Wenn Windkraft in die Luft gejagt wird

Der Windkraftausbau in Deutschland schwächelt seit Jahren. Symbolbild: S. Hermann & F. Richter auf Pixabay (Public Domain)

Die deutsche Windindustrie leidet unter der mangelnden Nachfrage und verlagert immer mehr Stellen ins Ausland. Jetzt werden sogar neu gebaute Windkraftanlagen gesprengt.

Die Betreiberfirma bittet "von Besichtigungen der Baustelle abzusehen": In dieser Woche soll ein Windrad in Ostbrandenburg gesprengt werden. Wohlgemerkt, ein nigelnagelneues! Die mehr als 200 Meter hohe Anlage war vor einem Jahr im Windpark "Görzig Ost" fertig gestellt worden, ging aber nie ans Netz. "Der Rückbau ist erforderlich, da der Betonturm Mängel aufweist", teilt die Betreiberfirma Trianel mit.

Die Sprengung ist kein Einzelfall: Aktuell sollen 22 baugleiche Windräder auf diese Weise "zurückgebaut" werden. In Haltern, Nordrhein-Westfalen, war im September 2021 eine Windkraftanlage vom Typ N149 in sich zusammengebrochen, ein Jäger, der 600 Meter entfernt auf einem Hochsitz saß, blieb unverletzt.

Das Windrad mit 4,5 Megawatt Leistung war auf einem 164 Meter hohen Hybridturm montiert, im unteren Bereich bestand er aus Beton, im oberen aus Stahl. Der Hersteller Nordex nahm daraufhin sämtliche baugleichen Anlagen in Deutschland mit überschlägig 100 Megawatt Leistung außer Betrieb. Die Unfallursache ist immer noch nicht geklärt, der Untersuchungsbericht steht noch aus.

Nicht die einzige Hiobsbotschaft, mit der der Rostocker Windbauer Nordex derzeit kämpft: Ein Hackerangriff legte im Mai die Systeme lahm, Nordex konnte seinen Quartalsbericht nicht fristgerecht veröffentlichen und flog deshalb aus dem SDax und dem TecDax. Zudem fiel der Bericht dann verheerend aus, rund 90 Millionen Euro Minus vermeldete das Unternehmen im ersten Quartal, geringere Installationen, Lieferengpässe sowie immer weiter steigende Logistik- und Rohstoffkosten nannte Nordex als Grund.

Um die Kosten in den Griff zu bekommen, schloss Nordex Ende Juni sein Werk für Rotorblätter am Standort Rostock, 600 Leute verloren ihren Job. Allerdings ist Nordex nicht der einzige Windradbauer, der momentan auf dem deutschen Markt mit Problemen kämpft. Auch der Mitbewerber Vestas hat Ende Juni sein Rotorblattwerk in Lauchhammer geschlossen. Dort gingen 460 Arbeitsplätze verloren. Im ersten Vierteljahr wies der dänische Konzern sogar einen Betriebsverlust von 329 Millionen Euro aus, in Deutschland unterhält er nun nur noch eine Produktionsstätte in Lübeck.

"Die Deckelung des Ausbaus durch die früheren Bundesregierungen ist der wesentliche Grund, dass Werke geschlossen wurden und Arbeitsplätze verloren gingen", sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie (BWE).

Der Konkurrent Enercon, einer der größten deutschen Windradbauer, muss gar mit 500 Millionen Euro Staatshilfe gestützt werden, das Geld kommt aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) der Bundesregierung. "Die Covid-19-Pandemie hat zu erheblichen Störungen und unerwarteten Mehrkosten bei Material, Komponenten, Transport & Logistik und in der Folge zu Verzögerungen wichtiger Projekte geführt", heißt es in einer Erklärung des Konzerns.

Produktion jetzt in Portugal, der Türkei und Asien

Enercon hatte seine Produktionsanlagen in Aurich und Magdeburg schon in den vergangenen Jahren geschlossen, 3.000 Stellen gingen verloren. Produziert wird jetzt in Portugal, der Türkei und Asien.

Die Windkraft in Deutschland soll massiv ausgebaut werden – und trotzdem leiden die Firmen? Tatsächlich sind die aktuellen Ausbauzahlen so niedrig wie nie zuvor seit Einführung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Im ersten Halbjahr gingen 230 neue Anlagen an Land ans Netz, im Vorjahreszeitraum waren es noch 247. Zum Vergleich: Im Jahr 2017, dem Jahr, als der Windenergie-Ausbau auf die Ausschreibungspraxis umgestellt wurde, waren es 1847 Windräder.

Wer seither ein Windrad aufstellen will, muss sich zuerst an einer Auktion beteiligen, also zuerst das Projekt planen, bevor er ein Angebot für die von der Bundesnetzagentur ausgeschriebenen Mengen abgeben kann. Ein Vorgang, der Projektierer oft einen sechsstelligen Betrag kostet. Die Folge: Es werden immer weniger Anlagen bestellt.

"Drei Monate rote Zahlen, das kann ein Unternehmen mal verkraften. Drei Jahre rote Zahlen aber nicht", sagt Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme. Selbst wenn die Politik jetzt die Rahmenbedingungen für die Erneuerbaren wieder verbessert, "bis daraus resultierende Aufträge bei den Windradherstellern ankommen, vergehen Jahre".

Denn anders als bei der Photovoltaik benötigen Windparks langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren. "Zwei Jahre sind schnell, manchmal sind vier Jahre nötig, um dann tatsächlich bei einem Windradbauer neue Anlagen in Auftrag zu geben".

E-Autos, Wärmepumpen, grüner Wasserstoff: Der Bedarf wird rasant steigen

In den vergangenen zehn Jahren wurden laut Schätzungen bereits 60.000 Stellen in der deutschen Windindustrie ins Ausland verlagert. Zuvor hatte Deutschland nahezu fast alle Produktionsstätten für Solarzellen ins Ausland verloren. Die Bundesregierung hatte Anfang Juli eine Reihe von Gesetzen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien beschlossen, unter anderem ein "Wind-an-Land-Gesetz", mit dem der Ausbau drastisch beschleunigt werden soll.

Volker Quaschning nennt das Gesetz einen "Schritt in die richtige Richtung". Allerdings bezweifelt er, dass "die neuen Gesetze jenes Ausbautempo, das wir brauchen, auch erzeugen". Um die regierungsamtlichen Klimaziele zu erreichen – 80 Prozent erneuerbarem Strom bis 2030 – sei beispielsweise eine Verfünffachung bei der Windkraft notwendig. Aktuell kommen 49 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stromes aus Erneuerbaren. Experte Quaschning: "Jetzt kommen Elektromobilität, grüner Wasserstoff, die Wärmepumpen dazu, der Strombedarf wird also rasant steigen".

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