Wenn Weltbilder aufeinanderprallen

Seite 3: Herablassende Sicht auf "manipulierbaren" Normalbürger falsch und gefährlich

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Die herablassende Sicht der "Intelligenz" auf die "manipulierbaren Normalbürger", sagt Reinhard Wolf, Professor für Politikwissenschaft in Frankfurt/Main, sei allerdings "ebenso falsch wie gefährlich". Auch intelligente und gebildete Menschen seien nicht gegen "gefühlsgeleitete Realitätsverweigerung gefeit", schreibt er unter dem Titel "Die Selbstgefälligkeit der Intelligenz im Zeitalter des Populismus" in der Beilage der Wochenzeitung Das Parlament1.

Zahlreiche Studien bestätigten, dass persönliche Überzeugungen nur selten auf rationaler Abwägung beruhten, sondern unbewusst danach ausgewählt würden, ob sie zu unseren moralischen Intuitionen, Affekten und sozialen Identitäten passten. Am Anfang stehe fast immer die subjektive Meinung - für die danach überzeugende Begründungen gesucht werden. Dabei falle es intelligenteren Personen leichter als weniger intelligenten, stützende Argumente für die eigene Position zu finden, bei der Zahl der gefundenen Gegenargumente gebe es hingegen keinen Unterschied. Menschen "scheuen kognitive Dissonanz und suchen deshalb einseitig nach Informationen und Argumenten, die ihre gegenwärtigen Meinungen stützen."

Demokratische Diskussionskultur in Gefahr

Es sei durchaus zu befürchten, dass die gegenwärtig zu beobachtende "politische Emotionalisierung und ideologische Polarisierung weiter voranschreiten werden", womit die "demokratische Diskussionskultur in Gefahr" gerate, warnt der Politikwissenschaftler.

Als aktuelle Verstärker einer Emotionalisierung des Politischen und einer Tendenz zum Tribalismus, sprich: einer Fixierung auf die Eigen-Gruppe, wertet Wolf erstens die steigende Komplexität politischer Fragen infolge von Globalisierung und Technisierung und zweitens das Internet mit seinen abgeschotteten Ingroups Gleichgesinnter, Echokammern genannt. Ein dritter Faktor sei der "anhaltende Aufstieg autoritärer oder illiberaler Staaten", der es erschwere, die westliche liberale Demokratie, bei all ihren Unvollkommenheiten und internen Auseinandersetzungen, als genuin beste Gesellschaftsordnung zu werten. Dies mache irritierte Bürger anfälliger für Pseudoerklärungen und die Suche nach Sündenböcken.

In der Pflicht sieht Wolf hier vor allem die "Intelligenz": So dürfe, wer politische Veränderungen fordere, sich nicht auf normative Begründungen und vielleicht berechtigte Empörung beschränken, sondern müsse gleichermaßen die Realisierungsbedingungen mit bedenken. Zudem sollte ein Demokrat sich abweichenden Meinungen regelmäßig "aussetzen" und diese "prüfen", anstatt nur im "weltanschaulichen Schützengraben" seine politische Identität zu verteidigen. Klingt einfach, ist es aber sicher nicht.

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