Wehrhafte Demokratie: Ungleichheit – eine unterschätzte Bedrohung
Seite 2: Rückzug aus der Demokratie
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Der Aussage "Wir leben nur scheinbar in einer Demokratie. Tatsächlich haben die Bürger nichts zu sagen" stimmen bei einer Allensbach-Umfrage ein knappes Drittel zu.
Auch wenn dieses Ergebnis in der Politik wohl für betroffenes Kopfschütteln gesorgt haben mag, erscheint es angesichts obiger Studie über den inexistenten Einfluss der Armen auf den Entscheidungsprozess auch eine nachvollziehbare Reaktion auf eine nicht von der Hand zu weisenden Realität.
Ein weiteres bedenkliches Umfrageergebnis: Ein Drittel der Deutschen hat den Eindruck, von der Politik übersehen zu werden. Sich aber ignoriert zu fühlen, sich also nicht repräsentiert zu fühlen, ist für eine repräsentative Demokratie ein Desaster, weil es der Grundidee des politischen Systems zuwiderläuft.
Die Folge kann kaum überraschen: Arme wenden sich zunehmend vom politischen Entscheidungsprozess ab und gehen nicht zur Wahl. Wie der Elitenforscher Michael Hartmann belegt, zeigt sich immer wieder ein statistischer Zusammenhang zwischen Armut und geringer Wahlbeteiligung.
Das ist in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen haben Reiche allein durch ihre Wahlbeteiligung einen höheren Einfluss, zum anderen verschwinden ärmere Bevölkerungskreise vom Radar der Politiker.
Auf zu den Extremen
"Auf lange Sicht aber können Demokratien ohne Zustimmung und Unterstützung ihrer Bevölkerung kaum stabil bleiben. Wenn immer größere Teile der Bevölkerung den Eindruck haben, dass sie aus politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind – und sich zunehmend selber ausschließen –, wächst die politische Entfremdung. Aus der Politiker- und Politikverdrossenheit kann eine Institutionen- und schließlich sogar Demokratieverdrossenheit entstehen – inklusive Abwanderung zu extremen Parteien,"
warnte Brigitte Geißel bereits im Jahr 2012.
Ihre Worte sollten sich als prophetisch erweisen. In den USA erfreute sich Donald Trump besonders bei den sozial abgehängten Teilen der Bevölkerung an Beliebtheit, was die Soziologin Arlie Russell Hochschild in ihrem Buch Fremd im eigenen Land eindrucksvoll beschreibt.
Ähnlich verhält es sich in Deutschland. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die AfD gut zehn Prozent der Stimmen. In einkommensschwachen Wahlkreisen lag die Partei hingegen mit rund 16 Prozent knapp hinter der CDU. Aktuell kommt das Ifo-Institut zum Ergebnis:
Wenn der Anteil von Haushalten unter der Armutsgrenze um einen Prozentpunkt steigt, steigt der Stimmenanteil von rechtsextremen Parteien um 0,5 Prozentpunkte bei Bundestagswahlen.
Der Ratschlag von Michael Hartmann ist so naheliegend wie einleuchtend:
Will man dem Rechtspopulismus erfolgversprechend entgegentreten, muss man sich auf den Teil seiner Wählerschaft konzentrieren, der die rechtspopulistischen Parteien derzeit noch überwiegend aus Protest wählt.
Vielleicht wäre das mal ein geeignetes Feld, sich wirklich und grundlegend für den Schutz der Demokratie starkzumachen?
Starke Ungleichheit oder Demokratie
Die Schere der Ungleichheit geht in Deutschland weiter auseinander und die Mitte erodiert. Kein Wunder, dass die politische Mitte ebenso erodiert. Eine Politik, die ernsthaft für den Schutz der Demokratie kämpft, muss zwingend die Frage der Ungleichheit angehen und für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen.
Ein zentraler Hebel hier ist die Steuerpolitik. Gabriel Zucman fordert:
Jedes ernsthafte Nachdenken über Steuern muss die Ungleichheit in den Mittelpunkt stellen, erst recht in der heutigen Welt der zunehmenden Vermögenskonzentration.
Ebenso sind gezielte Investitionen in Sozialstaat und Gemeinwohl zielführend. Denn wenn der Staat eine ausreichende Grundversorgung gewährleistet, ist Ungleichheit für die Ärmeren leichter erträglich. In jedem Fall bleibt die Warnung von Louis Brandeis, ehemaligem Richter am Obersten Gerichtshof der USA:
Wir können eine Demokratie haben oder den Reichtum in den Händen einiger weniger konzentrieren, aber wir können nicht beides haben.