Wenn Autos zu Waffen werden
Untergraben Auto-Anschläge das Vertrauen in die anderen Verkehrsteilnehmer und den Aufenthalt im öffentlichen Raum?
In Barcelona rasten Terroristen mit einem Lieferwagen in eine Menschenmenge, sie wollten wie in Nizza, London oder Berlin möglichst viele Menschen töten und verletzen. Völlig egal war es den Attentätern, wer zum Opfer wird, das ist dem Zufall überlassen. Die pure Zahl ist für die islamistischen Nihilisten ausschlaggebend. Mit einem PKW versuchten in der Nacht weitere 5 Terroristen in Cambrils, bewaffnet mit Messern und ausgerüstet mit Sprengstoffwesten-Attrappen, ein ähnliches Massaker unter Touristen an der Uferstraße zu begehen. Bevor sie gestellt und getötet wurden, verletzten sie sechs Menschen.
Der Terror ist damit wieder in Europa zurückgekehrt, der in Syrien und im Irak untergehende Islamische Staat hat schon lange Anhänger zu solchen Anschlägen mit Fahrzeugen und allen vorhandenen Mitteln gegen die Menschen in Europa aufgerufen. Es reicht irgendein Bekenntnis zum IS öffentlich etwa auf einem Video oder anderweitig zu äußern, um zu einem "Soldaten" des IS zu werden, der das Töten von Andersgläubigen propagiert und massenhaft exekutiert.
Die Richtung wurde von den 9/11-Attentätern vorgegeben, die Passagiermaschinen zur Terrorwaffe umfunktionierten und in einen WTC-Büroturm rasen ließen. Das war noch symbolisch, zudem wurde auch noch das Pentagon zum Ziel. Jetzt kann jeder überall zum Opfer werden, besonders an den Orten, an denen sich viele Menschen aufhalten, wo sie ausgehen oder die sie touristisch besuchen, aber im Prinzip kann irgendein vom Terrorismus-Mem infizierter Zombie, der mit seinem Leben nichts anzufangen weiß, auf der Suche nach dem finalen Abenteuer ist und anderen das Leben mit dem Streben nach Glück nicht gönnt, überall zuschlagen. Tötet sie überall, wo ihr sie findet, ist die Losung.
Den Krieg und die Vernichtung in die Städte zu holen, ist allerdings keine alleine islamistische Strategie. Auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs schrieben Rainer Langhans und Fritz Teufel von der Kommune I nach einem Kaufhausbrand in Brüssel, bei dem über 300 Menschen verbrannten: "Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen." In der Folge wurden Brandsätze in zwei Kaufhäuser in Frankfurt von Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein gezündet.
Wie bei jedem Terroranschlag entsteht auch jetzt wieder die Frage, ob nun der Aufenthalt im öffentlichen Raum zunehmend als Sicherheitsrisiko angesehen wird und Orte, an denen sich viele Menschen aufhalten, gemieden werden. Man darf davon ausgehen, dass dies nicht geschehen wird. Nach einem kurzen Innehalten wird das Leben zurückkehren und werden die Menschen den öffentlichen Raum wieder wie zuvor nutzen. In der New York Times gibt allerdings Amanda Taub in einem Artikel zu bedenken, dass die Auto-Anschläge das Vertrauen in das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer untergraben könnte: "Es schien ein weiterer Schlag auf das Vertrauen in einem grundlegenden sozialen Zusammenhang zu sein: dass Menschen wesentlich sicher sind, wenn sie auf einer Straße gehen und den Fahrern zumindest insoweit vertrauen, dass sie die Verkehrsregeln beachten. Dass Unfälle unpersönlich und zufällig sind, und dass jeder versuchen wird, sie zu vermeiden."
Tatsächlich kommen bislang Anschläge mit Fahrzeugen ziemlich selten vor. Die Opferzahlen sind, distanziert und im Vergleich mit der Gesamtzahl der Verkehrstoten, gering. Aber sie erhalten eine wesentlich höhere Aufmerksamkeit und werden von den Medien ausgebreitet, weil hier nicht der Zufall, Nach- oder Fahrlässigkeit, Unaufmerksamkeit, zu schnelles Fahren, Drogen oder Alkohol eine Rolle spielen, sondern die Absicht eines Menschen, der sich entschieden hat, zum Mörder zu werden. Als Folge werden mitunter schnell vermeintliche Konsequenzen gezogen, um weitere Vorfälle zu verhindern.
"Unser Bewusstsein von der allgegenwärtigen Gefahr durch gewöhnliche Dinge"
In den USA sterben jedes Jahr Zehntausende bei Verkehrsunfällen, Hunderttausende werden zum Teil schwer verletzt und für ihr weiteres Leben behindert. In Deutschland wurden bei Verkehrsunfällen 2016 3214 Menschen getötet und 396.700 verletzt. Insgesamt gab es 2,6 Millionen Verkehrsunfälle. Kaum jemand wird wegen diesen Zahlen vermeiden, sich in ein Fahrzeug zu setzen und, abgesehen von kurzen Momenten des Zweifels, jederzeit damit rechnen, als Fußgänger, Radfahrer oder Autofahrer von einem anderen Fahrer eines PKW oder LKW aus welchen Gründen auch immer angefahren zu werden. Man könnte auch damit rechnen, dass Menschen im Verkehr mutwillig ihr und das Leben anderer aufs Spiel setzen oder gar erweiterten Selbstmord begehen.
Vielleicht rüstet man sein eigenes Fahrzeug auf und kauft sich beispielsweise einen SUV, um sicherer zu sein, auf der Kehrseite bedroht man dann Menschen in kleineren, weniger massiven Autos. Anders als bei Terroranschlägen werden bei "normalen" Verkehrstoten meist nicht schnell Konsequenzen gezogen, um das Fahren sicherer zu machen. In Deutschland will man nicht einmal eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen umsetzen, was letztlich heißt, dass man die Toten und Verletzten mutwillig in Kauf nimmt, die durch zu schnelles Fahren verursacht werden.
Haben wir im Straßenverkehr wirklich Vertrauen, gehen wir davon aus, dass die Mitmenschen nicht böswillig sind und sich so vorsichtig wie möglich verhalten, zumal wenn sie ein Fahrzeug steuern, das immer eine gefährliche Waffe sein kann? Vermutlich nicht, wir verdrängen den Gedanken nur, gehen in der Regel davon aus, dass es uns schon nicht erwischen wird, und nehmen ansonsten die Gefahr hin, weil wir sie abstrakt empfinden, da sie nicht so personalisiert ist wie bei Terroranschlägen, die von einer bestimmten Gruppe von Menschen und nicht von einem Querschnitt aller Verkehrsteilnehmer wie bei Unfällen begangen werden. Das von den Terroristen propagierte Raster "Wir gegen die Anderen" verbreitet sich als Reaktion in der Gesellschaft und vertieft das Misstrauen gegen bestimmte Menschengruppen, jetzt gegen Muslime und arabische Menschen.
Die Frage wird sein, ob sich auch die "mentale Geografie des städtischen Lebens" verändern wird, wie Amanda Taub meint: "Wenn die Städte unvermeidlich mehr Barrieren errichten, um das geringe Risiko eines weiteren Anschlags abzuwehren, verstärkt sich nur unser Bewusstsein von der allgegenwärtigen Gefahr durch gewöhnliche Dinge." Auch hier wird man davon ausgehen können, dass nach einer kurzen Übergangsphase die neuen Sicherheitsvorkehrungen wie Gepäckkontrollen, bewaffnete Sicherheitskräfte, Überwachungskameras etc. wieder für die Menschen, die nicht unmittelbar Zeugen oder gar Opfer wurden, zur Normalität und damit ausgeblendet werden.