Weltwirtschaftsforum vor dem Aus?
"Davos Man" in argen Legitimationszwängen
Das selbsternannte Weltwirtschaftsforum scheint sich selbst abzuschaffen. Nach der faktischen Verhängung des Ausnahmezustands über weite Teile der südöstlichen Schweiz gerät das wegen seiner ungezwungenen Atmosphäre bei Staatschefs und Wirtschaftsführern geschätzte Treffen in Davos unter Beschuss. Nicht nur bei den Globalisierungsgegnern, auch bei Forumsteilnehmern und der lokalen Bevölkerung macht sich inzwischen Empörung breit.
Als "einen der größten Bluffs dieser Welt" bezeichnete bereits 1996 der damalige US-Sonderbotschafter Richard Holbrooke das Davoser Gipfeltreffen. Damals regte sich noch kein Widerstand gegen das Weltwirtschaftsforum und auch die Anti-Globalisierungsproteste steckten noch in den Kinderschuhen. Doch das hat sich in den fünf Jahren seit Holbrookes abschätziger Äußerung geändert.
Bereits zum vierten Mal wurde das hochkarätige Meeting in den Schweizer Alpen von Protesten begleitet. Was sich im Gegensatz zu den Vorjahren verändert hat, ist die Reaktion der Sicherheitskräfte auf die angekündigte Demonstration vom vergangenen Samstag. Der faktische Ausnahmezustand, der in und um Davos verhängt wurde, ist in dieser Form einmalig in der jüngeren Schweizer Geschichte. Das Aufgebot von Polizeieinheiten aus sämtlichen Kantonen, Berufsmilitärs und Angehörigen der Milizarmee konnte die rund 3000 Demonstrationswilligen, die aus ganz Europa angereist waren, wie kaum anders zu erwarten, in Schach halten. Nur rund ein Zehntel davon schaffte den Weg nach Davos, um dort doch noch einen kleinen, aber umso lauteren Protestzug durch das Schneegestöber zu wagen. Wasserwerfersalven (bei Minusgraden, sic!) setzten jedoch dem Marsch von etwa 300 Personen in großer Distanz zum Kongresszentrum ein abruptes Ende.
Die Verhinderung einer Großdemonstration in der Tradition der Kundgebungen in Seattle, Prag & Co. wird die Koalition WOW! - Wipe out WEF problemlos verkraften. Ziel der rund 80 Organisationen, die sich auf Initiative der Schweizer Anti-WTO-Koordination zu WOW zusammengeschlossen haben, ist nichts Geringeres als das WEF-Treffen in Davos abzuschaffen. Und diesem Bestreben ist das heterogene Bündnis durchaus einen Schritt näher gerückt - aus verschiedenen Gründen. Die sogenannten Vertreter der Zivilgesellschaft, die seit einigen Jahren als Beweis für die Dialogbereitschaft des WEF nach Davos eingeladen werden, äußerten harsche Kritik an den Sicherheitsmaßnahmen. Der bekannte Gentech-Kritiker Jeremy Rifkin drohte gar mit der frühzeitigen Abreise aus Davos, denn es werde ihm "sehr sehr schwer fallen, im Sinne des berühmten Geistes von Davos weiterzudiskutieren, wenn die Schweizer Regierung und die Organisatoren des Weltwirtschaftsforums das Grundrecht auf Meinungs- und der Versammlungsfreiheit nicht anerkennen", so Rifkin gegenüber dem Schweizer Radio. Ähnlich äußerten sich Vertreter von weiteren zehn am WEF akkreditierten Nichtregierungsorganisationen.
Gar nicht erst nach Davos schaffte es ein Referent der bewilligten Gegenkonferenz. Der Malaysier wurde schon Kilometer vor Davos verhaftet und von der Polizei umgehend an die Landesgrenze bei Basel gestellt. Der vielzitierte "Dialog", für den sich das WEF gerne rühmt, ist nicht zuletzt aufgrund dieser Ereignisse arg in Misskredit geraten. Die WEF-Verantwortlichen stehen in einem Legitimationsnotstand. Als ob die herkömmlichen Kommunikationskanäle nichts mehr taugten, schaltete das WEF vergangene Woche in verschiedenen Schweizer Tageszeitungen ganzseitige Inserate. Darin wurde auf die 30jährigen Bemühungen der Stiftung für eine "bessere Welt" hingewiesen.
Mit der Kommunikation scheint das WEF eh so seine Probleme zu haben. Am vergangenen Samstag war zu vernehmen, dass sich da in Zukunft einiges bessern müsse. Tatsächlich ließ sich etwa beobachten, wie WEF und Sicherheitskräfte aneinander vorbei kommunizierten. Auf die Frage der Verhältnismäßigkeit des Sicherheitsaufwands angesprochen, ließen die WEF-Verantwortlichen stets verlauten, dies zu beurteilen sei nicht ihre Aufgabe. Gänzlich im Bereich des Absurden anzusiedeln ist die polizeiliche Mitteilung, die Demonstranten allenfalls mit Jauche abzuspritzen. Bauern aus der Region reagierten empört und kündeten an, sich allenfalls zu weigern, den Kuhdung der Polizei zur Verfügung zu stellen.
Nicht nur die Landwirte, auch weitere Bevölkerungskreise äußern ihre Kritik am WEF - was bislang als Tabu galt, ist doch die Großveranstaltung ein entscheidender Wirtschaftsfaktor in der Region. Wer nicht direkt von den rund 2000 Forum-Teilnehmenden profitiert, beklagt sich über Ertragsausfälle, da Skitouristen trotz der schneesicheren Zeit Ende Januar ausblieben. Außerdem empfinden es manche Davoserinnen und Davoser als Zumutung, während rund einer Woche quasi in einem Hochsicherheitstrakt zu wohnen. Selbst von den Teilnehmern des Forums waren in diesem Jahr ungewohnt kritische Töne zu hören. UNO-Generalsekretär Kofi Annan machte etwa deutlich, dass die Globalisierung, solange sie sich nur an der Profitmaximierung orientiere, nur Verlierer kenne.
Die globalisierungskritischen Proteste gegen das WEF erweisen sich vor diesem Hintergrund als Katalysator von Widersprüchen, die irgendwann aufbrechen mussten. Ob das WEF 2002 erneut in Davos stattfinden wird, hängt unter anderem davon ab, wie die regionalen WEF-Gipfel - so zum Beispiel bereits Ende Februar in Cancun/Mexiko - über die Bühne gehen. Die Proteste gegen das WEF-Treffen in Melbourne im vergangenen September haben gezeigt, dass eine breitere Öffentlichkeit, wie sie Proteste nun mal schafft, der auf Intimität bedachten Institution nicht förderlich sind. Forum-Gründer Klaus Schwab reagierte damals sehr ungehalten und bezeichnete die Globalisierungsgegner als Teil der "unzivilisierten Gesellschaft".
Ausführliche "Kriegsberichterstattung" findet sich bei Indymedia-Davos. Weitere Berichterstattung der Anti-WTO-Koordination