"Weg nach Guantanamo beginnt in Pakistan"

Amnesty wirft Pakistan, dem Verbündeten der USA im "Kampf gegen den Terrorismus", zahlreiche Vergehen gegen die Menschenrechte vor

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Der 1999 durch einen Putsch an die Macht gekommene General Musharraf tourt gerade mit seinem neuen Buch durch die Welt. Nach dem 11.9. hatte die Bush-Regierung ihn als Helfer gegen die Taliban auserkoren. Musharraf erregte vor ein paar Tagen Aufsehen, als er sagte, die Bush-Regierung habe ihn unter der Androhung, sonst das Land in die Steinzeit zurückzubomben, zur Kooperation gezwungen (Die unerhörten Bekenntnisse des Generals). US-Präsident Bush hatte Mühe, diesen Konflikt zu entschärfen und den Streit zwischen Musharraf und dem afghanischen Präsidenten, der gleichzeitig in Washington war, klein zu halten. Bush bezeichnete beide als seine „persönlichen Freunde“ und dankte Musharraf erneut für seine Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus. Kritik war nicht zu hören.

In Großbritannien versicherte der pakistanische Präsident, er habe dem Westen bei der Bekämpfung der islamistischen Terroristen geholfen, während Indien den pakistanischen Geheimdienst beschuldigt, hinter den Terroranschlägen im Juli auf die Züge in Mumbai gestanden zu haben. Den von einem Mitarbeiter des britischen Verteidigungsministeriums in einem Bericht geäußerten Vorwurf, der pakistanische Geheimdienst ISI habe den Taliban und al-Qaida geholfen, wies Musharraf entschieden zurück. Der britische Regierungschef Blair entschuldigte sich, dafür versicherte Musharraf, der erst vor kurzem ein Abkommen mit den Stämmen an der Grenze zu Afghanistan geschlossen und daraufhin einen Truppenrückzug angeordnet hatte, dass man gegen die erstarkenden Taliban vorgehen und sie auch über die Grenze bis in Afghanistan hinein verfolgen würde. Das wiederum dürfte Karsai nicht gefallen, wenn die Ankündigung denn mehr als eine Geste dafür war, dass man bei der Bekämpfung der islamistischen Terroristen an der Seite des Westens stehe, während man gleichzeitig Rücksicht auf die starken muslimischen Konservativen im Land nimmt.

US-Präsident Bush am 22. September zum pakistanischen Präsidenten Mausharraf: „This President is a strong defender of freedom.“ Foto: Weißes Haus

Dem pakistanischen Herrscher, der sich nach seinem Putsch 2002 durch eine Scheinwahl ohne Gegenkandidaten als Präsident und oberster militärischer Machthaber legitimierte, kommt nun aus unerhoffter Seite Bestätigung zu, dass sein Land willig im Kampf gegen den Terrorismus mitgespielt hatte. Amnesty International hat einen Bericht vorgelegt, in dem noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie die Amerikaner die „feindlichen Kämpfer“ einsammelten, die dann teilweise nach Guantanamo verfrachtet wurden. US-Präsident Bush und andere Regierungsvertreter haben sie immer wieder als gefährliche Terroristen bezeichnet: „These are the worst of a very bad lot.“ (Cheney), “They are among the most dangerous, best-trained vicious killers on the face of the earth” (Rumsfeld am 27.1.2002). Trotz aller bislang bekannt gewordenen Informationen über willkürlich festgenommene Häftlinge, gegen die nichts vorlag und gegen die mangels Beweisen keine Klagen erhoben werden konnten, obgleich sie über Jahre in Guantanamo verhört wurden, wiederholte Bush erst kürzlich wieder die Behauptung von den gefährlichen Terroristen, die man zum Schutz der Amerikaner festhalten müsse, obgleich bereits 300 Gefangene ohne Anklage freigelassen wurden:

These aren't common criminals, or bystanders accidentally swept up on the battlefield -- we have in place a rigorous process to ensure those held at Guantanamo Bay belong at Guantanamo. Those held at Guantanamo include suspected bomb makers, terrorist trainers, recruiters and facilitators, and potential suicide bombers. They are in our custody so they cannot murder our people.

US-Präsident Bush am 6.9.2006

Schon seit langem ist Guantanamo zum Symbol für die Politik der Bush-Regierung geworden, die Menschenrechte, internationale Abkommen und rechtsstaatliche Fundamentalrechte verletzt. Die Regierung scheint unentschlossen zu sein, ob sie das Lager weiter führen oder es schließen will. Einerseits wird ein neues Hochsicherheitsgefängnis gebaut und wurden 14 al-Qaida-Verdächtige nach Guantanamo verlegt, um sie angeblich vor Militärgerichte zu stellen, andererseits hieß es auch immer wieder einmal, dass man das Lager schließen wolle, aber dass die Gefangenen nicht von ihren Heimatländern aufgenommen würden. Das Dilemma ist, dass die US-Regierung die Häftlinge nicht einfach freilassen und abschieben kann, weil sie sonst zugeben würde, dass es sich nicht um gefährliche Terroristen gehandelt hatte, aber dass sie die meisten offenbar selbst nicht von Militärgerichten aburteilen lassen kann, ohne die Farce noch schlimmer zu machen. Bislang wurde nur gegen 10 der 750 Menschen, die in Guantanamo inhaftiert waren bzw. sind, eine Klage erhoben. Wie willkürlich die Festnahmen der Menschen, die schließlich als die „Gefährlichsten der Gefährlichen“ in Guantanamo landeten, waren, zeigt nun ein Bericht von Amnesty.

Amnesty schreibt in dem neuen Bericht, dass “die Straße nach Guantanamo in Pakistan beginnt“. 85 Prozent der in dem Lager Inhaftierten seien von der Nordallianz in Afghanistan und von Sicherheitskräften oder privaten Kopfgeldjägern in Pakistan festgenommen worden. Damals hatten die Amerikaner noch 5.000 US-Dollar für einen mutmaßlichen Taliban-Kämpfer oder ein al-Qaida-Mitglied gezahlt. In Pakistan seien seit dem 11.9. 2001 Hunderte von Männern, Frauen und Kindern in Massenverhaftungen verschleppt worden. Manche wurden den Amerikanern verkauft, die offenbar zum Nachweis ihrer Leistung Verdächtige sammelten, obwohl meist nicht mehr vorlag als eine Beschuldigung der Kopfjäger. Sie landeten nicht nur in Guantanamo, sondern auch in Bagram oder anderen amerikanischen Lagern. In Afghanistan kam es auch zu Massakern, mutmaßlich unter Mitwirkung oder Wissen von US-Soldaten, in Pakistan wurden seit Beginn des Kriegs gegen den Terrorismus „massenweise“ Menschen verschleppt. Oft ist nicht bekannt, wohin sie kamen, ob sie noch leben und ob sie gefoltert wurden. Nach Berichten wurden Gefangene in Pakistan, möglicherweise unter Mitwissen von Amerikanern, bei Verhören an den Füßen aufgehängt oder geschlagen. Es soll auch Geheimgefängnisse der CIA in Pakistan gegeben haben.

Von Verschleppungen mit Gewalt hatte man fast nichts vor dem Beginn des von der USA geführten „Kriegs gegen den Terror“ gehört. Jetzt sind sie ein zunehmend häufiges Phänomen, das sich über Terrorverdächtige hinaus auch auf Nationalisten und Journalisten aus Baluchistan oder der Sindhi-Angehörigen erstreckt.

Angelika Pathak, Amnesty International

Wie viele Menschen den USA von pakistanischen Sicherheitskräften übergeben oder verkauft wurden, ist nicht bekannt. Manche sollen in Geheimgefängnisse in Pakistan verschwunden sein, manche wurden an andere Länder von Pakistan oder den USA übergeben. Besonders der weitgehend verdeckt geführte „Kampf gegen den Terror“, der an der Grenze zu Afghanistan geführt wurde, könnte, so vermutet Amnesty, zu zahlreichen und systematischen Menschenrechtsverletzungen geführt haben. Ein Armeesprecher hatte im April 2006 gesagt, dass seit Juli 2005 320 „Militante“, darunter auch „Ausländer“ und „einige“ Zivilisten, getötet worden seien. Obgleich die pakistanische Regierung leugnet, dass ausländische Truppen im Land Operationen ausführen dürfen, geht Amnesty davon aus, dass US-Soldaten neben Angriffen mit Drohnen mehrmals bewaffnete Einsätze in den Grenzgebieten ausgeführt haben. Amnesty bezichtigt die pakistanische Regierung, „zahlreiche Menschenrechtsverletzungen als Folge ihrer Zusammenarbeit mit dem von der USA geführten ‚Krieg gegen den Terror’ begangen zu haben“, und fordert sie auf, diese einzustellen und das Recht wieder herzustellen.