Weihnachten, Fest des Friedens
Seite 2: Wir sind immer die Guten
- Weihnachten, Fest des Friedens
- Wir sind immer die Guten
- Auf einer Seite lesen
Neben dem Angriffs- und Sicherheitsargument erfreut sich eine zweite Rechtfertigungslinie großer Beliebtheit: "Wir ziehen in den Krieg, um das Böse zu besiegen." Und "Wir" sind natürlich die Guten, wie beispielsweise Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright klar machte: "Ich glaube an das grundsätzlich Gute der amerikanischen Macht." Unzählige Filme sind nach diesem Muster gestrickt: Die Guten kämpfen gegen die Bösen, um die Wehrlosen zu verteidigen. Kriegsrealität sieht jedoch anders aus: Soldaten werden von ihrer Obersten Heeresleitung als kämpfendes Menschenmaterial betrachtet, und wehrlose Opfer als unvermeidliche Kollateralschäden. Der US-Politiker Henry Kissinger soll gesagt haben: "Militärpersonal ist blödes, dummes Vieh, das man als Bauernopfer in der Außenpolitik benutzt!" Und was das Verteidigen unschuldiger Zivilisten betrifft: Die bereits erwähnte Madeleine Albright hat auf eine Nachfrage bezüglich 500.000 im Irak gestorbener Kinder geantwortet: "Das ist eine harte Entscheidung, aber wir denken, dass es diesen Preis wert ist."
Albrights Antwort ist so grausam, dass man die naheliegende Frage fast vergisst: Der Preis wofür eigentlich? Alan Greenspan, langjähriger Vorsitzender der US Notenbank, hat erklärt, wofür eine halbe Million Kinder gestorben sind: "Ich finde es bedauerlich, dass es politisch unkorrekt ist zuzugeben, was alle schon wissen: Beim Irakkrieg geht es um das Erdöl." Neoliberale und Sozialisten sind sich offensichtlich einig: Entfesselter Kapitalismus ist Kriegsrisiko Nummer eins.
Zwar werden bisweilen menschenverachtende Regime bekriegt, aber Kriegsgrund ist nicht deren Menschenverachtung. Egon Bahr bestand darauf: "In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merkt Euch das!"
Wenn in Saudi-Arabien Oppositionelle zu Tode gepeitscht werden, liefert der Westen Waffen an das saudische Regime, denn es ist unser Verbündeter. Und wenn in Syrien Oppositionelle niedergeknüppelt werden, liefert der Westen Waffen an die Gegner des syrischen Regimes, denn Syrien ist ein Verbündeter Russlands.
Wir erinnern uns: Im Vorfeld der deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg wurde auf breiter Medienfront über die furchtbare Situation der dortigen Frauen berichtet - ein Thema, das heute, in Zeiten von Flüchtlingsabschiebungen nach Afghanistan, lieber ausgeblendet wird. Glaubt irgendjemand, die NATO hatte in Afghanistan jemals Frauenrechte im Fokus? Afghanistan besitzt riesige Lithiumvorkommen, die von der 1. Welt dringend benötigt werden. Hinzu kommt: allein die USA haben im Afghanistankrieg 900 Milliarden € ausgegeben, eine Summe, die in Deutschland für zweieinhalb Jahre Bundeshaushalt reicht. Dieses Geld für Krieg ist nicht weg - es hat nur den Besitzer gewechselt.
Wie oft mussten wir diesem Trauerspiel nun schon zusehen: Ein Regime wird gezielt zur bedrohlichen Inkarnation des Bösen aufgebaut, mit Wirtschaftssanktionen destabilisiert, und irgendwann zieht man die militärische Karte. Den Krieg bezahlen dann die Steuerzahler der kriegführenden Nationen mit ihrem Geld, und die Einwohner der bekriegten Länder mit ihrem Leben.
Was können wir tun, um Kriege abzuschaffen?
Noch einmal: Kriege sind in ihrer Dimension das Grausamste, was sich Menschen gegenseitig antun. Willy Brandts Worte gelten bis heute: "Es geht darum, Kriege abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen." Aber was können wir tun, um Kriege abzuschaffen? Weil diese Frage eher Ohnmachtsgefühle als Tatendrang auslöst, sei mit entsprechendem Fokus an das Ende des kalten Krieges zwischen Warschauer Pakt und NATO erinnert:
Während der 1980er Jahre lebte in Leipzig eine Gruppe junger Leute - Studenten, Angestellte, Arbeiter -, die einen gemeinsamen Gedanken teilten: "Ich lasse mir nicht länger gefallen, wie dieser Staat mit mir und unserer Gesellschaft umspringt!" Es ging um Meinungsfreiheit, Umweltschutz und natürlich um die unerträgliche Aufrüstung von Ost wie West gegen den angeblichen Todfeind auf der anderen Seite. Die DDR-Führung war ab 1986 wegen der Gorbatschowschen Reformpolitik stark verunsichert und schritt gegen die immer größer werdende Schar der Oppositionellen nicht mit aller Härte ein. Was man jedoch unbedingt eindämmen wollte, war die bereits aufkommende Ausweitung der Proteste über Leipzig hinaus.
Der Tag der Entscheidung fiel auf den 9. Oktober 1989. Für diesen Montag wurde die bis dato größte Demonstration erwartet, aber DDR-Bürger in Ost-Berlin, Erfurt oder anderswo sollten möglichst wenig davon mitbekommen. So war Journalisten die Reise nach Leipzig verboten.
An dieser Stelle kommt der damalige ARD-Redakteur Roland Jahn ins Spiel. Jahn hatte nach seiner gewaltsamen Ausbürgerung 1983 noch eine Rechnung mit der Stasi offen, und eine Liedzeile von Rio Reiser war sein Lebensmotto geworden: "Alles verändert sich, wenn du es veränderst, doch du kannst nicht gewinnen, solange du allein bist." Bereits Monate vorher hatte er Kontakt mit den beiden Bürgerrechtlern Siegbert Schefke und Aram Radomski aufgenommen und ihnen auf konspirativen Wegen eine Videokamera besorgt. Die beiden versteckten sich nun im Turm einer Leipziger Kirche, filmten den riesigen Demonstrationszug und schafften die Aufnahmen in den Westen, wo sie bereits am nächsten Tag in der Tagesschau gesendet wurden. Diesen Bericht konnten fast alle DDR-Einwohner empfangen, und die Bilder entfalteten ihre Wirkung: Eine Woche später kamen 150.000 Menschen aus dem gesamten DDR-Gebiet zur Leipziger Montagsdemonstration. Am 23. Oktober waren es 300.000, am 6. November 500.000 - der Rest ist Geschichte.
Sie alle haben den kalten Krieg beendet: der Redakteur Roland Jahn, das Filmer-Duo Schefke/Radomski, Gorbatschow, Rio Reiser, die Leipziger Oppositionellen, mit ihrem Glauben an die eigene Kraft und dem Wissen, dass es nur gemeinsam geht, und viele andere mehr. Die Weltgeschichte ist ein lebendiger Fluss, und politische Quantensprünge sind nicht auf dem Reißbrett planbar. Alle kleinen und großen Revolutionen beginnen mit ein paar Leuten, die konkrete Ungerechtigkeiten oder Fehlentwicklungen einfach nicht mehr hinnehmen; die über ihr eigenes Ego hinauswachsen, einen Stein ins Rollen bringen - und irgendwann passt alles zusammen und neue gesellschaftliche Realitäten brechen sich Bahn.
Genauso lief es schon bei unseren Vorfahren, als sie den damals Mächtigen die Rechte abtrotzten, die wir heute so selbstverständlich genießen. Wie Howard Zinn vor vielen Jahren sagte: "Was zählt, sind die unzähligen kleinen Taten unbekannter Menschen, die die Grundlagen schaffen für bedeutende Ereignisse. Sie sind diejenigen, die in der Vergangenheit etwas getan haben, und die es in Zukunft tun werden müssen."