Weniger Fleisch dank Ernährungsstrategie: Plant Özdemir den "Umbau der Gesellschaft"?

Umwelt- und Verbraucherorganisationen gehen die Eckpunkte nicht weit genug. Und ihnen geht es nicht "nur" um das Tierwohl. Symbolbild: Stefan Müller (climate) / CC-BY-2.0

Agrarminister will Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bis 2030 zum Standard für Kantinen machen. "PR-Gag" und "leere Worte", sagt Foodwatch. Den "Umbau der Gesellschaft" fürchtet derweil die CDU.

Was sonst keiner so richtig gut findet, halten Politiker etablierter Parteien oft für einen brillanten Kompromiss. Insofern kann sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gerade bestätigt fühlen.

Der große Wurf ist seine Ernährungsstrategie, deren Eckpunkte am Mittwoch im Kabinett beschlossen wurden, nach Meinung von Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen nicht. Den Unionsparteien geht sie hingegen viel zu weit. Nach Meinung von deren Fraktionsvize Steffen Bilger (CDU) "überfrachtet" Özdemir das Vorhaben – dem Grünen-Politiker sei wohl sein Ministerium zu klein, mutmaßte Bilger am Mittwoch.

Die Ernährungsfrage taugt aber nicht als Schalthebel zum Umbau der Gesellschaft, wie ihn die Grünen sich vorstellen.


Steffen Bilger (CDU)

Tatsächlich hatte Özdemir von einem "Hebel" gesprochen – aber nicht für den Umbau der Gesellschaft. Als "Hebel" für eine gesunde Ernährung sollten seiner Meinung nach Einrichtungen wie Schule, Kita und Betriebe genutzt werden. Konkret sollen die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) bis 2030 zum Standard in der Gemeinschaftsverpflegung gemacht werden. Eine Revolution oder gar ein Schritt in Richtung Ökodiktatur ist das eindeutig nicht.

Was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt

Die vor allem gesundheitsorientierten Empfehlungen der DGE, die "schon" in acht Jahren Standard in besagten Einrichtungen sein sollen – nicht etwa in Restaurants, Privathaushalten oder Supermärkten – beinhalten durchaus auch tierische Produkte. Sie beinhalten nur etwas weniger Fleisch, als Deutsche im Durchschnitt der letzten Jahre verzehrt haben.

Während Milchprodukte und Fisch ausdrücklich empfohlen werden, heißt es dort: "Wenn Sie Fleisch essen, dann nicht mehr als 300 bis 600 Gramm pro Woche." Im vergangenen Jahr lag der Pro-Kopf-Konsum in Deutschland noch bei etwas mehr als einem Kilo Fleisch pro Woche. Allerdings ist er in den letzten Jahren gesunken. Die Fleischskandale des ersten Corona-Jahres 2020 könnten einigen den Appetit verdorben haben.

Möglich ist ein Fleischkonsum auf dem bisherigen Niveau nur durch Massentierhaltung inklusive Einsatz von Antibiotika, der immer wieder zur Bildung von resistenten Keimen führt.

In vielen Mensen und Kantinen könnte nun laut Ernährungsstrategie der pflanzenbasierte Anteil des Angebots zunehmen – ohne dass Fleisch und Wurst ganz vom Speiseplan verschwinden. Ansonsten: weniger Zucker, weniger Fett. Außerdem sollen mehr regionale Lebensmittel angeboten werden.

Allerdings gibt es schon jetzt Betriebskantinen, die ganz ohne gesetzgeberischen Druck kein Fleisch mehr anbieten – etwa beim Volkswagen-Konzern, denn irgendwie will ja auch die Autoindustrie ein bisschen klimafreundlich sein.

Özdemir sah sich angesichts erwartbarer Reaktionen genötigt, zu versichern, er wolle den Leuten nicht vorschreiben, was sie essen sollen. Was für die Konservativen schon ein "Umbau der Gesellschaft" ist, wird von Umwelt- und Verbraucherorganisationen eher als Papiertiger betrachtet.

"Die gesunde Wahl muss endlich die leichte Wahl werden"

Foodwatch kritisiert, Özdemirs Strategie enthalte nur "leere Worte statt wirksamen Maßnahmen", die der "Fehlernährung insbesondere bei Kindern" entgegenwirken könnten.

Dass Cem Özdemir für die Gemeinschaftsverpflegung die Qualitätsstandards der DGE verpflichtend machen will, ist ein PR-Gag. Für die Abstimmung mit den Bundesländern will er sich bis 2030 Zeit lassen. Bis dahin stirbt dieser Plan im deutschen Föderalismus einen langsamen Tod.


Foodwatch e. V.

Stattdessen könne die Bundesregierung schon jetzt Maßnahmen wie die Streichung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse umsetzen, "damit sich gesunde Ernährung alle leisten können". Im Gegenzug sollten Hersteller von überzuckerten Getränken eine Abgabe zahlen, schlägt Foodwatch vor.

Die gesunde Wahl muss endlich die leichte Wahl werden. Derzeit essen Kinder etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Mit fatalen Folgen für das spätere Leben: Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.


Foodwatch e. V.

Einen Fortschritt sieht die Organisation allerdings in Özdemirs Eckpunkten, sofern diese Regelung konsequent umgesetzt wird: TV- und Radiosender sowie Streamingdienste sollten zwischen 6 und 23 Uhr nur noch gesunde Lebensmittel bewerben dürfen, damit Kinder seltener Werbung für Süßigkeiten und zuckerhaltige Getränke ausgesetzt sind.