Wenn Symbolpolitik zum Politikersatz wird
... nicht nur in der Coronabekämpfung - Im Kampf gegen rechts verbietet man eine Fahne wegen Provokation. Ein rechtsradikaler Abgeordneter wird wegen rechter Zahlenmystik verurteilt
Richtig zufrieden dürfte niemand sein über die heutige Entscheidung des Berliner Verwaltungsgericht, der die Corona-Sperrstunde in Berlin aufgehoben hat. Vordergründig haben die Betreiber von Kneipen und Spätis Erfolg gehabt, weil sie wieder länger öffnen können. Zur Begründung heißt es in der Pressemitteilung:
Nach Auffassung des Gerichts verfolgt die Maßnahme zwar das legitime Ziel, die Ausbreitungsgeschwindigkeit der übertragbaren Krankheit COVID-19 innerhalb der Bevölkerung zu verringern und damit eine Überlastung des öffentlichen Gesundheitssystems zu vermeiden. Zur Erreichung dieses Ziels sei eine Sperrstunde auch möglicherweise geeignet. Bei summarischer Prüfung sei aber nicht ersichtlich, dass die Maßnahme für eine nennenswerte Bekämpfung des Infektionsgeschehens erforderlich sei.
Nach den vom Robert Koch-Institut veröffentlichten Daten hätten Gaststätten unter den bislang geltenden Schutz- und Hygienemaßnahmen keinen derart wesentlichen Anteil am Infektionsgeschehen gehabt, dass wegen der nunmehr zu verzeichnenden starken Zunahme von Neuinfektionen eine Sperrstunde als weitere Maßnahme erforderlich sei.
Pressemitteilung Berliner Verwaltungsgericht zur Suspendierung der Corona-Sperrstunde in Berlin
Doch ob die Kläger damit zufrieden sein können, ist offen. Denn das Gericht erklärte auch:
"Der Antragsgegner habe bereits mildere Mittel in Form von vielfältigen Schutz- und Hygienemaßnahmen und nunmehr auch eines Alkoholausschankverbots ergriffen, die für die Bekämpfung des von Gaststätten ausgehenden Infektionsrisikos bei einer prioritär gebotenen konsequenten Durchsetzung dieser Maßnahmen in gleicher Weise geeignet schienen."
Nun besteht gerade in den Abendstunden der größte Umsatz in den Restaurants im Alkoholverkauf. Ist es vorstellbar, dass das Berliner Nachtleben sich künftig bei Tee und Wasser vergnügt? Viele Restaurantbetreiber werden sich überlegen, ob sie nicht mehr Unkosten als Einnahmen haben, wenn der Alkoholverkauf am späteren Abend nicht erlaubt ist. Auch ist ja nicht erwiesen, dass das Infektionsgeschehen durch den Ausschank von Alkohol wächst.
Sehr unterschiedliche juristische Entscheidungen gab es in den letzten Tagen auch in Sachen Beherbergungsverbote. Die wurden von Gerichten in Bayern und Baden-Württemberg auch mit der Begründung gekippt, dass eben keinen wissenschaftlichen Nachweis gäbe, dass das Infektionsgeschehen durch Reisen wesentlich beeinflusst wurde. Das wurde vom Robert Koch Institut kürzlich noch einmal bestätigt.
Jedoch hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein das dort geltende Einreiseverbot mit der Begründung bestätigt, das Recht einer Familie, ihren geplanten Urlaub auf Sylt anzutreten, müsse gegenüber dem Gesundheitsschutz zurücktreten.
Die Wissenschaft und ihre Interpretation
Daraus lernen wir zweierlei. Genau wie die Politik, die unterschiedliche, sich teilweise widersprechende Erlasse in der Corona-Krise verabschiedete, hat die Justiz hier nicht die Rolle eines Korrektivs, sondern fällt genauso sich teilweise widersprechende Urteile. Zudem kommen wir da mit dem Argument der strikten Wissenschaftlichkeit nicht weit.
Sowohl die Gerichte, die Beherbergungsverbote aufheben als auch die, die sie bestätigen, berufen sich auf das Robert Koch Institut. Sie interpretieren dessen Erkenntnisse eben unterschiedlich. Wenn sowohl in der Corona- als in der Umweltdebatte immer darauf beharrt wird, man müsse sich an der Wissenschaft orientieren, wird oft ausgeblendet, dass es die reine Wissenschaft nicht gibt. Es geht immer um deren Interpretation.
Insofern sollte man eigentlich die unterschiedlichen politischen und juristischen Entscheidungen begrüßen als Zeichen, dass es ein Durchregieren im Namen der Wissenschaft nicht gibt. Das wäre dann auch autoritäre Staatlichkeit, die dann die Wissenschaft zur Legitimationsgrundlage nimmt. Dafür gibt es eine klare Bezeichnung: Herrschaft der Technokratie.
Nun spiegelt sich in diesen Urteilen allerdings auch die aktuelle gesellschaftliche Debatte wider. So muss man die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten sehen, ob Partys und Feiern in Zeiten von Corona noch angemessen und statthaft sind.
Hätte das Gericht nicht nur die Sperrstunde, sondern auch das Verbot des Alkoholausschanks gekippt, wäre sofort der Vorwurf gekommen, es würde damit zur Entsolidarisierung von Risikogruppen beitragen. So hat es einen Beschluss gefasst, der eigentlich keine Seite richtig zufriedenstellt. Man kann auch von Symbolpolitik sprechen, die sowohl von politischen als auch von juristischen Entscheidungen ausgeht. Dass betrifft nicht nur die Coronapolitik.
Wie mit einer Reichskriegsfahne und ihren Verbot Symbolpolitik gemacht wird
Auf allgemeine Zustimmung ist das Verbot der Reichskriegsfahnen gestoßen, das zunächst in Bremen und dann auch in anderen Bundesländern verhängt wurde. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Kretschmann regt gleich ein bundesweites Verbot dieses Symbols eines besonderen regressiven Deutschtums an.
Der juristische Kommentator der taz, Christian Rath, war einer der wenigen, der das Flaggenverbot einer gründlichen juristischen und politischen Analyse unterzogen hat. Er kommt zum Fazit, es sei Symbolpolitik auf juristisch schwacher Grundlage. Zunächst weist er darauf hin, dass es historisch falsch ist, Reichskriegsfahne und Nazifahne gleichzusetzen.
Das Zeigen der Reichskriegsflagge, die im Dritten Reich ab 1935 benutzt wurde, ist schon lange strafbar, da in ihrer Mitte ein Hakenkreuz prangt. Bei den derzeitigen Verboten geht es ausschließlich um die Vorläufer ab 1867: die Kriegsflaggen des Norddeutschen Bunds, des Kaiserreichs und der demokratischen Weimarer Republik. Die Fahnen sollen verboten werden, weil sie von Rechtsextremisten als Symbol benutzt werden.
Christian Rath, taz
Polemisch fragt Rath nun, ob man demnächst auch Hawaiihemden verbieten wird, weil sie von Rechten in den USA gerne getragen werden. Hier kippt allerdings Raths Argumentation ins Beliebige. Es ist natürlich kein Zufall, welches Symbol von wem verwendet werden. Die Ultrarechen verwenden die Fahne eines besonders reaktionären Deutschnationalismus, der eben nicht nur von den Nazis, sondern auch von konservativen Kräften bedient wurde und wird, auf den sich auch die sogenannte Mitte der Gesellschaft gerne berufen würde.
Darin liegt auch der Grund, warum die Reichskriegsfahne mit der Nazifahne gleichgestellt wird. Man will damit andere konservative und nationalistische Gruppen entnazifizieren. Der historisch korrekte Hinweis, dass die Reichskriegsfahne nicht mit der Nazifahne gleichzusetzen ist, sollte dazu verwendet werden, deutlich zu machen, dass es keinen harmlosen Nationalismus gibt, den man einfach entnazifizieren kann, schon gar nicht in Deutschland.
Wenn Faschismus zu grob ungehörigen Verhalten und Provokation verharmlost wird
Interessanter ist Raths Kritik Verbotsbegründung. So wird im Bremer Erlass das Zeigen der Reichskriegsflagge als "Gefahr für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben" bezeichnet. Die Benutzung soll als "Belästigung der Allgemeinheit", als "grob ungehöriges Verhalten" geahndet werden. "Wenn die Reichskriegsflagge genutzt wird, um zu provozieren, dann ist eben Schluss", sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
Dazu der treffende Kommentar des Juristen Christian Rath:
Was provoziert und belästigt, wird verboten, so kann man wohl die Haltung der Länder zusammenfassen. Ein Grundrechtsverständnis, das die Haltungen und die Provozierbarkeit der Mehrheit zum Maßstab macht, das findet man sonst aber eher in osteuropäischen Staaten. In Deutschland würde solches Denken normalerweise auf große Empörung stoßen - wenn es nicht gerade gegen Rechtsextremisten geht.
Christian Rath, taz
Es scheint wenigen aufgestoßen zu sein, dass beim Verbotserlass der Reichskriegsflaggen faschistische Aktivitäten als Provokation bagatellisiert und auf eine Stufe mit nonkonformer Kultur gestellt wird. Während rechte Aktivitäten so verharmlost werden, ist das gleichzeitig eine Kriminalisierung von Provokationen.
Verurteilt wegen Zahlenmystik statt Rassismus
Wer von Nationalismus und Rassismus nicht reden will, spricht von Provokationen oder ungehörigen Verhalten oder verurteilt einen erwiesenen Rechtsextremisten, wie den Parlamentsabgeordneten Marian Kotleba in der Slowakei zu einer Haftstrafe von vier Jahren und vier Monaten, weil er zum Jahrestag der Gründung des von Hitler-Deutschland abhängigen slowakischen Marionettenstaates am 14. März 1939 im Jahr 2017 Spendenschecks mit der symbolischen Summe von 1.488 Euro an bedürftige Familien verteilt hat.
Die Zahlenkombination, meist 14/88 geschrieben, gehört zu den einschlägigen Neonazi-Codes. Doch es ist eben auch eine Zahlenfolge. Es ist eher unwahrscheinlich, dass eine Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen rechter Zahlenmystik bei höheren Instanzen oder vor einem EU-Gericht bestand hat.
Damit gibt man nur einen Neonazi Gelegenheit, sich als Opfer der Justiz zu präsentieren. Hätte man ihn wegen seines vor allem gegen Roma und Migranten gerichteten Rassismus verurteilt, hätte man sich mit größeren Teilen der slowakischen Gesellschaft anlegen müssen.