"Wenigstens erhobenen Hauptes untergehen"
Griechenlands viertgrößte Tageszeitung macht den Laden dicht
„Die Mediengrippe“ titelte die „Alternative Presse“ (Enallaktikos Typos) am Samstag. Die in einer Auflage von 33.000 Stück gedruckte Wochenzeitung wird von etwa 40 Journalisten gemacht, die zusammen mit weiteren 410 bei der Zeitung „Freie Presse“ und dem Radiosender „City 99,5FM“ Arbeitenden seit dem 21. Juni auf der Straße sitzen.
„Ich war im Auto unterwegs in die Redaktion“, berichtet F.P. Redakteurin Maritina Zaferiadou, „als im Radio die Schließung von Zeitung und Radiosender bekannt gegeben wurden“. Dass die Medien Schulden aufgehäuft hatten, war den dort Schaffenden bekannt gewesen. Über die Pläne, den Laden einfach dichtzumachen, war dagegen niemand informiert worden.
Die Freie Presse (Eleftheros Typos) ist nicht irgendeine Zeitung. In den 80ern als Sympathieblatt der heute regierenden Nea Dimokratia gegründet wurde sie 2006 von Gianna Angelopoulou, vormals Chefin des griechischen Komitees für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2004 in Athen, aufgekauft. Die Gattin von Theodoros Angelopoulos, einer der reichsten Unternehmer des Landes, hatte mit der Übernahme der regierungsnahen viertgrößten Tageszeitung sicherlich auch die Förderung ihrer politischen Ambitionen im Sinn. In der Presse wurde berichtet, die ehemalige Abgeordnete der Nea Dimokratia hätte sich nach den Olympischen Spielen sogar Hoffnung auf das Amt der Republikpräsidentin gemacht.
Für das Flagschiff der Regierungspresse war der Unternehmergattin zunächst nichts zu teuer. Fünf hochbezahlte Direktoren heuerte und feuerte die neue Chefin nacheinander. Die zu den bescheidenen Tariflöhnen angestellten Redakteure berichten zusätzlich von einer ganzen Reihe kommender und gehender Starjournalisten mit fünfstelligen Monatsgehältern. Mit Hilfe der spanischen Beraterfirma Innovation wurde dem Blatt ein völlig neues Outfit verpasst. Die Konzentration auf Bilder und grafische Elemente im Zusammenspiel mit einem immer beliebiger werdenden Inhalt führte jedoch nicht zu dem erhofften Ergebnis. Anstatt die zur Zielgruppe auserkorenen 20- bis 40-Jährigen zu gewinnen, gingen mehr und mehr Stammleser verloren. Von über 36.000 Stück verkaufter Auflage in 2006 waren Anfang 2009 noch knapp 28.000 übrig. Ein Trend, der allerdings auch der allgemeinen Krise, nicht nur der griechischen Presse geschuldet ist.
Anfang 2009 waren aus den drei Millionen Euro Schulden bei der Übernahme stolze 70 Millionen geworden. Gleichzeitig hatte der Stahlmogul und Reeder Theodoros Angelopoulos im Zuge der Wirtschaftskrise und durch einige Fehlinvestitionen weitere Millionen seines an die Milliardengrenze reichenden Vermögens verloren. Anstatt aber nach einem Käufer zu suchen oder zumindest, wie vom griechischen Gesetz vorgesehen, in Auflösungsverhandlungen mit der Belegschaft zu treten, wurde dieser per Email am 21. Juni die Schließung des zu teuer gewordenen Pressespielzeugs verkündet. Nur, dass Zeitung und Radio für die dort Arbeitenden – darunter eine ganze Reihe nun gleichzeitig arbeitslos gewordener Ehepartner – kein Spielzeug, sondern Existenzgrundlage war.
Als Reaktion auf die Schließung trat die gesamte Presse des Landes zwei Tage später in einen Streik. Einen Tag lang gab es keine Nachrichten in Funk und Fernsehen, erschien keine der etwa 20 Tageszeitungen mit Ausnahme einer, die es noch vor Ausrufung des Streiks in die Druckerei geschafft hatte. Solidarisch mit den Entlassenen erinnerten die Streikenden die Eigentümerin an die von ihr selbst eingestandene Verantwortung bei der Übernahme. „Wir wenden uns dem sensiblen Bereich der Presse mit Verantwortungsgefühl und im Bewusstsein seiner Bedeutung zu“, hatte Angelopoulou in ihrer Erklärung zum Erwerb der Medienunternehmen konstatiert.
Noch am gleichen Tag übernahmen die nunmehr arbeitslosen Rundfunkredakteure den Sender in Eigenregie. Ihre Kollegen von der Presse führten die Zeitung derweil als Blog im Netz weiter. Am 1. Juli erschien zusätzlich eine achtseitig erste Ausgabe der „Alternativen Presse“. Mit dem Projekt solidarisch erklärt hatten sich die große linksliberale Tageszeitung Eleftherotypia und die Tageszeitung der im Parlament vertretenen SYRIZA. Sie verteilten die „Alternative Presse“ unter Übernahme der Kosten als Beilage in ihrer Samstagsausgabe. Zehn Tage später erschien eine weitere Ausgabe der „Alternativen Presse“ dann bereits mit doppelter Seitenzahl als eigenständige Zeitung an den Zeitungskiosken. Die Druckkosten waren von der Gewerkschaft übernommen worden.
Unter dem Druck der Belegschaftsaktionen und der damit verbunden öffentlichen Aufmerksamkeit – Radio City erzielte höhere Einschaltquoten als je zuvor und von der Alternativen Presse waren bereits im ersten Anlauf 10.000 Stück verkauft worden – zeigte sich die Ex-Chefin verhandlungsbereit. Zumal die Belegschaft sich inzwischen von einem Arbeitsrechtler die Unzulässigkeit der Betriebsschließung ohne Verhandlungen hatte bestätigen lassen. „Die Waffen waren trotzdem ungleich verteilt“, meint Maritina Zaferiadou. „Gianna Angelopoulou kann ein komplettes internationales Anwaltsbüro für sich arbeiteten lassen.“ Überdies wurde die Belieferung der zentralen Kioske der Innenstadt mit der nächsten Ausgabe der „Alternativen Presse“ am folgenden Samstag verhindert. Trotzdem wurden immerhin 5000 Stück verkauft.
Mitte Juli kommt es zu einer Einigung. Über die gesetzliche Abfindung hinaus bietet Angelopoulou weitere 2 Millionen, das entspricht etwa 5250 Euro pro Entlassenem. Und verspricht, falls sich ein Käufer für den Titel finden ließe, den Kaufpreis ebenfalls unter der Belegschaft aufzuteilen. Ein innerhalb der Belegschaft diskutierter Gegenvorschlag, stattdessen gleich den Titel als Redaktionskollektiv zu übernehmen, konnte sich nicht durchsetzen. Die wenigsten können das Risiko eingehen, unter Umständen monatelang unbezahlt weiterzumachen, bis die Zeitung wieder gewinnbringend am Markt etabliert ist.
Auch im Radiosender ist der anfängliche Enthusiasmus schnell verflogen. Die Verhandlungen um eine Übernahme der Sendelizenz durch die Redakteure sind gescheitert. Stattdessen bietet ein neuer Investor drei Monatlöhne Abfindung zusätzlich für alle, die freiwillig gehen. Die anderen könnten sich ja bei Wiederaufnahme des Sendebetriebes um eine Stelle bewerben. Die Verhandlungen hier sind noch nicht abgeschlossen.
Etwa 40 Leute arbeiten derzeit trotz Einigung über die Abfindungen weiter an der Herausgabe der „Alternativen Presse“. Eine von ihnen ist Maritina Zaferiadou. „Wir wollen, dass das Thema aktuell bleibt.“ Maritina ist überzeugt davon, dass Angelopoulo längst einen Interessenten für die Übernahme der Zeitung gefunden hat. „Warum sonst sollte sie es so eilig haben, uns aus den Redaktionsräumen rauszubekommen? Auf der Gehaltsliste stehen wir eh noch bis zum 31.8.“ Den Machern ist wichtig, dass die Zeitung nicht endgültig geschlossen wird, die Arbeitsplätze nicht unwiederbringlich verloren gehen. Und wenn der neue Eigentümer nicht die alte Belegschaft übernimmt, will man wenigstens „erhobenen Hauptes untergegangen sein“.