Weiter Uneinigkeit im NPD-Verbotsverfahren zwischen Bund und Ländern?
Verbotsantrag soll bis Jahresende am Bundesverfassungsgericht eingereicht werden
Sah es zum Ende der vergangenen Woche in der Berichterstattung noch so aus, als stünde einem neuen NPD-Verbotsverfahren nichts mehr im Wege, bremst nun offenbar Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich die Euphorie der Bundesländer. Laut "Spiegel" lehnt Friedrich eine von der SPD geforderte Beteiligung der Bundesregierung am NPD-Verbotsantrag weiter ab. Der Minister soll sogar gesagt haben: "Das machen wir nicht, die Länder sollen mal allein verlieren."
Als Quelle für dieses Zitat des CSU-Politikers benennt das Nachrichtenmagazin Teilnehmer in den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD. Friedrich habe gesagt, dass er nicht an den Erfolg des Verbotsverfahrens glaube. Vor wenigen Tagen war berichtet worden, dass die Innenminister der Länder den neuen Antrag zum NPD-Verbot am 3. Dezember respektive "bis Ende des Jahres" beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen wollen.
Vorangegangen war eine lange Diskussion darüber, ob nach dem gescheiterten Verfahren 2003 ein neues überhaupt Aussicht auf Erfolg haben würde. Seinerzeit war der erste Versuch eines Verbots gescheitert, weil V-Leute verschiedener Verfassungsschutz-Behörden im Verdacht standen, den Kurs der Partei maßgeblich mitzubestimmen. Aussagen, die die Verfassungsfeindlichkeit der Partei belegen sollten, stammten seinerzeit etwa auch von staatlich bezahlten Spitzeln – was am Bundesverfassungsgericht die Frage aufwarf, ob jene Rechtsextremisten nur Spitzelhonorare erhielten, um Informationen aus der Braunszene an den Staat weiter zu leiten, oder sie sich auch besonders extremistisch hervortaten, um ein Verbot der NPD zu begünstigen.
Seither haben die Behörden ihre Informanten nach eigenen Angaben zumindest in den maßgeblichen Führungsgremien der NPD abgezogen. Der neue Antrag soll ohne Material von V-Leuten erstellt worden sein. Hatten verschiedene Landesinnenminister sich jedoch gesträubt, dies per Unterschrift zu bestätigen, kam nun offenbar Bewegung in die Sache. So meldete der NDR, dass nun alle Minister bereit seien, eine Garantieerklärung für die Verbotsunterlagen abzugeben. Vor allem in den Innenministerien von Baden-Württemberg, Thüringen und dem Saarland habe es demnach zuvor Vorbehalte gegen diese Erklärung gegeben. Dort habe man lediglich die Leiter der Verfassungsschutzbehörden unterschreiben lassen wollen.
Diskussion um NPD-Verbot als Wahlhilfe
Die Diskussion um ein neues NPD-Verbot ist seit Jahren eine solche voller Widersprüchlichkeiten. Einerseits attestieren Politiker, Wissenschaftler und Fachautoren der NPD Demokratie- und Verfassungsfeindlichkeit. Demnach wäre ein Verbot also möglich. Andererseits steckt die NPD in einem Dilemma, um nicht zu sagen, in einem teilweise desolaten Zustand: Bei Wahlen sind Erfolge selten, finanziell ist sie nahezu am Ende. Dessen ungeachtet beschert die Diskussion um das Verbot der Partei immer und immer wieder mediale Öffentlichkeit.
So wies der Fachjournalist Olaf Sundermeyer zwar im Frühjahr 2013 in der damals neu aufkeimenden Debatte um das NPD-Verbot darauf hin, dass die NPD zwar staatsfeindlich und die mit ihr in Teilen verbandelte militante, rechtsextreme Szene eine Gefahr für die Demokratie seien. Die Wahlerfolge der NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern seien jedoch erst nach dem 2003 wegen der V-Mann-Problematik gescheiterten ersten NPD-Verbotsverfahren eingetreten.
Nach Recherchen der ARD kassierte die NPD bundesweit seitdem mehr als 20 Millionen Euro Zuschüsse nach dem Parteiengesetz. Sundermeyer sah in der Verbotsdebatte gar eine drohende "Aufwertung" der NPD. Dabei gehe es doch eigentlich darum, argumentativ gegen rechte und menschenfeindliche Einstellungen vorzugehen, die bis in die Mitte der Gesellschaft reichen. Uwe Backes, Professor für Politikwissenschaften, wies im April 2012 anschaulich auf jenes Problem hin, indem er an ein Argument erinnerte, das in Frankreich in der Diskussion über das Verbot der "Front National" (FN) aufkam: "Ein Parteiverbot laufe darauf hinaus, das Thermometer zu zerbrechen, ohne das Fieber zu senken."
Verbale Radikalität und Umsturzgelüste reichen alleine nicht aus, um ein Verbot zu begründen
Ein antifaschistisches Autorenkollektiv warnte nach der Lektüre der rund tausendseitigen geheimen Materialsammlung für ein NPD-Verbot im März 2013 vor diesem Szenario. Mit dem Material sei ein Verbot "unwahrscheinlich" und ein Scheitern "vorprogrammiert". Eine 141 Seiten lange "Kurzfassung der Materialsammlung" zur "Prüfung der Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahren" liegt "Telepolis" vor. Gelistet sind in dem als "Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch" gekennzeichneten Papier unzählige Aussagen von NPD-Politikern. Das Material belegt, dass die Partei verfassungsfeindlich ist –zumindest verbal.
Doch bislang ging man in der Diskussion auch davon aus, dass verbale Radikalität und Umsturzgelüste alleine nicht ausreichen, um ein Verbot zu begründen. Wenn der heutige NPD-Parteivize Udo Pastörs also 2009 die NPD als noch "kleine Kampftruppe" umschreibt, die dereinst den "Maximalschaden" für die Demokratie anstrebe, stellt sich heute wohl eher die Frage, ob er damit nicht angesichts von Macht- und Flügelkämpfen in seiner Partei unfreiwillig etwas anderes gemeint haben könnte – den Maximalschaden für die NPD angesichts interner Streitereien kleiner Kampftruppen innerhalb des eigenen Parteiapparates .
In der letzten umfangreicheren Debatte über Sinn und Unsinn eines NPD-Verbotsverfahrens im Frühjahr 2013 wurde immer wieder auch betont, das in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht deutlich werden muss, dass verfassungsfeindliche Aussagen von NPD-Kadern keine bloße Verbalradikalität darstellen. Hans-Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Experte für Rechts- und Innenpolitik, sagte dazu der taz, für ein Verbot müsse "sich aus dem Material auch valide ergeben", dass die NPD "aktiv kämpferisch" einen Putsch anstrebe.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte müsse die "nationalen Besonderheiten der konkreten Verbotssituation" berücksichtigen
Überdies, so Ströbele, müsse ein Verbot "verhältnismäßig" sein. "Das setzt voraus, dass die NPD eine echte Bedrohung unserer Grundordnung ist. Das ist angesichts der Schwäche der NPD und ihrer schwindenden Wahlerfolge mehr als fraglich." Weiter hieß es in der Diskussion um das NPD-Verbot, selbst wenn das Bundesverfassungsgericht ein Verbot befürworte, drohe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte es wieder aufzuheben. Der Gerichtshof stand bis dahin im Ruf, Parteiverbote skeptisch anzusehen, wenn es sich um zwar verfassungsfeindliche Splitterparteien handelt, diese jedoch finanziell, logistisch oder personell nicht imstande seien, einen Umsturz durchführen zu können.
Besonders letzter Punkt scheint nun bei den Landesinnenministerien ausgeräumt zu sein. So berichtete etwa die "Welt", in dem 244-Seiten-Papier des fertiggestellten Verbotsantrages heiße es, dass die NPD "eindeutig und nachhaltig die nationalsozialistische Ideologie" vertrete. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte werde dies auch so sehen und dürfte wohl ein Verbot bestätigen, indem er "die nationalen Besonderheiten der konkreten Verbotssituation" berücksichtigen werde.
Meint: Anders als in anderen EU-Staaten, in denen ein Verbot von Naziparteien auch umstritten sein könnte, wäre ein angestrebtes Verbot solcher Parteien in Deutschland angesichts der Hitler-Diktatur viel sensibler zu bewerten. Laut dem Antrag, aus dem die Zeitung zitiert, habe der Gerichtshof "dabei die historische Entscheidung des Grundgesetzes für eine wehrhafte Demokratie als Antwort auf die Katastrophe des Nationalsozialismus und auf die scheinlegale Machtergreifung 1933" zu respektieren.
Ausschlaggebend sei Artikel 21 im Grundgesetz, wonach Parteien verfassungswidrig sind, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen wollen oder sie beeinträchtigen und den Bestand der Bundesrepublik gefährden. Laut Zeit-Online bewertet man in dem Antrag die NPD nun als eine Partei, die in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen "demokratiefreie Räume geschaffen [hat], die sich auf Gesamtdeutschland ausweiten können". Und Deutschland müsse eben "aus historischen Gründen das Recht haben [...], eine solche Partei zu verbieten". Bundesinnenminister Friedrich scheint demgegenüber jedoch weiterhin skeptisch zu bleiben.