Weltmacht gegen Klima: Wie die USA mit Energiesicherheit Geopolitik machen

Ohne Dumpingpreise für Erdöl wäre die Industrialisierung anders verlaufen. Regenerative Energien hätten früher eine Rolle gespielt. Warum das aktuell wichtig ist.

Die USA tragen eine Hauptverantwortung für die Klimakrise. Das siegt nicht nur an dem CO2-Ausstoß, sondern vor allem und viel schlimmer, daran, dass sie im letzten Jahrhundert mit billigem Öl dem Rest der Welt ihre Hegemonie aufgezwungen und der Menschheit ein Wohlstandsmodell auf fossiler Basis beschert haben.

Diese Dimension der Klimakrise wird weitgehend vernachlässigt, verdient aber besondere Aufmerksamkeit.

Das Zauberwort Energiesicherheit

Denn die Überproduktion von Öl zu Dumpingpreisen hat den USA als Hauptprofiteur der Süd-Nord-Umverteilung der gigantischen Ölrenten nicht nur unermesslichen Wohlstand und den darauf basierenden American Way of Life beschert, sondern auch einen der wichtigsten machtpolitischen, aber unsichtbaren Hebel ihrer globalen Hegemonie und damit jener unilateralen Weltordnung, die heute zur Hauptgefahr für den Weltfrieden geworden ist.

Alle US-Regierungen verfolgten die Strategie, alle von Ölimporten stark abhängigen Verbündeten ihrer Hegemonialmacht zu unterwerfen oder gar zu Vasallen zu machen. Dies erforderte die Kontrolle der Ölstaaten wie Saudi-Arabien und anderer Ölstaaten am Persischen Golf.

Der Schlüsselbegriff für diese Hegemonialstrategie war Energiesicherheit, die spätestens seit der Ölkrise von 1973/74 zu einem der wichtigsten Narrativen der US-Außenpolitik geworden ist.

In Wikipedia wird Energiesicherheit, die dort mit der Ölkrise in Verbindung gebracht wird, als Sicherheit der Energieversorgung definiert.

In der Tat ist Öl, seit es im Globalen Süden entdeckt und gefördert wird, nicht mehr ein Rohstoff wie jeder andere, der frei auf dem Weltmarkt gehandelt wird.

Öl, dieser als schwarzes Gold mystifizierte Rohstoff, erhielt einen Sonderstatus in der Weltwirtschaft und wurde de facto als strategischer Rohstoff betrachtet, dessen Produktion und weltweiter Transport angeblich eines besonderen Schutzes bedurfte.

Doch was bedeutet die Sonderstellung des Erdöls im internationalen Handel?

Normalerweise ist die Voraussetzung für internationalen Handel eine zahlungsfähige Nachfrage und die Bereitschaft der Anbieter, ihre Waren zu einem fairen Preis zu verkaufen.

Beide Seiten haben also ein materielles Motiv für den Warenaustausch, und deshalb kommt es zum freien Warenaustausch auf dem Weltmarkt.

Niemand käme deshalb auf die Idee, international gehandelte Waren unter besonderen Schutz zu stellen.

Es wäre absurd, von der Sicherheit des Weizens zu sprechen, von der Sicherheit des Autos, von der Sicherheit dieses oder jenes Rohstoffs, solange kein Staat die allgemeinen Regeln des Welthandels verletzt und solange kein Staat die Produktion und den Transport der Waren absichtlich behindert.

Zwar haben die Ölstaaten des Globalen Südens seit den 1970er-Jahren immer wieder in den Ölmarkt eingegriffen.

Diese Interventionen hatten jedoch die Funktion, den Ölpreis in Richtung fairer Preise zu verändern. Unabhängig vom US-Narrativ der Energiesicherheit unterliegt Öl - wie wohl alle Rohstoffe - aufgrund seiner Erschöpfbarkeit besonderen Marktregeln:

- Öl ist monopolisierbar. Nach den Regeln des Freihandels wäre daher der Monopolpreis das Preisregulativ für Angebot und Nachfrage.

- Aufgrund der Erschöpfbarkeit würde der Ölpreis unter Freihandelsbedingungen bei steigender Nachfrage überproportional steigen.

Die Behauptung, der Erdölsektor (Förderung und Transport) bedürfe eines besonderen Schutzes, entbehrt jeder ökonomischen Grundlage.

Vielmehr handelt es sich um ein Konstrukt, das offensichtlich dazu dient, die marktwirtschaftliche Preisbildung auszuhebeln und den Ölpreis auf ein politisch hegemoniekonformes Niveau zu drücken.

Tatsächlich ist es den USA mit der Konstruktion des Begriffs der Energiesicherheit gelungen, den globalen Ölverbrauchern zu suggerieren, dass Öl eine Sonderstellung auf dem Weltmarkt einnehme und seine Produktion und Vermarktung daher eines militärischen Schutzes bedürfe, den nur die USA gewährleisten könnten.

Energiesicherheit ist Preissicherheit

Unter Energiesicherheit verstanden die USA die Gewährleistung eines ungestörten Ölflusses zu akzeptablen, d.h. möglichst niedrigen Preisen.

Beides lässt sich durch die umfassende Kontrolle möglichst vieler Ölstaaten des Globalen Südens erreichen, vor allem von Ländern wie Saudi-Arabien, Iran, Irak, Kuwait im Nahen Osten bis Venezuela in Südamerika.

Die so verstandene Energiesicherheit wurde für mehrere Jahrzehnte zu einem der wichtigsten sicherheits- und außenpolitischen Mantras der USA und der Nato.

Die Carter-Doktrin etwa ist ein wichtiger Beleg für den Anspruch der USA, die Energiesicherheit der westlichen Staaten für alle Zeiten gewährleisten zu wollen.

Der damalige US-Präsident Jimmy Carter erklärte in seiner Rede an die Nation im Januar 1980, wenige Monate nach dem Sturz des von den USA abhängigen Schah-Regimes im Iran:

<Um unsere Position absolut klarzumachen : Jeder Versuch einer anderen Macht, die Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, wird von uns als Angriff auf die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten betrachtet. Ein solcher Angriff wird mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt, abgewehrt werden.

Unter den Verbündeten der USA hat es nie einen Zweifel daran gegeben, dass es die Vereinigten Staaten sind, die die angeblich so grundlegende Energiesicherheit für ihre Volkswirtschaften gewährleisten können.

Alle westlichen Ölverbraucherstaaten wie die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Frankreich usw. in Europa, Japan und Südkorea in Asien, selbst ihrem Wesen nach imperialistische Staaten, nahmen fortan freiwillig in Kauf, dass es auch in ihrem Interesse war, dass die USA eine Sonderrolle, eine superimperialistische Position einnahmen, der sie sich freiwillig unterzuordnen hatten.

Dies ist auch ein wesentlicher Grund für die offensichtliche Abhängigkeit und teilweise bedingungslose Gefolgschaft westlicher Staaten gegenüber den USA in fast allen sicherheitspolitischen Fragen und in allen Kriegen, die die USA in den letzten Jahrzehnten geführt haben.

Neben der Herstellung von Sicherheit in der Ära des Kalten Krieges wurde so die Herstellung von Energiesicherheit zur wichtigsten Grundlage und zu einem festen, aber unsichtbaren Bestandteil der US-Hegemonie.

In Wirklichkeit bedurfte weder der freie Handel mit Öl noch mit anderen Gütern eines militärischen Schutzes.

Die USA hatten jedoch ein fundamentales Interesse daran, unter dem Vorwand der Energiesicherheit einen freien Ölhandel zu fairen, d.h. steigenden Preisen zu verhindern und stattdessen ein System von Öldumpingpreisen zu etablieren.

Mitverantwortung der US-Hegemonie für die Klimakrise

Unter den Bedingungen von Freihandel und fairen Preisen für alle Güter in der Weltwirtschaft, also in dieser rein hypothetischen Betrachtung, wäre die Welt nicht per se zum Paradies geworden.

Aber aller Wahrscheinlichkeit nach wären der Menschheit durch eine freie Weltwirtschaft ohne Kolonialismus und Imperialismus viele Unglücke und Katastrophen wie die beiden Weltkriege, der Faschismus, der Holocaust, die Blockkonfrontation, alle Kriege und Interventionen wie der Vietnamkrieg, die Kriege im Nahen Osten, die Israel-Palästina-Kriege usw. erspart geblieben.

Denn die Hauptursache der globalen Konflikte ist die tatsächliche oder empfundene Ungerechtigkeit und die erlebte Ohnmacht gegenüber den bestehenden Machtungleichheiten in den zwischenmenschlichen und zwischenstaatlichen Beziehungen. Kolonialismus und Imperialismus bilden letztlich den historischen Rahmen für die gewaltsame Durchsetzung von Ungleichheit in der Nutzung und Verteilung von Ressourcen und Einkommen.

Kolonialismus und Imperialismus haben, wie oben am Beispiel des Energiesektors begründet, nie einen freien Handel zu fairen Preisen zugelassen.

Die unfairen Öldumpingpreise im Energiesektor der letzten sieben Jahrzehnte haben aber nicht nur den Ölbesitzern des Globalen Südens geschadet, sondern auch der gesamten Menschheit die Klimakrise beschert, ein Aspekt, der in der Forschung wie in der öffentlichen Debatte bisher fast völlig ausgeblendet wird.

Denn das unsägliche Interesse der USA an der Kontrolle des Mittleren Ostens beruhte nachweislich kaum auf den Ölimporten aus dieser Region für die eigene Wirtschaft, wie in der Literatur immer wieder behauptet oder stillschweigend unterstellt wurde.

Tatsächlich deckten die USA ihren Ölbedarf zu einem großen Teil durch Importe aus Mexiko und nur zu einem geringen Teil aus dem Nahen Osten, vor allem aus Kuwait und Saudi-Arabien.

Das Hauptinteresse der USA an den Ölquellen des Nahen Ostens bestand, wie oben dargestellt, darin, durch die gewaltsame Kontrolle der Ölstaaten des Globalen Südens für eine Überproduktion und Dumpingpreise zu sorgen, die bis zur Ölkrise von 1973/74 tatsächlich über ein halbes Jahrhundert auf dem Niveau von zwei US-Dollar pro Barrel stabil blieben, um den Verbündeten die eigene Hegemonie plausibel zu machen.

In diesem Zusammenhang spielte die politische Kontrolle Saudi-Arabiens und anderer kleinerer Ölstaaten am Persischen Golf mit ihren riesigen Ölvorkommen und einem Weltmarktanteil von 20 Prozent eine herausragende Rolle.

Ein Anruf des US-Präsidenten bei König Saud hätte in der Regel genügt, um Saudi-Arabien bei drohender Ölknappheit zu einer Erhöhung der Ölproduktion zu bewegen, was heute nicht mehr selbstverständlich ist.

Die Carter-Doktrin und Daudi-Arabien

Damit wurde Saudi-Arabien zu einer De-facto-Kolonie der USA, ohne eine Kolonie im klassischen Sinne zu sein. Im Gegenzug gaben die USA der saudischen Herrscherfamilie eine Schutzgarantie. Dazu diente auch die erwähnte Carter-Doktrin vom Januar 1980.

Aber gerade, weil die USA aus hegemonialpolitischen Erwägungen dafür sorgten, dass billiges Öl über ein halbes Jahrhundert zum Wachstumsmotor der westlichen Welt werden konnte, wurde das System der Ölüberproduktion und des Öldumpings zum bestimmenden Faktor der hoch energieintensiven und fossil basierten Industrialisierungsmodelle in allen kapitalistischen Staaten, einschließlich der USA selbst.

Dieses Modell hat zwar in den USA und den anderen westlichen kapitalistischen Staaten teilweise sogar zweistellige Wachstumsraten und einen unglaublich schnellen Wohlstand ermöglicht und damit auch die Entwicklung der Demokratie positiv beflügelt.

Der Grundstein für die Autoindustrie als Symbol dieses Wohlstandsmodells und des American Way of Life in den USA, in Europa und Japan wurde bekanntlich vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, also in der Ära des Öldumpings gelegt und damit ein Industrialisierungsmuster geschaffen, das dem Individualverkehrssystem, dem Autobahnbau und generell der energieintensiven Konsumindustrie, also einem Wohlstandsmodell auf fossiler Basis, den Weg geebnet hat.

Durch das unsägliche System der niedrigen Ölpreise haben die westlichen Industriestaaten sicherlich viele Milliarden US-Dollar gespart, die sie den Ölstaaten des Globalen Südens vorenthalten und damit ihr Wohlstandsmodell mitfinanziert haben. Der Schaden, der der gesamten Menschheit durch die Klimakrise entsteht, dürfte jedoch um ein Vielfaches höher liegen.

Es besteht also kein Zweifel: Die USA tragen die Hauptverantwortung für die seit fast einem Jahrhundert kumulierten Treibhausgase.

Die Vereinigten Staaten hatten und haben ein besonderes Interesse an der Aufrechterhaltung ihrer fossilen Hegemonie. So hat die neokonservative US-Regierung unter Bush versucht, die nachweislich klimaschädliche Kohleindustrie und die Fracking-Industrie durch Subventionen massiv auszubauen, während gleichzeitig der Ausbau regenerativer Energietechnologien gestoppt und damit eine längst überfällige Energiewende und klimafreundliche Strategie verhindert wurde.

Auch Joe Biden hält bis heute an dieser klimaschädlichen fossilen Strategie fest, indem er entgegen seinem Wahlversprechen das Ziel verfolgt, in der Arktis zu bohren und dort in den nächsten 30 Jahren 600 Millionen Barrel Öl aus dem Boden zu holen. Damit konnte und kann sichergestellt werden, dass das fossil orientierte Wirtschaftssystem und die darauf basierenden Hegemonialinteressen der USA unangetastet bleiben.

Denn in einem auf regenerativen Energien basierenden Energieversorgungssystem würden die USA alle fossilen Hebel aus der Hand geben, mit denen sie ihre Hegemonie gegenüber der Welt und vor allem gegenüber ihren eigenen westlichen Verbündeten durchsetzen können.

In einem auf regenerativen Energien basierenden Wirtschaftssystem wären alle Staaten energieautark, Energiesicherheit und die USA als deren vermeintliche Schutzmacht hätten keine Bedeutung mehr.

Zusammenfassend kann auf Basis der obigen Analyse festgestellt werden, dass ohne das System der Öldumpingpreise über einen langen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten die Industrialisierung im letzten Jahrhundert sicherlich einen anderen Verlauf genommen hätte: Statt des Individualverkehrs wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit weltweit der öffentliche Verkehr bevorzugt worden.

Generell wären auch energiesparende Technologien flächendeckend zum Einsatz gekommen, die eine sukzessive Anreicherung von Treibhausgasen und damit im Klartext die heutige Klimakrise verhindert hätten.

Das System der Öldumpingpreise war kein Naturgesetz, sondern Ergebnis der US-Hegemonie: Indem sich die USA als Schutzmacht der Energiesicherheit, d.h. Öl zu Dumpingpreisen und in beliebiger Menge, aufspielten, konnten sie ihre Hegemonie gegenüber den westlichen Verbündeten und Nutznießern des Öldumpingsystems durchsetzen und darüber hinaus die Entstehung des heutigen klimaschädlichen Wohlstandsmodells ermöglichen.

Allein durch Freihandel und Marktgesetze geregelte Energiepreise schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hätten mindestens ein halbes Jahrhundert früher zum massenhaften Einsatz regenerativer Energietechnologien geführt.