pressesprecher Bartlomej Misiewicz und der in den USA tätige Physiker Kazimierz Nowaczyk gewesen.
Das Ministerium hat bereits gegen die Abgeordneten wegen Falschaussage die Staatsanwaltschaft benachrichtigt. Nach Macierewicz habe es entsprechende Einblicke nicht gegeben, Berczynski habe lediglich "Archiv-Unterlagen" eingesehen. Die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die seit Herbst 2015 regiert, will die Gesellschaft nationalkonservativ umerziehen.
Große Freiheiten genießt bislang Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, da er sich um die Aufklärung des Unglücks "Smolensk" engagiert, wo Lech Kaczynski, der Bruder von PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski ums Leben kam. Doch die Rolle Berczynskis gibt Anlass zur Diskussion. Im Verteidigungsministerium hatte der promovierte Ingenieur keine offiziellen Befugnisse zu den Verhandlungen mit dem französischen Unternehmen, begleitete Macierewicz jedoch im Februar 2016 nach Paris. Gleichzeitig arbeitete Berczynski, der auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt, 21 Jahre lang für den amerikanischen Flugzeughersteller Boeing.
Der US-Konzern kooperiert mit dem Unternehmen Sikorsky Aicraft/Lockheed Martin, von dem Polen nun Kampfhubschrauber des Typus "Black Hawk" bestellt hat - anstatt der "Caracals". Dabei gibt es Lieferschwierigkeiten. Trotz des Versprechens des Verteidigungsministers, die ersten Hubschrauber sollten schon im vergangenen Jahr in Polen eintreffen, ist bislang noch kein Exemplar geliefert worden, zudem verringert das Ministerium die Stückzahl der Flugkörper und marginalisiert ihre Bedeutung.
Oberste Rechnungskammer überprüft den Vorfall
Für Boeing habe der 71-Jährige zudem einen Deal für drei Flugzeuge mit dem Ministerium eingefädelt - gesetzeswidrig ohne Ausschreibung, wie die "Kammer für öffentliche Aufträge" moniert. Mittlerweile ist der ambitionierte Luftfahrt-Experte in den USA untergetaucht, kann auch von Bekannten nicht kontaktiert werden und somit nicht erklären, wie er Zugang zu den geheimen Vertragsunterlagen mit dem französischen Unternehmen bekommen hat. Die Abgeordneten wollen entsprechende Belege im Ministerium eingesehen haben. Dabei hätten Berczynski, Misiewicz und Nowaczyk 21.000 Seiten geheimer Akten erhalten.
Die oberste Rechnungskammer (NIK) hat auf Antrag des parlamentarischen Verteidigungsausschusses eine Untersuchung der Aktenvergabe und des Lockheed-Martin-Deals veranlasst. Dabei ist bemerkenswert, dass auch PiS-Abgeordnete für die Untersuchung stimmten. Nach Ansicht von Tomasz Siemoniak ist dies ein Zeichen, dass der turbulente Macierewicz seinen Rückhalt in der Partei verliert, zumal die Kammer von einem ehemaligen PO-Mitglied geleitet.
Grundsätzlich gibt es in der straff organisierten PiS für die Abgeordneten wenig Spielraum, das Sagen hat Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Die oppositionelle und meinungsstarke Gazeta Wyborcza spekuliert, dass Macierewicz in Ungnade gefallen sei, da er trotz hoher finanzieller Mittel die Anschlagstheorie in Smolensk nicht glaubwürdig untermauern konnte.
Jaroslaw Kaczynski verkündet an jedem 10. des Monats vor dem Präsidentenpalast, dass man der Wahrheit um Smolensk immer näher komme. Dies scheint ihm das Hauptanliegen zu sein, dem er alles unterordnet - auch die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder das Verhältnis zu Frankreich, glaubt die Zeitung. Nach einem Film von Macierewicz, in dem abstruse Theorien aufgeführt wurden und der in den Staatsmedien gezeigt wurde, ist in der Bevölkerung jedoch der Glaube an die Smolensk-Verschwörung nicht gewachsen.
Um das Verteidigungsministerium gab es immer wieder Kontroversen. Dank Macierewiczs eigenwilligem Führungsstil hat das Gros der Generäle bereits abgedankt oder wurde vergrault (Sicherheitspolitik: Polen und das Misiewicz-Problem).