Wenn Corona-Hilfen zurückverlangt werden, bevor Geld verdient werden kann

Wie Carl Spitzwegs "Armer Poet" von 1839 mussten sich in den letzten beiden Jahren vor allem Theaterleute und Musiker fühlen. Quelle: Bayerische Staatsgemäldesammlungen München

Hilfsprogramme für Künstler laufen in der Pandemie ins Leere, zugleich werden viele zu Rückzahlungen aufgefordert. Ver.di fordert kulante Regelungen, Betroffene vermissen Empathie

Die Kultur- und Kreativbranche hatte in den beiden zurückliegenden Jahren unter der Pandemie besonders zu leiden. Vielen Künstlern brach ihre Existenzgrundlage förmlich weg. Die Branche werde existenziell ruiniert, sagte die Sängerin Julia Neigel kürzlich in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Den Kulturschaffenden werde keine Perspektive geboten oder ein angemessener wirtschaftlicher Ausgleich zugesichert – und das sorge für Frust.

Neigel beklagte, dass Menschen, die in dem einen Augenblick noch Aufträge und einen vollen Terminkalender hatten, plötzlich nicht mehr arbeiten durften und keine Unterstützung bekamen. "Die Gleichgültigkeit, die uns dabei politisch entgegenschlug, war unerträglich und unmenschlich", gab sie zu bedenken. Bis Dezember 2020 habe es in zwölf Bundesländern für viele Künstler kaum oder gar keine Zuschüsse gegeben. Es sei Musikern empfohlen worden, die Instrumente zu verkaufen oder sich in Hartz IV einzugliedern.

Einige Künstler hatten die staatlichen Corona-Hilfen in Anspruch genommen und sehen sich jetzt – wie viele andere Selbständige auch – damit konfrontiert, diese Gelder zurückzahlen zu müssen. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di warnt deshalb, dass für tausende Selbständige in der Branche die wirtschaftliche Existenz in Gefahr sei; noch einmal mehr als ohnehin schon.

"Viele bekommen jetzt mitten in der Krise Rückzahlungsaufforderungen, obwohl sie noch gar kein Geld dafür verdienen konnten", kritisiert Christoph Schmitz, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes und dort für Kultur und Medien verantwortlich. Und viele Kulturschaffende seien dem gleichen Irrtum erlegen wie andere Selbständige: Sie glaubten, auch Mittel zum Lebensunterhalt und nicht nur zur Begleichung der Fixkosten beantragt zu haben.

"Für manche in Politik und Verwaltungen scheint nicht klar zu sein, dass Lebenshaltungskosten zu den notwendigen Betriebsmitteln der selbstständigen Kulturschaffenden gehören", so Schmitz. Anja Bossen, Ver.di-Beauftrage für Kunst und Kultur, hob die "brenzlige Situation" hervor, in der sich viele selbständigen Künstler befinden: Bei ihnen seien zumeist alle Rücklagen aufgebraucht.

"Die Abrechnungsaufforderungen kommen mitten in der Krise", sagte sie, und die berufliche Perspektive sei auch für dieses Jahr ungewiss. Auch sie sprach davon, dass der Frust in der Branche groß sei, denn einerseits würden "Milliardenbeträge an große Konzerne gezahlt", während "andererseits Beträge im vierstelligen Bereich von Menschen zurückgefordert werden, die dieses Geld längst für ihre Lebenshaltungskosten – oder besser gesagt fürs Überleben – ausgegeben haben und finanziell am Limit sind".

Keine Länder-Einigung auf Teilverzicht

Angesichts der angespannten Lage für viele Betroffene, fordert die Gewerkschaft kulante Regelungen, Stundungen und Ratenzahlungen. "Leider konnten sich die Länder nicht auf den einheitlichen Verzicht eines Teils der Unterstützung einigen", beklagte Schmitz. Deshalb solle man es den Künstlern wenigstens ermöglichen, die fälligen Beträge erst nach Ende der Pandemie zahlen zu müssen oder individuell angemessene Raten zu entrichten.

Julia Neigel zeigte sich im Interview nicht sonderlich optimistisch. Sie berichtete, wie sie in den Kulturausschuss im Bundestag eingeladen wurde, um über die Lage der Künstler zu berichten – und über die zahlreichen Selbstmorde von Künstlern. Allein in ihrer Region hätten sich zwölf Menschen aus der Branche das Leben genommen. Doch die Politiker konnten sich wohl nicht in die Lage der Künstler hineinversetzen.

"Einige Verantwortliche, die jeden Monat eine üppige Diät erhalten, können sich scheinbar nicht vorstellen, wie Menschen ohne Einnahmen ein dreiviertel Jahr überleben sollen", sagte Neigel. Bei den Politikern habe sie Empathie und Menschlichkeit vermisst.

Langer Vorlauf für Konzerte erfordert Planungssicherheit

Sie plädiert dafür, dass künstlerische Arbeit, das Organisieren eines Konzerts oder einer ganzen Tournee nicht mit einem Ladengeschäft verglichen wird, "das an dem einen Tag die Tür zumacht und an dem anderen wieder öffnet". Künstler bräuchten Planungssicherheit, denn der Vorlauf für Konzerte betrage über ein Jahr. Und diese fehle seit März 2020 und die Auswirkungen spüre man noch mindestens für die nächsten zwei Jahre.

Dass man in den Amtsstuben nicht um die Probleme der Künstler weiß, darauf wies auch kürzlich die kulturpolitische Sprecherin der Linken im Landtag von Brandenburg, Isabelle Vandre, hin. Sie hatte sich mit einer kleinen Anfrage bei der Landesregierung zu den Modellprojekten bei Open-Air-Veranstaltungen in der Pandemie erkundigt. In ihrer Antwort klopfte sich die Landesregierung selbst auf die Schulter und sprach von adäquaten und passgenauen Hilfsprogrammen.

Für Vandre ist unverständlich, wie das Brandenburger Wirtschaftsministerium davon reden kann. Denn die Brandenburger Festivalbranche hat die staatlichen Gelder in Teilen gar nicht in Anspruch genommen und das, obwohl ihre finanzielle Lage angespannt sei.

Vandre warf der Landesregierung eine ähnliche Realitätsverweigerung vor, "wie wir sie gerade bei den Rückzahlungs-Aufforderungen an Soloselbständige erleben – zu denen ja auch viele Kulturschaffende zählen". Dass von dem 2,5 Milliarden Euro umfassenden Programms "Neustart Kultur" gerade einmal 44 Millionen Euro beantragt wurden, zeuge von strukturellen Problemen des Programms.

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