Wenn Weltbilder aufeinanderprallen

Seite 2: Auf der Suche nach "kraftvollen Demokratie-Narrativen"

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Zum Bedauern der Stiftung "lassen sich" die "toxischen Narrative" nämlich "nicht per Gesetz verbieten oder löschen. Vorstöße wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder die Forderung einer rigoroseren Löschpolitik der Betreiber laufen hier ins Leere, weil die Narrative selten strafrechtlich relevant sind - und auch in gemäßigtem Ton ihre Wirkung entfalten."

Der hier dezent durchscheinende Wunsch, missliebige freie Meinungsäußerungen sollten am liebsten aus der Welt verschwinden, ist nachvollziehbar, aber wohl nicht unbedingt Grundgesetz-konform. Zumal moderat formulierte Gegen-Argumente bei komplexen Themen muss man in einer Demokratie tapfer ertragen.

Und zu allem Überfluss sind die toxischen Narrative auch noch "populistisch". "Populismus", sagt die Stiftung, konstruiere nämlich "Feindbilder". Er richte sich "gegen die Herausforderungen, negativen Seiten und Widersprüche sich modernisierender bzw. moderner Gesellschaften", anstatt "eine Analyse der abstrakten Vermittlungsprozesse gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse vorzunehmen". Letzteres mittels "eigener kraftvollen Erzählungen", die "sich positiv auf Gleichwertigkeit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit beziehen", und bitte ohne "Slogans" wie "Köln, Obergrenze, Kriminalität".

Schön wäre es ja gewesen, hätten die Autoren dem fantasielosen Leser gleich viele Beispiele für "Demokratie-Narrative" präsentiert. Reicht es vielleicht schon, die so genannten toxischen Narrative jeweils mit dem entgegengesetzten Vorzeichen zu bestücken? Also: "Migration stabilisiert Deutschland, und wer offen Probleme bezüglich Geflüchteter und des Islam benennt, wird nie und nimmer als Nazi beschimpft."

Gegen-Narrative, so der Eindruck der Amadeu Antonio Stiftung, gebe es "noch verhältnismäßig wenig. Umso wichtiger ist es, diese zu entwickeln, zu verbreiten und zu erzählen". Diese Einschätzung übersieht eventuell, dass der politische Diskurs gerade in den letzten Jahren von einer Reihe von Denkansätzen geprägt ist, die durchaus in die favorisierte Kategorie fallen könnten, von "Multikulturalismus ist eine Bereicherung für Europa" über "Zuwanderer retten unsere Renten und stärken die Wirtschaft" bis "Nächstenliebe kennt keine Obergrenze".

Die so genannte Aufnahmekapazität eines Landes sei nicht wirtschaftlich definiert, so der Migrationsforscher Olaf Kleist unter der Überschrift "Demagogisches Raunen in der Migrationsdebatte: Gift für den Diskurs" im Migrationspolitischen Portal der Heinrich Böll Stiftung. Wer warum aufgenommen werden solle, sei eine politische Entscheidung: "Die Ausgaben sind relativ hoch. Und? Bedeutet das, wir nehmen keine Schutzbedürftigen mehr auf? ... Soll mit einer neuen Obergrenze, die selbst die CSU nur dem Namen nach noch vertritt, der 200.001ste nach Syrien oder Libyen zurückgeschickt werden? ... In einem der reichsten Länder der Welt mit einer boomenden Wirtschaft ist das zumal eine moralische Bankrotterklärung." Die wichtigsten Aufnahmeländer gehörten teilweise zu den ärmsten der Welt, merkt Kleist an.

Geht's überhaupt ohne Populismus?

Generell wären und sind auch diese Umkehr- und Gegen-Narrative, man würde sie im gängigen politischen Spektrum wohl eher links als rechts einordnen, ziemlich verallgemeinernd. Geht's überhaupt ohne Populismus?

Laut Duden handelt es sich bei Populismus um eine "von Opportunismus [Nützlichkeitserwägungen] geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen ... zu gewinnen". Das Erfolgsrezept von Populisten, erklärt die Bundeszentrale für politische Bildung, sei "einfache Antworten auf schwierige Fragen geben ... Populismus ... zeichnet sich aus durch Anti-Elitarismus, Anti-Intellektualismus, Antipolitik, Institutionenfeindlichkeit sowie Moralisierung, Polarisierung und Personalisierung der Politik."

Das heißt: Populismus ist kein geschlossenes Theoriegebäude wie Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, sondern unspezifisch. "Einfache Antworten" wiederum sind nicht an eine bestimmte politische Einstellung, einen Bildungs- und Kontostand gebunden. Trotzdem tauchen vor dem geistigen Auge im "postfaktisch" getauften Zeitalter gleich die vernünftigen Argumenten schwer zugänglichen "Massen" auf, die rechts-populistischen Politikern auf den Leim gehen.